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Kirchenvolksbewegung

Klaus Krämer21. März 2014

Seit fast 20 Jahren stellt die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" provokante Thesen und Forderungen an die übermächtige katholische Kirche. Wie zeitgemäß und effektiv sind solche Querdenker im 21. Jahrhundert?

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Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Symbolbild Messe
Bild: picture-alliance/dpa

Keine Zweifel, eine gewisse öffentliche Präsenz hat die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" immer wieder. Wann immer Medien eine kritische Stimme zu umstrittenen Themen innerhalb der römisch-katholischen Kirche benötigen, müssen sie die Repräsentanten des deutschen Zweigs der Bewegung nicht lange bitten. Die Rolle der Frau in der Kirche, der Pflichtzölibat, Laien in der Gemeindearbeit, Kommunion für Wiederverheiratete Geschiedene, Schwule und Lesben in der Kirche – zu all diesen Themen hat die Kirchenvolksbewegung eine fundierte Meinung, die jedoch zumeist deutlich von der katholischen Morallehre, von Dogmen und der Meinung der Bischöfe abweicht. Das macht vermutlich den Reiz aus.

An diesem Wochenende (21.-23.03) lädt "Wir sind Kirche" zu ihrer 34. Bundesversammlung nach Regensburg ein. Themen: Ein Jahr Franziskus in Rom, die Situation in Deutschland und im Bistum Regensburg, Vorschau auf den Katholikentag, Ökumene. Bei diesem Tableau stellt sich die Frage, ob der katholischen Reformbewegung die provokanten Themen ausgehen.

Kleine Gruppe ohne Mitgliedschaft

Die Kirchenvolksbewegung ist entstanden aus den Kirchenvolksbegehren, die Mitte der 1990er Jahre in Österreich und Deutschland durchgeführt wurden. Damals brachte sie Hunderttausende von Gläubigen auf die Beine. Zur Bundesversammlung an diesem Wochenende rechnet Christian Weisner, der Vorsitzende von "Wir sind Kirche", mit rund 60 Besuchern, vorwiegend interessierte Laien und Priester ohne Amt. Ist diese Speerspitze reformwilliger Katholiken womöglich nur noch eine marginale Größe? Ja - auf den ersten Blick. "Wir verstehen uns bewusst als Bewegung und sind deshalb keine Mitgliedsorganisation", sagt Weisner, von Beruf Stadtplaner. Deshalb könne man sie auch nicht zählen.

Christian Weisner
Kämpft für Reformen: Christian WeisnerBild: picture-alliance/dpa

Programm für Jahrhunderte

Die Anliegen von "Wir sind Kirche" hingegen sind immer noch dieselben wie bei der Gründung: Grundlegende Reformen im Kirchenrecht, Abbau des Klerikalismus, Stärkung der Gemeinschaft von Laien und Klerikern, Beteiligung Gläubiger an Entscheidungsprozessen, Gleichstellung der Frau in Kirchenämtern, Abschaffung des Zölibats, eine menschenfreundliche Sexualethik - um nur einige zu nennen. Beim Reformtempo Roms in der Zeit von Petrus bis Benedikt XVI. ein Vorhaben für Jahrhunderte. Bei alldem fühlt sich die Bewegung dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) mit seinem Geist der Reformen verpflichtet: "Wir sehen uns als Konzilsbewegung", sagt Weisner gegenüber der Deutschen Welle. Das Kirchenvolk müsse eine Stimme bekommen, wenn die römisch-katholische Kirche dem Konzil folgen und heutzutage wieder den Kontakt zu den Menschen gewinnen wolle.

In Papst Franziskus sehen die Reformer "einen großen Hoffnungsträger - auch des Kirchenvolkes". Beim Thema Freiheit in Verantwortung sei aber noch viel umzusetzen. Doch das Kirchenrecht hinke hinterher. Insofern sei der Veränderungsbedarf sehr groß. Franziskus habe die Erfahrung, dass das Konzil in Lateinamerika viel deutlicher umgesetzt worden ist, konstatiert Weisner. Er hofft darauf, dass dieser "Glaube des Konzils über Bergoglio wieder nach Rom getragen wurde und hoffentlich auch im Vatikan umgesetzt wird".

85. Geburtstag von Papst Benedikt XVI.
Auftakt zu Kirchenreformen - das Zweite Vatikanische Konzil stellte WeichenBild: picture-alliance/dpa

"Generation Konzil" vor dem Aussterben?

Sollte das gelingen, würde es die Aktivisten von "Wir sind Kirche" freuen, die sich gern als "Generation Konzil" bezeichnen. Dass die liberalen Querdenker inzwischen fast alle im fortgeschrittenen Alter sind, weiß auch der Vorsitzende.

Leitfiguren früherer Jahre fehlen der Bewegung inzwischen. Der Schweizer Theologe Hans Küng, dem die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen wurde, der des Amtes enthobene französische Bischof Jacques Gaillot oder der suspendierte deutsche Priester und Psychoanalytiker Eugen Drewermann standen einst mit in der ersten Reihe. Es sei für viele gesellschafts- und kirchenkritische Gruppen "ein Problem, dass wir in einer Zeit leben, in der die großen Leitfiguren, an denen man bestimmte Themen festmachen kann, nicht mehr da sind," erklärt Theodor Bolzenius, Pressesprecher des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK).

Nachlassendes öffentliches Interesse

Außerdem konstatiert Bolzenius im Gespräch mit der Deutschen Welle, dass früher die Aufmerksamkeit, die den kirchlichen Oppositionsgruppen geschenkt wurde, viel größer war. Derzeit habe es den Anschein, "dass zumindest ihre öffentliche Wirkung, durch die Tatsache, dass diese Themen, Themen der Kirche insgesamt geworden sind, erheblich nachgelassen hat." Häufig sei es so, dass "solche Bewegungen sich auf diese Weise selbst überflüssig machen". "Wir sind Kirche" gehöre zwar nicht zum Dachverband der katholischen Laien, dennoch seien Katholiken, die der Kirchenvolksbewegung verbunden sind, schon seit Jahrzehnten in den repräsentativen Gremien der katholischen Kirche. "Hier gibt es keine scharfe Trennung."

Papst Franziskus 23.4.2013
Papst Franziskus bringt frischen Wind in seine KircheBild: Getty Images

Die Kirchenvolksbewegung sei, wie viele andere kritische Gruppen, ein ganz wichtiges Element in der katholischen Kirche, so Bolzenius. "Diese Gruppen machen Themen, die virulent sind, zu Themen in der Kirche – ganz unabhängig von ihrer Repräsentativität." Wichtig sei, dass es repräsentative Gremien gebe, die diese Themen anschließend in einen strukturierten Dialog einbringen. "Wir sind Kirche erhebt gar nicht den Anspruch, Teil dieses strukturierten Dialogs zu sein."

Ungebrochenes Sendungsbewusstsein

Dass "Wir sind Kirche" auch in Zukunft gebraucht wird, steht für den Vorsitzenden Christian Weisner außer Frage. Was das Konzil gewollt und beschlossen hat, sei im Kirchenvolk sehr verankert. Das habe man zuletzt an der Umfrage des Vatikans zur Familiensynode gemerkt. "Was wir im Augenblick noch als großes Problem haben – dass natürlich diese Anliegen noch nicht so von der Kirchenleitung, von den Bischöfen, von der Weltkirche aufgenommen worden sind, wie es notwendig ist." Weisner kritisiert in diesem Zusammenhang auch deutsche Bischöfe, die den Dialog mit dem Kirchenvolk in Deutschland "sehr schnell wieder zu einem unverbindlichen Gesprächsprozess herabgestuft hätten."

Theodor Bolzenius Pressesprecher Zentralkomitee der deutschen Katholiken
Theodor BolzeniusBild: ZdK/Christian Eschhaus

An dieser Stelle sind Unterschiede zum katholischen Laiendachverband unübersehbar. Denn ZdK-Sprecher Bolzenius ist der Überzeugung, "dass dieser Dialogprozess ganz wichtig ist, der eine ganz große Breite hat, der in den Diözesen, Verbänden und Initiativen auf vielfältige Weise geführt wird."

Christian Weisner betont selbstbewusst: "Von den Katholiken, die noch einen Bezug zur Kirche haben, denken nachgewiesenermaßen zwei Drittel in einzelnen Punkten so wie "Wir sind Kirche".