1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Interkulturelle Kompetenz für die SPD

Wolfgang Dick22. September 2013

Wenn die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück die Bundestagwahl am 22. September gewinnt, soll Yasemin Karakaşoğlu Ministerin für Bildung werden. Eine typische Sozialdemokratin ist sie nicht.

https://p.dw.com/p/19UBj
Yasemin Karakasoglu (Foto: picture-alliance/dpa)
Erziehungswissenschaftlerin Yasemin KarakasogluBild: picture-alliance/dpa

Yasemin Karakaşoğlu kann die Katze besonders gut nachmachen. Mit verstellter Stimme liest sie Kindern laut und lebendig aus einem deutschen Märchen vor. Abwechselnd mal auf Türkisch, mal auf Deutsch. Den Kleinen auf den Stühlen vor ihr soll klar werden: Selbst wenn die Tiere in den Sprachen unterschiedlich klingen, empfinden sie alle dasselbe. Und: Gemeinsam kann man stark sein, wenn man trotz aller Unterschiede zusammenhält. Dieser erzieherische Ansatz ist typisch für die 48-Jährige. Die Professorin für Interkulturelle Bildung gehört zum Kompetenzteam von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Wenn er nach der Bundestagswahl im September Kanzler wird, soll sie Bildungsministerin werden.

Karakaşoğlu erforscht als Professorin, wie Bildung organisiert sein muss, um Kindern mit Migrationshintergrund bessere Chancen im Leben einzuräumen. "Die passt zu dem, was wir vorhaben", lautete das Urteil der SPD-Parteizentrale. Deshalb holte die sozialdemokratische Partei Karakaşoğlu ins Team von Steinbrück.

Yasemin Karakaşoğlu (Foto: DW/W. Dick)
Yasemin Karakaşoğlu: "Solange ich mich nicht verbiegen muss, ist ein bisschen Show o.k."Bild: DW/W. Dick

Wie eine wichtige Politikerin wirkt Yasemin Karakaşoğlu in ihrer Rolle als Märchen-Vorleserin nicht, aber dafür herzlich. Die in einem deutsch-türkischen Elternhaus in Wilhelmshaven aufgewachsene Integrationsforscherin ist Mutter einer elfjährigen Tochter und eines fünfjährigen Sohns. Für sie ist das Vorlesen von Märchen keine reine Wahlkampf-Show, obwohl sie in dem Lesezelt auf einer großen Veranstaltung der Sozialdemokraten in Berlin auftritt. "Solange ich mich nicht verbiegen muss, ist ein bisschen Show o.k.", sagt Karakaşoğlu. Lachend fügt sie hinzu, dass sie als Studentin eine eigene Rockband gehabt habe. Und als Dozentin müsse man schließlich auch Entertainerin sein, um junge Leute länger als ein bis zwei Stunden zu interessieren. Vielleicht lasse die SPD ihr deshalb auch freie Hand, für ihre Politik so zu werben, wie sie es für richtig halte.

Bildungspolitik in Deutschland soll sich ändern

So verteilt Yasemin Karakaşoğlu im Wahlkampf keine Kugelschreiber und bläst auch keine Luftballons auf. Stattdessen wechselt sie von einer Diskussionsrunde zur nächsten und spricht von ihren Plänen.

Yasemin Karakaşoğlu vor einem Mikrophon (Foto: DW/W. Dick)
Yasemin Karakaşoğlu liest Märchen vorBild: DW/W. Dick

Karakaşoğlu will den Unterricht von Sprachen wichtiger Herkunftsländer von Einwanderern stärker fördern. "Ausbildung muss interkulturell ausgerichtet sein. Schon von frühestem Kindesalter an", sagt sie. "Ich habe Glück gehabt mit meinem bildungsbürgerlichen Elternhaus". Ihr Vater, der zum Studium aus der Türkei nach Deutschland kam, habe ihr den Wechsel zwischen den Kulturen stets erleichtert.

Diesen selbstverständlichen Wechsel und das Miteinander wünscht sich Yasemin Karakaşoğlu auch an den Universitäten. Die gegenseitige Anerkennung von Hochschulabschlüssen funktioniere immer noch nicht so, wie das einmal auf einer EU-Konferenz in Bologna vereinbart worden war. "Hier müssen wir Anreize setzen und Universitäten besser ausstatten, wenn sie mehr international Studierende aufnehmen." Sie plane, Hindernisse bei der Anerkennung von Hochschulabschlüssen weiter abzubauen.

Warum Karakaşoğlu tatsächlich etwas erreichen könnte

In die Politik wollte Yasemin Karakaşoğlu eigentlich nicht. Bis heute gehört sie keiner Partei an. Auch nicht der SPD, für die sie Wahlkampf macht. Bekannt wurde sie mit ihrem Gutachten zum sogenannten Kopftuch-Urteil des obersten deutschen Gerichts, dem Bundesverfassungsgericht.

Yasemin Karakaşoğlu in einer Diskussion (Foto: DW/W. Dick)
Sie mag die Diskussion: Karakaşoğlu im GesprächBild: DW/W. Dick

Dabei geht es um eine Muslimin, die sich als Lehrerin beworben hatte. Die junge Türkin wollte im Unterricht das Kopftuch tragen. In Deutschland aber gilt: Schulen verhalten sich in religiösen Dingen neutral. Das Land Baden-Württemberg lehnte die Türkin als Lehrerin ab. Die Behörden vertraten die Ansicht, das Tragen eines Kopftuches symbolisiere den Unwillen zur Integration und eine politisch feindliche Haltung.

Yasemin Karakaşoğlu konnte mit ihren Forschungen nachweisen, dass gerade dann Integration gelingt, wenn die eigene Identität bewahrt werden darf. Ein Kopftuch als Ausdruck von religiöser Zugehörigkeit oder Familientradition wäre also Voraussetzung und keinesfalls ein Hindernis für eine gelungene Integration. Das Bundesverfassungsgericht entschied schließlich 2003, dass das Tragen eines Kopftuches im Unterricht für die Lehrerin ein Grundrecht ist. Das Land könne der Türkin also nicht verbieten, Lehrerin zu werden.

Am Ende des Wahlkampftages reiht Karakaşoğlu sich schließlich mit allen anderen Mitgliedern des Kompetenzteams im Hintergrund einer großen Bühne ein. Vorne am Rednerpult spricht Peer Steinbrück über seine Zukunftspläne als Kanzler. Er redet mehr als eine Stunde. Das Kompetenzteam erwähnt er mit keinem Wort. Als man das Team schließlich doch noch nach vorne bittet, ist Yasemin Karakaşoğlu nicht mehr dabei. Sie verbringt den Abend mit ihren Kindern und ihrem Mann, die den ganzen Tag auf sie gewartet haben.