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Kann Kunst die Welt retten?

Dennis Große-Plankermann6. Oktober 2014

Bei "Save the world" haben sich das Beethovenfest und das Theater Bonn mit Experten, Künstlern und Publikum Großes vorgenommen. Das dreitägige Festival bewegte sich zwischen Euphorie, Besorgnis und Selbstironie.

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Festival SAVE THE WORLD
Bild: Thilo Beu

Auf dem Schauspielgelände in Bonn-Beuel trafen vom 3. bis 5. Oktober Vertreter von internationalen Organisationen, der Wissenschaft und der Kunst aufeinander, um auf eine "utopische Expedition" zu gehen und neuartige Antworten auf Klimawandel, Hunger und Armut zu finden.

Die künstlerische Leiterin Nicola Bramkamp hofft, dass die unterschiedlichen Disziplinen sich gegenseitig befruchten und die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns publikumswirksam vermittelt werden kann. Doch sie bleibt bescheiden: "Es sollen verschiedene Themenfelder erst einmal angerissen werden, mehr schafft man in der Kürze der Zeit gar nicht - und um mehr geht's auch nicht", erklärt sie der DW.

Das Ende der Welt?

Schon am Eingang offenbart das Festival seine eigentümliche Mischung aus Euphorie, Besorgnis und Selbstironie. Wie aus einem Megaphon dringt die Stimme des Schauspielers Bernhard Dechant aus dem Pförtnerhäuschen am Eingang des Geländes, einer ehemaligen Jutespinnerei. Betont lässig sitzt er mit Zigaretten und Bier hinter einer Glasscheibe und liest. Seine Mission ist, das 800-seitige Drama "Die letzten Tage der Menschheit" des österreichischen Schriftstellers Karl Kraus aus dem Jahr 1922 innerhalb von 24 Stunden zu lesen. Eigentlich ist das Stück einem Theater auf dem Mars zugedacht, doch wir sind auf der Erde. Offenbar haben das Theater Bonn und das Beethovenfest unseren Planeten noch nicht ganz abgeschrieben.

Schauspieler Bernhard Dechant sitzt im Pförtnerhäuschen am Eingang des Geländes (Foto: Dennis Große-Plankermann)
24 Stunden für 800 SeitenBild: DWD. Große-Plankermann

Im Festivalzentrum fällt der Startschuss für das Herzstück der Veranstaltung, die "utopische Expedition". Dabei läuft das Publikum einen Parcours aus sechs Stationen ab, der quer durch die ehemaligen Produktionshallen führt. Jeweils 15 Minuten lang überraschen je ein Künstler und ein "Weltrettungsexperte" die Teilnehmer mit einer eigens konzipierten Präsentation.

Hunger, Hühnchen, Fukushima

Los geht es mit dem Thema Hunger. Das Publikum zieht Lose und setzt sich an eine gedeckte Tafel. Serviert wird jeweils, was auf dem Zettel steht: zu viel, ausgewogen, zu wenig - oder nichts. Teilen ist "aus hygienischen Gründen" verboten, und was nicht gegessen wird, landet im Mülleimer: Mit leichtem Unbehagen beginnen diejenigen, die etwas auf dem Teller haben, ein paar Happen Hühnchen, Reis und Möhren herunterzuschlucken, während Regisseurin Judith Wilske und Entwicklungsforscher Detlef Virchow über den Hunger in der Welt informieren.

Patrick Wengenroth liest Becketts "Endspiel" (Foto: Dennis Große-Plankermann)
Regisseur und Performer Patrick WengenrothBild: DWD. Große-Plankermann

Im nächsten Raum wartet absurdes Theater, das Sätze aus Samuel Becketts apokalyptischem Drama "Endspiel" mit Zitaten von Angela Merkel kombiniert. Heraus kommt eine kritisch-ironische Reflexion über die menschliche Überforderung angesichts komplexer Probleme wie der Atomkatastrophe von Fukushima.

Asphalt, Zombies, virtuelle Welten

Dann werden die Zuschauer wieder selbst aktiv: Mit Hammer und Meißel bewaffnet versuchen sie, einen Haufen Asphalt zu zerstören, der vor ihnen auf dem Boden liegt. Sie erfahren dabei, wie schwer es ist, versiegelte Flächen für die Natur zurückzugewinnen. Einen Raum weiter wird das Potential virtueller Spiele ausgelotet, in denen die Weltrettung zum Dauerthema geworden ist.

Sollte diese Energie nicht besser für die Rettung der realen Welt verwendet werden? Oder können wir aus den Spielen Wichtiges lernen? Mittels Projektion landen die Zuschauer plötzlich selbst in einer virtuellen Welt auf der Leinwand.

Das Publikum zerschlägt Asphalt (Foto: Dennis Große-Plankermann)
Versiegelte FlächenBild: DWD. Große-Plankermann

Im nächsten Raum wartet eine Entscheidung: Sind Menschen verantwortungsbewusst oder doch eher kapitalistische Zombies? Einigen Teilnehmern steht die vermeintliche Antwort buchstäblich ins Gesicht geschrieben: Sie werden live zu Untoten geschminkt.

Klima-Fee, Erderwärmung, veganes Gebäck

Ungehemmt utopisch geben sich Nick Nuttall vom Klimasekretariat der Vereinten Nationen und die Musikerin Bernadette La Hengst. Als "climate man" taut Nuttall im Jahr 2054 auf, als das Eis schmilzt, das ihn jahrzehntelang konserviert hat. Eine Zeitmaschine bringt ihn zurück in die Gegenwart, wo er mit der grün-beflügelten Klima-Fee La Hengst beschließt, gegen die Erderwärmung anzusingen - zusammen mit dem Publikum. Im Gespräch mit der DW beschreibt La Hengst das Singen als Metapher für gemeinsames Handeln und ein neues Marktsystem, das auf dem Teilen von Gütern basiert und auf diese Weise überschüssige Produktion vermeidet. "Für mich war bei der Konzeption wichtig, dass das Publikum gemeinsam aktiv sein muss, um etwas zu verändern."

Der "Klimatopia-Chor" soll durch lauten Gesang die fortschreitende Erderwärmung aufhalten- auf der Leinwand ist der fiktive Pegel abzulesen. Aber so richtig laut singt das ohnehin etwas dünn gesäte Publikum nicht mit. Zwischen Infos über globale Katastrophen, Kunstperformance und veganem Gebäck scheinen viele irritiert: Reale Probleme, berechtigte Hoffnung und echtes Engagement, aber auch der Verdacht von relativer Ohnmacht und der Geruch von Moralisierung liegen in der Luft - alles gleichzeitig.

Musikerin Bernadette La Hengst singt als Klima-Fee ihren Song "Save the world (Foto: Dennis Große-Plankermann)
Klima-Fee Bernadette La HengstBild: DWD. Große-Plankermann

Globale Verantwortung und Sorgen des Alltags

Vielleicht bringt die anrührende Performance der österreichischen Künstlerin Anna Mendelssohn "Cry me a river" diese eigenartige Stimmung am besten auf den Punkt. In einer Art Klimakonferenz bewegt sie sich immer glaubwürdig zwischen Wutausbrüchen, Lebensfreude und tiefer Traurigkeit. Wie selbstverständlich bringt sie dabei das schwierige Verhältnis zwischen globalem Verantwortungsgefühl und den ganz persönlichen Alltagssorgen zur Sprache. Es ist, als würde sie sagen: "Ja, die Welt ist mir wichtig. Aber bin ich selbst mir nicht wichtiger?" Offenbar spricht Mendelssohn dem Publikum aus der Seele - es belohnt sie mit lang anhaltendem Applaus.