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Kein Schicksal mehr, sondern eine Chance

Blagorodna Grigorova12. Januar 2013

Die Emigration aus Bulgarien war jahrzehntelang eine Entscheidung fürs Leben. Im Kommunismus gab es keinen Weg zurück. Doch die Annährung an die EU hat den Bulgaren neue Reisemöglichkeiten eröffnet.

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--- DW-Grafik: Peter Steinmetz

Eigentlich wollte ich zum Studium ins Ausland, erzählt die 26-jährige Krassimira Maryanska, die an der Fachhochschule Düsseldorf Medienwissenschaften studiert. Ihr schwebten damals Großbritannien oder die USA vor. "Allerdings im Gymnasium habe ich immer wieder mitbekommen, dass viele Leute zum Studium nach Deutschland gingen. Auch mein Cousin. Er ging nach Köln und hat mich überzeugt, das auch zu tun." Die Qualität des Studiums sei besser als in Bulgarien, habe ihr der Cousin deutlich gemacht. "Ein deutsches Diplom wird mir mehr Türen öffnen als ein bulgarisches", glaubte auch Krassimira. Sie fing an Deutsch zu lernen. Kurz nach dem Abitur ging sie dann nach Deutschland, wie die meisten aus ihrem Sprachkurs.

Das Studium in Deutschland - ein Massenphänomen

"Das Studium in Deutschland, hat sich seit Anfang der 2000er zu einer regelrechten "Mode" in Bulgarien entwickelt", weiß die Soziologin Marina Liakova, die die Auswanderung aus Bulgarien erforscht. In der Bundesrepublik ist die Anzahl der bulgarischen Studenten bis 2004 ständig gestiegen: Im Wintersemester 2004/2005 stellen sie mit fast 12.500 Personen sogar die zweitstärkste Gruppe ausländischer Studenten an deutschen Hochschulen, direkt nach den Studenten aus China.

Der Trend ändert sich 2007, als in Deutschland die Studiengebühren eingeführt wurden. Außerdem wurde im gleichen Jahr Bulgarien EU-Mitglied und einige Einschränkungen für den deutschen Arbeitsmarkt entfielen. "Da ein Teil der Bulgaren sich nur pro forma an den deutschen Universitäten einschrieb, um Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen, war das dann nicht mehr notwendig", so Liakova. Dennoch studierten 2011 immer noch 8.000 Bulgaren in Deutschland.

Die erste Emigrationswelle in den Westen

Der höhere Lebensstandard sowie die besseren Verdienstmöglichkeiten lockten schon immer bulgarische Staatsbürger nach Deutschland. Direkt nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes verließen hunderttausende Bulgaren das Land – die meisten steuerten die USA und Westeuropa an. Es waren vor allem junge, gut ausgebildete Menschen. Ein großer Teil der Emigranten, der in die Bundesrepublik ging, beantragte politisches Asyl - über 80.000 Menschen bis 1994. Sie ersuchten Asyl, weil sie keinen anderen Weg sahen, sich legal in Deutschland anzusiedeln - nicht weil sie in Bulgarien politisch verfolgt wurden.

Angesichts dieser Migrationswelle verschärfte Deutschland seine Asylbestimmungen und unterzeichnete mit Bulgarien ein Abkommen über die Rückkehr und die Reintegration dieser Menschen. Außerdem errichtete die Bundesrepublik - wie die meisten westeuropäischen Länder - Reiserestriktionen für bulgarische Staatsbürger. Die auferlegten Reisebarrieren entmutigten den Bulgaren nicht, sondern führten zu einem Anstieg der illegalen Emigration. Viele Menschen reisten als Touristen nach Deutschland und blieben nach Ablauf des Visums auf illegale Weise dort. Besuche in der Heimat waren unter diesen Bedingungen so gut wie unmöglich. 

Illegaler Einwanderer aus Bulgarien. (Foto: Zentralbild/CAF)
Der Asylantrag - für viele Bulgaren der Weg, in Deutschland zu bleibenBild: picture-alliance/ZB
Porträt Krassimira Maryanska (Foto: Blagorodna Grigorova)
Krassimira Maryanska wollte schon immer ins AuslandBild: DW

"Eine legale Möglichkeit in Deutschland zu bleiben, haben in den 1990er Jahren vor allem diejenigen bekommen, die in der Bundesrepublik studieren wollten oder Familienangehörige dort hatten", erklärt Marina Liakova.

Jeder fünfte Bulgare hat im Ausland gelebt

Seit 2001 können Bulgaren visafrei nach Deutschland reisen: Das veränderte auch die Emigration. Vor allem seit dem EU-Beitritt Bulgariens ist die Anzahl der Wirtschaftsmigranten enorm gestiegen, betont Liakova. "Menschen aus allen sozialen Schichten versuchen ihr Glück im Ausland."

Inzwischen hat jeder fünfte Bulgare für mehr als drei Monate in einem anderen Land gelebt, belegt eine Studie der Soros-Stiftung "Open Society" in Sofia 2011 über die Auslandserfahrungen sowie über die Migrationswünsche. Drei Viertel der Befragten will ins Ausland, um zu arbeiten. "Dabei steht Deutschland ganz hoch im Kurs", sagt Alexei Pamporov, Soziologe an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften und Experte der Soros-Stiftung. Dabei handelt es sich um Menschen, die in der Gastronomie oder im Baugewerbe arbeiten wollen oder eine Arbeit in einem Niedriglohnsektor annehmen, so die Studie. Doch Deutschland ist auch bei den Jungen und gut Qualifizierten beliebt, betont Pamporov. "Besonders attraktiv ist die Bundesrepublik für Krankenschwestern, Ärzte und Ingeneure."

Zurück in die Heimat?

Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat viele Bulgaren aus ganz Europa zur Rückkehr in die Heimat bewegt: Das nationale Statistische Instituts stellt fest, dass seit 2006 immer mehr Bulgaren zurückkehren. Trotz des Trends hat sich die Anzahl der in Deutschland offiziell lebenden bulgarischen Staatsbürger seit dem EU-Beitritt des Landes fast verdreifacht – von 39.000 auf 94.000 im Jahr 2011. "Tendenz steigend", so Liakova. Die Reisebarrieren existieren nicht mehr und der Entschluss auszuwandern, fällt vor allem den jungen Menschen nicht so schwer. "Denn sie wissen, dass es keine schicksalhafte und unumkehrbare Entscheidung mehr ist." Doch einmal in Deutschland gelandet, wollen viele bulgarische Studenten nicht mehr zurück. Obwohl sie sich das zu Beginn des Studiums fest vorgenommen hätten, sagt die Expertin.

Symbolbild Hörsaal (Foto: Joerg Sarbach/dapd)
Viele bulgarische Studenten wollen nicht zurückkehrenBild: dapd

Das schlechte Bild von Bulgarien im Ausland schreckt viele von der Rückkehr ab. Das will der Verein für Bulgaren mit Ausbildung und Erfahrung im Ausland "Tuk-Tam" ändern. Den Verein gründeten 2008 sieben Freunde, die nach ihrem Auslandsstudium in die Heimat zurückkehrten. Sie wollen all denjenigen helfen, die wie sie, mit der Zeit ihre sozialen Kontakte verloren und ein verzerrtes Bild von der bulgarischen Arbeitswelt haben. "Sehr häufig sind es die Eltern, die ihre Kinder davon abhalten, nach Hause zu kommen, weil sie von ihrer eigenen Situation enttäuscht sind", so Boyko Blagoev von "Tuk-Tam".

Ganz anders ist das im Fall von Krassimira Maryanska: Ihre Eltern wollen, dass sie zurückkommt. Doch an eine Rückkehr in die Heimat stellt die 26-Jährige ihre Bedingungen: "Ich werde mir wahrscheinlich einen Job in einem deutschen Unternehmen in Bulgarien suchen, denn ich würde mich nur dort wohlfühlen." Wie ihr Cousin, der nach seinem Wirtschaftsstudium in Köln nach Bulgarien zurückgekehrt ist und eine gutbezahlte Stelle bei einem großen deutschen Handelsunternehmen gefunden hat. Egal was die Zukunft für sie bereit hält, eins ist sicher: Mit dem deutschen Diplom in der Tasche und der Auslandserfahrung hat Krassimira mehr Möglichkeiten als junge Menschen, die nie anderswo gelebt haben.