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Karriere in der Fremde

11. Dezember 2011

Wer seine Heimat verlässt, um in Deutschland einzuwandern, tut das meist, um sein Leben zu verbessern. Doch welche Chancen haben Einwanderer auf dem deutschen Arbeitsmarkt?

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Ein Mann nimmt einen Styroporbaustein aus einem aufgebauten Turm (Foto: pa/dpa)
Was hat der deutsche Arbeitsmarkt zu bieten?Bild: picture alliance/dpa

"Ich bin echt stolz auf mich. Ich habe mich durchgekämpft und es allein geschafft", sagt Selin Babacan. Die Türkin hatte nie ernsthaft überlegt, im Ausland zu leben. Trotzdem wanderte sie im März 2007 nach Deutschland aus - zu ihrem Ehemann, der damals in Frankfurt am Main Medizin studieren wollte. Ein klassischer Fall von "Ehegattennachzug". Die meisten Menschen kommen aus familiären Gründen oder als Asylsuchende nach Deutschland; die direkte Arbeitsmarktzuwanderung kommt vergleichsweise selten vor.

Selin Babacan (Foto: DW)
Hat sich durchgebissen: Selin BabacanBild: DW

Selin Babacan legte sofort den wichtigsten Grundstein für alles Weitere: Deutsch lernen. Laut einer OECD-Studie spielen Sprachkenntnisse eine sehr große Rolle, wenn Einwanderer auf Jobsuche sind. Wer seine Chancen verbessern wolle, sollte vor allem auch die fachspezifischen Begriffe kennen, erklärt der OECD-Migrationsexperte und Autor der Studie, Thomas Liebig.

Alles auf Anfang

Die Trennung von ihrem Mann stellte Selin Babacan 2010 vor eine Entscheidung: in Deutschland bleiben oder gehen. "Ich war zwar wegen meines Ehemannes gekommen, aber nach drei Jahren wollte ich auch endlich auf eigenen Füßen stehen und es auch in Deutschland schaffen", erzählt Babacan.

OECD-Migrationsexperte, Thomas Liebig (Foto: Thomas Liebig)
Sprache sei das A und O bei der Jobsuche, sagt LiebigBild: Thomas Liebig

Geholfen haben ihr dabei die Mitarbeiter von "beramí - berufliche Integration e.V." in Frankfurt am Main. Der Verein berät beim Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt, bietet fachbezogene Deutsch- und Qualifizierungskurse an und hilft bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen. Vor allem letzteres könne die Jobchancen in Deutschland enorm steigern, sagt Irina Lagutova von beramí. Denn ohne Ausbildung hat man es schwer auf dem Arbeitsmarkt: Von den Geringqualifizierten ist rund jeder fünfte ohne Job.

Doch auch Fachkräfte finden nicht so leicht Stellen. Nur rund die Hälfte der formal hochqualifizierten Einwanderer arbeitet auch in hochqualifizierten Beschäftigungen - im Gegensatz zu fast drei Vierteln der Nicht-Zuwanderer. Selbst wenn die ausländischen Abschlüsse anerkannt werden, ist Zutritt zu diesen Feldern schwieriger als im geringqualifizierten Bereich, wo Sprach- oder Fachkenntnisse eine geringere Rolle spielen. Trotzdem steigen die Chancen, eine Arbeitsstelle zu finden, je höher das Bildungsniveau ist.

Wie viel ist mein Abschluss wert?

Beim Anerkennungsverfahren werden reglementierte und nicht-reglementierte Berufen unterschieden. Als reglementiert gelten Tätigkeiten oder Berufe beispielsweise im Gesundheitswesen, in der Lebensmittelherstellung oder in der Landwirtschaft. Wer in Deutschland als Arzt arbeiten will, braucht also eine formale Anerkennung seines Abschlusses. EU-Bürger haben kaum Probleme bei der Anerkennung der Gleichwertigkeit. Bei Nicht-EU-Bürgern muss durch die zuständige Institution, etwa die Industrie- und Handwerkskammer, individuell geprüft werden, ob ihre Qualifikation gleichwertig einer deutschen ist.

Anfang nächsten Jahres soll das neue Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz in Kraft treten. Es soll möglichst einheitliche Standards schaffen und die Möglichkeit für die Bewertung von Abschlüssen erweitern. Das betrifft beispielsweise auch die 350 nicht reglementierten Berufen, zu denen die meisten Handwerks- und Ausbildungsberufe gehören. Alle Einwanderer werden außerdem unabhängig von ihrer Nationalität den gleichen Zugang zu einem Anerkennungsverfahren haben.

Irina Lagutova von berami - - berufliche Integration e.V. in Frankfurt am Main (Foto: privat)
Hilft Einwanderern bei der Anerkennung ihrer Berufsqualifikation: Irina LagutovaBild: privat

Die meisten Berufe seien nicht reglementiert, erklärt Irina Lagutova. "Jeder Bewerber kann sich direkt auf Stellen bewerben. Da muss der Arbeitgeber einfach entscheiden, ob der Berufsabschluss aus dem Ausland den Bewerber ausreichend qualifiziert." So war es auch bei Selin Babacan. Die Statistikerin hatte sich aber für ihren türkischen Hochschulabschluss ein Gutachten von der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) besorgt. Besser noch seien jedoch einheitliche Prüfstandards und formale Anerkennungsgutachten für die Abschlüsse aller Einwanderer, sagt Lagutova.

Hürdenlauf auf dem Weg zum Job

Deutschunterricht für Migranten und Analphabeten an der Volkshochschule Herne September 2010 (Foto: DW)
Sprachunterricht für Einwanderer ist der Grundstein für einen JobBild: DW

Diskriminierung sei noch immer ein nicht zu vernachlässigender Faktor, warum Einwanderer größere Probleme haben, in den Arbeitsmarkt einzusteigen, sagt der OECD-Experte Liebig. Einwanderer verlieren in Zeiten von Rezession zudem tendenziell schneller ihre Arbeit - beispielsweise, weil sie nicht so lange in den Betrieben und Firmen arbeiten und häufig in konjunktursensiblen Branchen beschäftigt sind. Sie finden aber auch einfacher Jobs, wenn die Konjunktur anzieht. Außerdem spielten Netzwerke eine große Rolle, über die Einwanderer nur in geringem Maße verfügten, sagt Liebig. Auch Selin Babacan stand zunächst allein da und fand erst bei beramí Unterstützung bei Behördengängen, der Wohnungssuche und den Kontakt zur Deutschen Bank, wo sie nun arbeitet. Sie will in Deutschland bleiben, ihre beruflichen Perspektiven sind gut.

Doch aus Sicht des OECD-Experten Thomas Liebig ist es noch immer zu schwierig, so weit zu kommen. Die Politik müsse deshalb stärker auf Sprachkurse, Anerkennung der Abschlüsse und entsprechende Brückenangebote setzen, wenn sie Einwanderern den Jobeinstieg erleichtern wolle.

Autor: Nicole Scherschun

Redaktion: Dеnnis Stutе