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Kein Vertrauen mehr in die Muslimbrüder

Matthias Sailer11. Dezember 2012

Ägypten kommt nicht zur Ruhe: Je näher das umstrittene Verfassungsreferendum rückt, desto lauter werden die Proteste der Opposition. Diese kämpft weiter für ihre Forderung: eine andere Verfassung.

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Proteste in Ägypten gegen Präsident Mursi (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Ägyptens Opposition lehnt das für Samstag angesetzte Referendum über die neue Verfassung überwiegend ab. Von den großen Oppositionsparteien scheint lediglich die Partei des moderat-religiösen Abdel Moneim Abul Fotuh die Teilnahme am Referendum zu befürworten. Doch auch Fotuh spricht sich für die Ablehnung der Verfassung aus. Auch die Rücknahme von Präsident Mohammed Mursis Ermächtigungsdekret hält die Opposition nicht davon ab, weiter auf die Straße zu gehen.

"Wir befürchten, dass die Grundrechte der Menschen eingeschränkt und nicht in unserer Verfassung verankert werden", sagt Abdul Bar Zahran. Er ist Gründungsmitglied und Parteifunktionär der Partei der Freien Ägypter, einer der größten ägyptischen Oppositionsparteien. Der Widerstands gegen den Präsidenten und das geplante Referendum muss seiner Meinung nach weitergehen: "Wir rufen für Dienstag landesweit zu Kundgebungen auf allen Plätzen Ägyptens auf."

Abdul Bar Zahran (Foto: Matthias Sailer)
Abdul Bar ZahranBild: DW/M.Sailer

Für Abdul Bar Zahran ist die Rücknahme des Ermächtigungsdekrets nur Teil eines politischen Manövers der Muslimbrüder. Von Anfang an sei es Mursis Ziel gewesen, eine Verfassung gegen den Widerstand der Opposition durchzudrücken. Durch das Dekret habe Mursi verhindert, dass die Verfassungsgebende Versammlung aufgelöst wurde. Bis zum Referendum ist der Zeitraum für so einen Schritt nun zu kurz und der Verfassungsentwurf damit gerettet, sofern er im Referendum angenommen wird.

Opposition: Verfassungsgebende Versammlung hat das Volk nicht vertreten

Die Opposition sei nicht nur über den Verfassungsentwurf sondern auch über dessen Zustandekommen verärgert, erklärt Elijah Zarwan, Wissenschaftler am European Council on Foreign Relations in Kairo. "Nehmen wir an, Mursi erlässt fünf Dekrete, die die Opposition in Rage versetzen. Dann nimmt er eines davon wieder zurück und schon erscheint er als edelmütig und kompromissbereit und die Opposition als äußerst stur. Tatsächlich bleiben die anderen Dekrete aber in Kraft", so Zarwan. Er verweist darauf, dass die Opposition bereits vor Mursis Ermächtigungsdekret massiv gegen die jetzt zur Abstimmung stehende Verfassung protestiert hat.

Demonstranten protestieren gegen den Verfassungsentwurf (Foto: AFP)
Demonstranten protestieren gegen den VerfassungsentwurfBild: Gianluigi Guercia/AFP/Getty Images

Aus diesem Grund hatten fast alle nicht-islamistischen Mitglieder der Verfassungsversammlung diese bereits vor Mursis Ermächtigungsdekret verlassen. Der Verfassungsentwurf, über den am Samstag entschieden werden soll, kam ohne die Vertreter der nicht-islamistischen Parteien zustande. In den Augen der Opposition sei deshalb der gesamte Entscheidungsprozess illegitim, so Elijah Zarwan. "Ägypten hat es nicht verdient, so einen Verfassungsentwurf zu bekommen. Denn die Verfassungsgebende Versammlung hat das Volk nicht vertreten. Sie hat nur das islamistische Lager vertreten", macht Abdul Bar Zahran deutlich.

"Denen kann man kein Vertrauen mehr schenken"

Als weiteren Grund für den Boykott des Referendums führt der Oppositionspolitiker die jüngste Gewalt der Muslimbrüder gegen friedliche Demonstranten an. "Nachdem man das erlebt und mit eigenen Augen gesehen hat, kann man denen kein Vertrauen mehr schenken. Denn wir haben ja die Bilder gesehen und es auf den Straßen erlebt, wie die Milizen der Muslimbrüder auf die Menschen losgegangen sind“, sagt Abdul Bar Zahran. Auch die meisten Demonstranten am Präsidentenpalast vertreten diese Sichtweise. Für sie haben die Muslimbrüder inzwischen jegliches Vertrauen verspielt.

In einem Land, in dem es einen frei gewählten Präsidenten gibt, müsse es auch erlaubt sein, friedlich zu demonstrieren, ohne dabei von seinem politischen Gegnern angegriffen zu werden, so Abdul Bar Zahran. Zwar waren bei den Demonstrationen beiden Seiten mit massiver Gewalt aufeinander losgegangen. Doch nach Auswertung von Augenzeugenberichten, Videomaterial und anderen Indizien sollen die Muslimbrüder Initiatoren der Gewalt gewesen sein.

Demonstranten campieren auf dem Tahrir-Platz in Kairo (Foto: Reuters)
Die Gegner von Präsident Mursi wollen weiter Widerstand leistenBild: Reuters

Gewählt zu sein ist keine Generalvollmacht

Ohne internationale Beobachter ist für Abdul Bar Zahran ein Referendum unter den Muslimbrüdern daher undenkbar. Elijah Zarwan wertet die jetzigen Entwicklungen als Indiz dafür, dass es der Opposition um mehr geht als die Ablehnung einzelner Maßnahmen der Muslimbrüder. Es gehe vielmehr darum, die Muslimbrüder in die Schranken zu weisen."Hauptmotivation der Opposition ist, dass die Muslimbrüder und Mursi das durch Wahlen erhaltene Mandat übertreten. Sie möchte jetzt den Muslimbrüdern zeigen, dass sie zwar die gewählte Führung sind, aber dass ihnen das noch lange nicht das Recht gibt, zu tun was sie wollen“, sagt Elijah Zarwan.