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Kein Optimismus trotz Zinssetzung

Andreas Becker5. Juli 2012

Erstmals in der Geschichte des Euro hat die Europäische Zentralbank den Leitzins auf unter ein Prozent gesenkt. Damit will sie der Wirtschaft wieder Leben einhauchen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass nichts passiert.

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Mario Draghi (Foto: dapd)
Mario DraghiBild: dapd

Es hat Zeiten gegeben, da konnten sich die Chefs der Zentralbanken wie die Herren der Wirtschaft fühlen: Senkten sie die Zinsen, verbesserte sich die Stimmung. Börsenkurse stiegen, Unternehmer investierten und private Haushalte konsumierten.

Heute jedoch, nach der großen Finanzkrise und inmitten der europäischen Schuldenkrise, ist die Stimmung so trübe, dass selbst Zinssenkungen kaum noch Wirkung haben. "Wir erleben derzeit eine Abschwächung des Wachstums in der gesamten Euro-Zone, einschließlich der Länder, in denen das bislang nicht der Fall war", sagte Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), am Donnerstag in Frankfurt. Auch von den USA gehen keine Wachstumsimpulse aus, und selbst China spürt die Folgen der weltweit schwachen Konjunktur.

Leitzins auf historischem Tiefstand

Die Europäische Zentralbank hat ihren Leitzins deshalb um einen Viertelpunkt auf 0,75 Prozent gesenkt - das ist der tiefste Stand, seit es den Euro gibt. Die Bank of China hat ihre Leitzinsen am Donnerstag ebenfalls reduziert. Und die Bank of England kündigte am selben Tag an, umgerechnet 62 Milliarden Euro in den Markt zu pumpen, indem sie Banken Staatsanleihen abkauft. Eine gemeinsame Intervention der Notenbanken sei das jedoch nicht, so EZB-Präsident Draghi: "Es fand keine Koordination statt, die über den üblichen Gedankenaustausch über die Konjunktur, die Wirtschaftslage oder die weltweite Nachfrage hinausging."

Mit anderen Worten: So schlimm, dass die Notenbanken weltweit gemeinsam handeln, ist die Lage noch nicht. Trotzdem: Mit jedem dieser Schritte ist die Hoffnung verbunden, dass das Geld dort ankommt, wo es gebraucht wird - bei Unternehmern und Verbrauchern. Doch danach sieht es im Moment nicht aus. "Das Wirtschaftswachstum bleibt weiterhin schwach, und die erhöhte Unsicherheit belastet das Vertrauen", sagte EZB-Präsident Draghi.

Unter diesen Umständen riskiert die EZB zumindest keine Inflation, wenn sie die Zinsen senkt. Schließlich ist die Stabilität des Geldes die Hauptaufgabe der Europäischen Zentralbank. Ihr Ziel ist eine mittelfristige Inflationsrate von zwei Prozent. "Der Inflationsdruck hat weiter abgenommen, weil einige Abwärtsrisiken für das Wachstum in der Euro-Zone zur Realität wurden", so Draghi.

Keiner will sich Geld leihen

Der Grund, warum Unternehmen und Haushalte sich kein Geld leihen, liegt im Moment offenbar nicht an der Höhe der Zinsen. Das ist das Hauptproblem für Draghi und die anderen Notenbanken. "Die schwache Kreditvergabe spiegelt die Angst vor Risiko wieder. Außerdem haben Unternehmen und Haushalte ihre Bilanzen angepasst", so der EZB-Chef.

Das heißt: Weil die Lage düster ist, will keiner investieren oder konsumieren und braucht deshalb auch keinen Kredit - ganz egal, wie günstig die Zinsen sind. Auch Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon erwartet keine große Wirkung, zumal die Zinsen schon vorher niedrig waren: "Einen nennenswerten konjunkturellen Effekt wird diese Zinssenkung von 'nahe Null' auf 'noch näher an Null' nicht haben."

Davon abgesehen ist völlig offen, ob die günstigeren Zinsen überhaupt bei den Kunden ankommen. Wahrscheinlich ist, dass die Banken einfach nur eine höhere Profitmarge haben, wenn sie Geld demnächst verleihen. Das würde immerhin etwas Druck von den angeschlagenen Instituten nehmen.

Die EZB kann Unternehmen und Haushalte natürlich nicht zwingen, sich Geld zu leihen. Aber sie möchte es für Banken zumindest so unattraktiv wie möglich machen, das Geld einfach zu horten. Aus diesem Grund senkte sie am Donnerstag auch die sogenannte Einlagefazilität. Das ist der Zins, den sie Banken zahlt, die überschüssiges Geld über Nacht bei der EZB deponieren. Mit 0,25 Prozent war der Zins schon bisher sehr niedrig. Jetzt hat ihn die EZB auf Null gekürzt. Die Botschaft an die Banken: Euer Geld liegt bei uns sicher, aber wirtschaftlich macht es keinen Sinn, es bei uns zu parken.

Billiges Geld ohne Wirkung

Um den Jahreswechsel hat die EZB die Banken mit billigen Krediten von insgesamt 1000 Milliarden Euro versorgt. Auch damals hoffte sie, dadurch die Kreditvergabe anzukurbeln. Das Ergebnis ist laut EZB-Chef Draghi ernüchternd: "Nun sind einige Monate vergangen und wir sehen, dass die Kreditvergabe schwach ist und schwach bleibt."

Das gegenwärtige Wirtschaftsklima ist von Unsicherheit und Angst bestimmt, optimistische Stimmen sind selten. Die Äußerungen von EZB-Chef Draghi zeigen, dass günstige Zinsen allein nicht reichen, um die Stimmung zu verbessern. Auch an der Frankfurter Börse fielen nach seiner Rede die Kurse.