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Kampf den Klischees

Ronny Blaschke19. Juli 2013

Lange dominierte das Warten auf ein Coming-out eines Fußball-Profis die Debatte um Homosexualität im Sport. Zwei Initiativen wollen mit dem DFB der Schwulenfeindlichkeit mit neuen Bildungsprojekten begegnen.

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Fußball Bundesliga 32. Spieltag: 1. FSV Mainz 05 - VfL Wolfsburg am Freitag (20.04.2012) in der Coface Arena in Mainz. Die Mainzer Fans setzen vor dem Anpfiff ein Zeichen gegen Homophobie. (Foto: Fredrik von Erichsen/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

40 Jahre führte Burkhard Bock ein Leben im Schatten. Seit der Kindheit widmete er seine Freizeit dem Fußball, seit der Pubertät wusste er, dass er schwul ist. Beides, so glaubte er, lasse sich nicht vereinbaren. In seinem Heimatverein Traktor Lychen im nördlichen Brandenburg legte er sich eine unsichtbare Maske zu: aggressiv auf dem Spielfeld, zurückhaltend im Alltag. "Ich habe jede meiner Bewegungen kontrolliert", sagt Bock, ein Mann von kräftiger Statur mit Schnurrbart und Stoppelfrisur. "Ich konnte auf dem Land mit niemandem sprechen. Dadurch habe ich mich immer mehr von der Welt isoliert."

Burkhard Bock wollte den inneren Druck und die Depressionen auf unterschiedliche Weise ausgleichen: zunächst mit viel Arbeit, als Verbandsfunktionär und Schiedsrichter, dann mit viel Alkohol. Schließlich wollte er sich mit Schlaftabletten das Leben nehmen. "Im letzten Moment habe ich mich zusammengerissen und einen Neuanfang gewagt", sagt er. Bock wandte sich 2010 mit einem Schreiben an Marcus Urban. Der ehemalige DDR-Jugendnationalspieler hatte seine Laufbahn mit Anfang 20 beenden müssen, weil er das Versteckspiel als schwuler Kicker nicht mehr ertragen konnte.

Schiedrichter Burkhard Bock (Foto: Blaschke/DW) Bild: 17.07.2013, Ronny Blaschke, zugeliefert von Ronny Blaschke
Schiedsrichter Burkhard BockBild: Ronny Blaschke

Vierzehn fehlende Unterschriften

Bock und Urban, der sich inzwischen zum Motivationscoach hatte ausbilden lassen, telefonierten regelmäßig. Sie trafen sich und erarbeiteten einen Weg zum Coming-out. Im August des vergangenen Jahres verlas Burkhard Bock vor 50 Schiedsrichtern eine Erklärung und sagte, dass er schwul ist. Die Kollegen applaudierten, einige umarmten ihn, bis heute hat er keine negativen Reaktionen wahrgenommen. "Ich bin ein neuer Mensch", sagt Bock. "Ich bedauere es sehr, diesen Schritt nicht früher gemacht zu haben."

Der ehemalige Fußball-Profi Marcus Urban (Foto: dpa)
Der ehemalige Fußball-Profi Marcus UrbanBild: picture-alliance/dpa

Diese Geschichte zeigt, worauf es in der seit 2006 laufenden Debatte um Homosexualität im Fußball tatsächlich ankommt: auf den behutsamen Umgang im Einzelfall. Einen Satz betonte Jörg Litwinschuh bei der Vorstellung einer neuen Bildungsoffensive am Mittwoch in Berlin daher immer wieder. "Wir möchten keinen Druck aufbauen und homosexuelle Sportler identifizieren", sagte der Geschäftsführer der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Die 2011 gegründete Stiftung, benannt nach dem Arzt und Sexualforscher Hirschfeld, hat das Ziel, die konservativen Geschlechterbilder im Sport aufzuweichen.

Um Aufmerksamkeit zu erhalten, setzt die Stiftung auf Symbolpolitik: 15 Erstunterzeichner verabschiedeten die "Berliner Erklärung", darunter drei Bundesministerien, DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und Uli Hoeneß, Präsident des FC Bayern. Aussagekräftig wird die Erklärung allerdings erst durch die 14 der 18 Bundesligaklubs, die bislang noch nicht unterschrieben haben. Auch die Deutsche Fußball-Liga DFL und andere Sportfachverbände wollen das Projekt zunächst nur beobachten. Die Hirschfeld-Stiftung hatte sich wochenlang bemüht, aktive oder ehemalige Profikicker für die Präsentation zu gewinnen. Vergeblich. Burkhard Bock saß am Mittwoch im Publikum, für ihn ist das Fernbleiben der Prominenz keine Überraschung: "Wir müssen Geduld haben."

Auf der Suche nach belastbaren Ergebnissen

Mehrfach hat sich im Kampf gegen Diskriminierung gezeigt, dass plakative Botschaften den gesellschaftlichen Kern des Problems verdecken können. Schon 2007 hatten Fan-Aktivisten in einer "Leipziger Erklärung" Forderungen festgeschrieben, um Homophobie im Fußball einzudämmen, begleitet von Aktionsabenden in Berlin, Köln und Stuttgart. Einige Vereine nutzten die Öffentlichkeit, um sich als liberal zu vermarkten, doch an einer Auseinandersetzung mit den Strukturen waren sie nicht interessiert.

Robbie Rogers im Trikot von Los Angeles Galaxy (Foto: dpa)
Positives Beispiel: In den USA hat sich in diesem Jahr Fußball-Profi Robbie Rogers geoutetBild: picture-alliance/dpa

Noch immer verkörpert der heterosexuelle Mann die Leistungsnorm des Fußballs. In der Studie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit der Universität Bielefeld haben 25,3 Prozent der Befragten folgender Aussage zugestimmt: "Es ist ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen." Durch Männlichkeitskult und Fanfeindschaften können diese Vorurteile in den Stadien stärker ausbrechen.

"Viele Kinder wachsen im Sport mit Stereotypen auf", sagt Martin Schweer, Sportpsychologe der Universität Vechta, die gemeinsam mit einigen Bundesligisten Forschungen anstoßen will. "Wir brauchen belastbare empirische Daten über Geschlechterrollen im Sport." Schweer hofft, dass sich mit den ersten Ergebnissen andere Klubs und Verbände anschließen. In der nächsten Phase sollen prägnante und niedrigschwellige Module für die Aus- und Weiterbildung geschaffen werden, für Trainer, Betreuer, Schiedsrichter.

Broschüre für die 26.000 Vereine

Der DFB setzte lange auf Symbolpolitik: 2009 nutzte der Verband ein Länderspiel in Hamburg gegen Finnland, um für den Kampf gegen Homophobie zu werben, mit einem Flyer und einem Runden Tisch. Der ehemalige Präsident Theo Zwanziger sprach vor schwulen Unternehmern, brachte ein Theaterstück und einen ARD-Tatort auf den Weg. Der DFB finanzierte einen Fan-Wagen auf dem Christopher Street Day in Köln und organisierte im Januar 2012 ein Dialogforum. Nach dem Ausscheiden Zwanzigers äußerten Aktivisten die Befürchtung, unter seinem Nachfolger Wolfgang Niersbach würde das Engagement einschlafen.

Der ehemalige Praesident des Deutschen Fussball-Bunds (DFB), Theo Zwanziger (r.), steht am Freitag (02.03.12) in Frankfurt am Main auf einem Ausserordentlichen Bundestags des DFB neben dem neu gewaehlten DFB-Praesidenten Wolfgang Niersbach (Foto: Thomas Lohnes/dapd)
Wolfgang Niersbach und Theo ZwanzigerBild: dapd

Niersbach lässt nun seine Berater argumentieren. Am Dienstag (16.07.2013) veröffentlichte der DFB "Fußball und Homosexualität", eine Broschüre mit Empfehlungen, Begriffserklärungen und Kontaktadressen, die an alle Regional- und Landesverbände sowie an die 26.000 Vereine versandt wird. Seit Herbst 2012 haben Experten aus Wissenschaft, Medien und Fußball den Inhalt zusammengestellt. Anders als die vergleichsweise kleine Hirschfeld-Stiftung möchte der föderal aufgestellte DFB das Thema schrittweise in die Ausbildung seiner Trainer und Schiedsrichter einfließen lassen, zu stark werden noch Berührungsängste und Widerstände in einflussreichen Landesverbänden geäußert. "Diese Broschüre soll ein Anstoß sein", sagt der Fanforscher Gunter A. Pilz, Vorsitzender der Expertengruppe. "Wir wollen die Diskussion versachlichen." Im September werden sich Vertreter der Hirschfeld-Stiftung und des DFB in Frankfurt treffen, um beide Initiativen aufeinander abzustimmen.

Burkhard Bock will die Ziele an der Basis voran treiben. Im Fußballverband Brandenburgs ist er nun Ansprechpartner für Spieler und Schiedsrichter, die das Versteckspiel hinter sich lassen wollen. Jahrzehnte lang war er verzweifelt und hatte keine Antworten auf seine Fragen. In Berlin musste auch er Interviews geben. Nun ist er Vorbild und gibt anderen Orientierung: "Meine Lebensqualität ist enorm gestiegen."