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Haftstrafe für Ingabire

Daniel Gakuba30. Oktober 2012

Mit Spannung hat Ruanda das Urteil im Fall der Politikerin Victoire Ingabire erwartet. Jetzt ist es da - und für viele Kritiker ein Beleg dafür, dass der Prozess offenbar politisch motiviert war.

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Victoire Ingabire bei einer Gerichtsverhandlung. (Foto:Shant Fabricatorian/AP/dapd)
Victoire IngabireBild: dapd

Schuldig des Hochverrats mit terroristischen Mitteln und der Verharmlosung des Genozids von 1994 - so lautete der Richterspruch am Dienstag (30.10.) in Kigali gegen die Politikerin. Ihr britischer Anwalt Iain Edwards sagte, Ingabire werde vor dem Obersten Gericht Berufung einlegen - und wenn nötig vor dem Afrikanischen Menschenrechtsgerichtshof im tansanischen Arusha. Ingabire selbst war bei der Urteilsverkündung nicht anwesend: Sie boykottiert den Prozess als politisch motiviert.

Seit September 2011 musste sich Ruandas Oppositionsführerin Victoire Ingabire wegen Hochverrats und Verharmlosung des Genozids von 1994 vor Gericht verantworten. Die Ankläger hatten lebenslang gefordert, Ingabire und ihre Anwälte plädierten auf Freispruch. Die Urteilsverkündung war bereits drei mal verschoben worden.

Victoire Ingabire ist Vorsitzende der "Vereinten Demokratischen Kräfte“, kurz FDU-Inkingi - einer Partei, die in Ruanda nicht zugelassen ist. Im Januar 2010 war Ingabire aus dem niederländischen Exil nach Ruanda zurückgekehrt, um die FDU-Inkingi als Partei registrieren zu lassen und bei den Präsidentschaftswahlen gegen den ruandischen Präsidenten Paul Kagame anzutreten. Doch statt die FDU-Inkingi zuzulassen, stellten die Behörden deren Vorsitzende Ingabire unter Hausarrest. Die Begründung: Sie habe die in der benachbarten Demokratischen Republik Kongo ansässige Hutu-Rebellengruppe "Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas", kurz FDLR, finanziell unterstützt. Diese Gruppe gilt in Ruanda als terroristische Organisation. Außerdem soll Ingabire die Trennung nach Volksgruppen propagiert und den Genozid 1994 in Ruanda geleugnet haben. Damals töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit bis zu eine Million Angehörige der Tutsi-Minderheit sowie moderate Hutu, die sich den Mördern in den Weg stellten. Victoire Ingabire selbst gehört zum Volksstamm der Hutu.

Umstrittenes Genozid-Gesetz

Die Beweise für den Anklagepunkt der Finanzierung der Rebellengruppe FDLR kommen von zwei ehemaligen Kommandanten eben dieser Gruppe. Laut Ingabires Anwalt Edwards haben diese jedoch "unter seltsamen Umständen“ ausgesagt. Beide sind im selben Fall mitangeklagt und haben sich bereits für schuldig bekannt.

Ruandas Präsident Paul Kagame REUTERS/Edward Echwalu
Lässt kaum Kritik zu: Präsident Paul KagameBild: Reuters

Der Vorwurf, Ingabire leugne den Genozid von 1994 in Ruanda, stützt sich auf eine Aussage Ingabires am Tag ihrer Rückkehr aus dem Exil. Im "Genocide Memorial Centre“ in Kigali hatte sie kritisiert, dass es keine wirkungsvolle Politik für eine nationale Versöhnung gebe: "Hier wird nur des Völkermordes an den Tutsi gedacht. Es ist aber auch wichtig, an das Massaker an den Hutu zu erinnern. Eine wahre Versöhnung können wir nur erreichen, wenn die Notlagen beider Seiten berücksichtigt werden.“

Dass eine solche Aussage Ingabire vor Gericht bringen kann, liegt an einem umstrittenen Genozid-Gesetz von 2008. "Es gibt Gesetze in Ruanda, die - ob sie einem gefallen oder nicht - Aussagen mit Verbindung zu genozidaler Ideologie oder dem Propagieren einer Trennung nach Volksgruppen unter Strafe stellen“, sagt Alexander Stroh, Ruanda-Experte beim Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg. "Man kann diese Gesetze kritisieren, aber sie bleiben doch Gesetze, die es verbieten, bestimmte Dinge in Ruanda auszusprechen.“ Für ihn ist die wichtigere Frage, die sich jetzt nach dem Urteil stellt: "Steckt dahinter ein politisches Motiv oder nicht?“

Ein früheres Bild von Victoire Ingabire (ddp images/AP Photo/Shant Fabricatorian).
Ein früheres Bild von Victoire IngabireBild: AP

Der Fall Ingabire zieht weite Kreise

Denn im Fall Ingabire geht es nicht nur um das Schicksal der Oppositionsführerin. Laut Analysten sind die Anschuldigungen mit dem politischen Konflikt zwischen der Regierung in Ruanda und den oppositionellen Gruppen verknüpft. Zudem gilt Ingabire als scharfe Kritikerin des Präsidenten Paul Kagame. Ihr Anwalt Ian Edwards hat keinen Zweifel daran, dass der Prozess politisch motiviert ist: Sie sei "frischer Wind im Land“ gewesen und habe das Regime mit ihren Aussagen in eine unbequeme Lage gebracht. Im April hatte Ingabire angekündigt, die Verhandlung zu boykottieren - nachdem das Gericht einen Zeugen unterbrochen hatte, der zu ihren Gunsten aussagte.

Ingabire ist nicht das erste Oppositionsmitglied, das sich in Ruanda vor Gericht verantworten muss. Im Februar hatte der höchste Gerichtshof die lebenslängliche Haftstrafe für Deogratias Mushayidi, den Vorsitzenden der - ebenfalls noch nicht als Partei zugelassenen - Oppositionsgruppierung "Pakt zur Verteidigung des Volkes“, kurz PDP, bestätigt. Ein Gericht niedrigerer Instanz hatte ihn bereits zuvor für schuldig befunden, Pläne zum Sturz der Regierung geschmiedet zu haben. Bernard Ntaganda, Führer einer weiteren Oppositionspartei, sitzt zurzeit eine vierjährige Haftstrafe ab. Er wurde wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit und des Schürens ethnischer Spaltungen verurteilt.

Regierungsnähe der Justiz?

Diese Urteile stellen die Unabhängigkeit des ruandischen Gerichtswesens in Frage. Behauptungen, die Gerichte des Landes spielten der politischen Agenda der Regierung zu, werden laut. Charles Kaliwabo, Sprecher der ruandischen Gerichte, wehrt sich gegen diese Vorwürfe. Sie seien weit hergeholt, das ruandische Justizsystem sei völlig unabhängig. "Ich glaube nicht, dass wir genug Zeit haben, diejenigen zu überzeugen, die sich nicht überzeugen lassen. Aber wir bitten sie zumindest, uns aufgrund unserer Taten zu beurteilen.“

Jetzt hätte das Gericht Gelegenheit gehabt, die Welt von der Unabhängigkeit der ruandischen Justiz zu überzeugen. Die Urteilsverkündung im Fall Ingabire kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem das Image Ruandas bereits durch einen Bericht der Vereinten Nationen getrübt ist. Demnach unterstützt das Land die Rebellen-Gruppe M23, die für Kriegsverbrechen im Osten der Demokratischen Republik Kongo verantwortlich gemacht wird. Das Urteil im Fall Ingabire hat diese Hoffnungen aber enttäuscht.