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Kann die Nationalgarde die Ukraine retten?

Roman Goncharenko21. März 2014

Es scheint, als ob die Ukraine sich auf einen Krieg gegen Russland vorbereitet. Die neu gegründete Nationalgarde soll die Armee unterstützen. Die Regierung will auch bewaffnete Milizien in die neue Garde einbinden.

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Ein Anwerbepunkt für die ukrainische Nationalgarde in Kiew (Foto: DW)
Bild: DW/R. Goncharenko

Ein grauer Märztag in Kiew. Das beliebte Café auf dem Prachtboulevard Chreschtschatik in der Nähe des Unabhängigkeitsplatzes (Maidan) ist für Besucher geschlossen. Stattdessen gehen dort Männer in grünen Tarnuniformen und dunkelroten Baretten ein und aus. Auf der Straße neben dem Eingang stehen ein einfacher Tisch und drei Stühle, umringt von Männern in Zivil. Ein Mann mittleren Alters lässt sich von einem jungen Offizier etwas erklären, die anderen hören zu.

15.000 Nationalgardisten bis Ende März

Portrait von Oberst Myhailo Kardinal vpn der Nationalgarde der Ukraine (Foto: DW)
Oberst Myhailo Kardinal: In der Nationalgarde werden vor allem Berufssoldaten dienenBild: DW/R. Goncharenko

Hier wirbt die Nationalgarde der Ukraine um Freiwillige. "Wir sind erst seit einigen Tagen hier", sagt Oberst Myhailo Kardinal. "Unsere Aufgabe ist es, Leute zu informieren und Interessierte an Einberufungszentren weiterzuleiten." Kardinal, ein kräftiger Mann Mitte 40, leitet den Anwerbedienst für die Nationalgarde beim ukrainischen Innenministerium.

Die Nationalgarde wurde am 12. März 2014 vom Parlament in Kiew gegründet. Sie soll bis zu 60.000 Mann stark sein und für die innere Sicherheit sorgen. Zu ihren Aufgaben zählen auch der Grenzschutz und die Terrorabwehr. Bis Ende März will die Regierung zwischen 10.000 und 15.000 Nationalgardisten einberufen haben. "Es werden vor allem Berufssoldaten sein, mit denen Verträge über drei oder fünf Jahre abgeschlossen werden", sagt Myhailo Kardinal.

Wiederbelebung der alten Truppe

Die neue Truppe soll helfen, die Lage im Land in Krisenzeiten unter Kontrolle zu halten, so das Kalkül. Ob Unruhen mit Schießereien wie zuletzt in der Ost-Ukraine oder ein offener Krieg mit Russland, der in Kiew befürchtet wird, die Nationalgarde soll die Polizei und die Armee stärken. Beide könnten Hilfe gut gebrauchen, sagen Beobachter in Kiew. Denn die Polizei ist nach dem jüngsten Machtwechsel in Kiew stark demoralisiert. Die ukrainische Armee wurde Jahrzehnte lang unterfinanziert und ist den russischen Streitkräften zahlenmäßig und technisch stark unterlegen.

Oberst Kardinal hofft, dass es diesmal keine finanziellen Probleme geben wird. "Die Regierung hat versprochen, die Militärausgaben um das Zehnfache zu erhöhen", sagt der Offizier. Viel Geld kann er den Freiwilligen allerdings nicht bieten. Einfache Soldaten der Nationalgarde würden monatlich rund 3000 ukrainische Hriwna bekommen (umgerechnet 214 Euro), sagt Kardinal. Das entspreche einem Durchschnittsgehalt. Offiziere bekämen das Doppelte.

Eigentlich gab es schon mal eine Nationalgarde in der Ukraine. Erstmals wurde sie im Spätherbst 1991 gegründet. Zu jener Zeit hatte sich die Ukraine bereits für unabhängig erklärt, doch die Sowjetunion existierte noch. Die Nationalgarde wurde direkt dem Präsidenten unterstellt und besonders gut versorgt. Zu ihren Aufgaben zählte damals der Katastrophenschutz, die Bewachung prominenter Politiker oder ausländischer Botschaften. Im Jahr 2000 wurde die Nationalgarde aufgelöst, ihre Einheiten dem Innenministerium übergeben.

"Russland will uns in die Knie zwingen"

Russische Einheiten besetzen ukrainischen Marinestützpunkt in Sewastopol (Foto: REUTERS/Vasily Fedosenko)
Russische Einheiten besetzen die ukrainischen Militäreinrichtungen auf der KrimBild: Reuters

"Heute waren es rund 100 Männer, die sich freiwillig gemeldet haben, sagt Oberst Kardinal. Einer von ihnen ist Andrij, ein großer schlanker Mann mit kurzen grauen Haaren. Er diente bereits Mitte der 1990er Jahre in der Nationalgarde und will heute als Freiwilliger einberufen werden. "Der Auslöser war für mich der Einmarsch russischer Truppen auf der Krim", sagt er mit einer sanften Stimme. "Die Russen sollen sich aus der Ukraine heraushalten", sagt er. "Ich mag es nicht, wenn jemand versucht, meinem Land seinen Willen aufzuzwingen."

Andrij ist 36, arbeitet bei einem Transportunternehmen und hat eine Tochter. "Als ich bei der Nationalgarde diente, war ich Kommandeur einer Einheit von Schützenpanzern", erzählt er. Heute sei es ihm egal, wo er dienen würde: "Ich kann einfach nicht mehr zu Hause sitzen." Andrij glaubt, dass es zu einem Krieg zwischen Russland und der Ukraine kommen könnte.

Der "Rechte Sektor" will nicht zur Nationalgarde

Mit der Schaffung der Nationalgarde will die Regierung in Kiew noch ein Ziel erreichen: Sie will die freiwilligen Milizen entwaffnen, die sich während der revolutionären Ereignisse im Februar gebildet hatten. Das Innenministerium und der Inlandsgeheimdienst SBU forderten bereits die Ukrainer auf, illegal erworbene Waffen abzugeben.

Der Appell richtet sich unter anderem an die rechtsradikale Bewegung "Prawy Sektor" (Rechter Sektor), die während der Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Polizei in Kiew eine wichtige Rolle gespielt hatte. Nach Berichten ukrainischer Medien sind viele Mitglieder der Gruppe paramilitärisch ausgebildet. Der "Rechte Sektor" erklärte jedenfalls, die Waffen nicht abgeben zu wollen. Der Anführer der Bewegung, Dmytro Jarosch, wird mit den Worten zitiert, die Übungen der Nationalgarde sähen aus wie Ausflüge zu einem Militärstützpunkt und nicht wie "echtes Kampftraining".