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"Das schottische Beispiel beflügelt"

Peter Hille11. September 2014

In Barcelona flattert das schottische Andreaskreuz zwischen den gelb-roten Streifen Kataloniens. Die Unabhängigkeitsbewegung ist im Aufwind und sieht Schottland als Vorbild, sagt der Spanien-Experte Klaus-Jürgen Nagel.

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Diada in Barcelona
Bild: Reuters/A. Gea

In Barcelona sind Hunderttausende auf die Straße gegangen, um für ein Referendum zu demonstrieren, das Katalonien die Unabhängigkeit bringen könnte. Ist die katalanische Unabhängigkeitsbewegung beflügelt durch die mögliche Abspaltung Schottlands von Großbritannien?

Sicherlich - das schottische Beispiel beflügelt die Menschen. Die britische Regierung hat zugelassen, dass am 18. September ein verbindliches Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands stattfindet. Und das fordert man hier mehrheitlich auch von der spanischen Regierung. Die allerdings lehnt das ab.

Dann wird es in Katalonien also auch kein verbindliches Referendum wie in Schottland geben?

Es sieht zumindest nicht danach aus. In sehr konsequenter Weise haben sowohl die spanische Regierung als auch die Opposition in Madrid und das Unterhaus alle Anträge in diese Richtung abgelehnt.

Und trotzdem hoffen viele weiter auf Unabhängigkeit?

Ja, und eine Mehrheit der Bevölkerung spricht sich dafür aus. Außerdem hat die katalanische Regierung entschieden, am 9. November trotz des Widerstands aus Madrid ein Referendum abzuhalten. Das allerdings ist dann - rein rechtlich - eine unverbindliche Befragung. Es stellt sich die Frage, ob die spanische Regierung dann, wie angedroht, diese Befragung verhindern wird.

Klaus-Jürgen Nagel
Professor Klaus-Jürgen Nagel forscht in Barcelona zu Nationalismus und Föderalismus in EuropaBild: Universität Pompeu Fabra

Wenn sich eine Mehrheit für die Unabhängigkeit ausspricht, hätte dann auch eine unverbindliche Befragung Folgen?

Sicher. Wenn sich in einer Demokratie eine Mehrheit äußert, und das in seriöser, konsistenter Weise tut, dann ist es natürlich schwierig, diese Volksmeinung nicht zu berücksichtigen. Im schottischen Fall würde ja sogar ein knapper Entscheid gegen die Unabhängigkeit dazu führen, dass die schottische Autonomie erweitert würde.

Werden denn in Barcelona die negativen Folgen einer möglichen Unabhängigkeit ebenso heiß diskutiert wie in Edinburgh?

Aber ja. Es gibt heftige Diskussionen - in der Wissenschaft genauso wie zwischen den politischen Parteien und innerhalb des von der katalanischen Regierung eingesetzten Beratergremiums. Es gibt bisher acht Gutachten im Auftrag des katalanischen Parlaments zu verschiedenen Fragen. Sicher ist die schottische Situation anders, dort lagern Atomwaffen, aber gerade die wirtschaftlichen Folgen werden kontrovers diskutiert.

Welche wirtschaftlichen Folgen sagen die Experten denn voraus?

Die Szenarien reichen vom Paradies bis zur Hölle - je nachdem, welchen Denkfabriken sie glauben. Die Mehrheit der Wissenschaftler geht davon aus, dass sich gar nicht so viel ändern würde. Überlebensfähig wäre ein unabhängiges Katalonien wohl in jedem Fall. Aber es käme darauf an, wie Verhandlungen mit Madrid im Unabhängigkeitsprozess verlaufen würden. Und darauf, wie sich die Europäische Union positioniert.

Wenn sich die Schotten für die Unabhängigkeit entscheiden, was, glauben Sie, passiert dann in Katalonien?

Dann bekämen diejenigen, die für ein Referendum und für eine Unabhängigkeit von Spanien sind, natürlich noch mehr Aufwind. Aber jeder weiß natürlich, dass auch dort die Unabhängigkeit nicht von einem Tag auf den anderen kommen würde. Auch in Schottland wird ja ein Verhandlungsprozess beginnen, der bis ins Jahr 2016 reicht. Da muss verhandelt werden: was passiert mit der Währung, mit der Staatsschuld, mit internationalen Verträgen, mit der EU-Mitgliedschaft und so weiter. Und in Katalonien müsste man auch weitreichende Verhandlungen führen.

Klaus-Jürgen Nagel ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona.