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Körper gewordener Gott

2. November 2013

Am Fest Allerseelen gedenken die Christen ihrer lieben Verstorbenen. Das Thema „letztes Gericht“ dabei aufgeklärt beiseite zu schieben, funktioniert nicht, meint Schwester Margareta Gruber von der katholischen Kirche.

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Christus Pantokrator in der Apsis der Kathedrale von Cefalu auf Sizilien (Italien). Mosaik im byzantinischen Stil. CC BY-SA-Gun Powder Ma Quelle Wikipedia
Christus Pantokrator, Kathedrale von CefalùBild: CC BY-SA-Gun Powder Ma

Am 2. November feiert die Katholische Kirche Allerseelen. Das ist der Tag, an dem viele auf die Gräber gehen und für ihre Verstorbenen beten. Oft höre ich, wie Menschen ihre Hoffnung ausdrücken, ihre Toten seien bei Gott. Auch ich möchte das glauben. Seit meiner Kindheit habe ich jedoch über etwas anderes nachgegrübelt, und niemand konnte meine Unruhe beantworten: Wie ist das mit dem Gericht?

Das Gericht – ich denke nicht gerne daran, denn dann kommen die Bilder, die ich in vielen Kirchen gesehen habe: Feuer und Schwefel, Trompeten, Engel mit Schwertern, Teufel mit fürchterlichen Fratzen, Himmel und Hölle. Ich weiß mittlerweile zwar, dass Gott kein grausamer und kleinlicher Big Brother ist, der es genießt, Abrechnung zu halten. Das ist eine Projektion meiner Angst. Das ganze Thema Gericht aber aufgeklärt beiseite zu schieben funktioniert auch nicht wirklich, denn im Grunde weiß ich auch, dass ich mein Leben nicht zum Spaß habe, und dass ich verantwortlich bin für das, was ich tue und nicht tue.

Im Gleichnis vom Weltgericht erscheint Christus und sagt zu den Menschen: „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu Essen gegeben, ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen ...“ (vgl. Mt 25,35f). Man sieht den Weltenrichter als den Menschensohn in der Niedrigkeit seiner Brüder und Schwestern, mit denen er sich identifiziert. Ich weiß, dass ich Christus im Armen oft nicht gedient habe. Ich kenne schon jetzt eine Art „inneren Richter“ meines Tuns: Ich merke, wenn ich ehrlich zu mir bin, wenn ich hinter dem zurückbleibe, was meine Möglichkeit ist; wenn ich zu wenig gedient, mich halbherzig eingesetzt und nichts riskiert habe, wenn ich ängstlich, träge oder selbstbezogen gehandelt habe. Die erschreckende Möglichkeit, mein Leben verfehlen zu können, meldet sich immer wieder als Unruhe in mir.

Wenn mich solche Gedanken beschäftigen, versuche ich, mir eine Erfahrung zu vergegenwärtigen, die ich als Studentin gemacht habe. Sie begleitet seither mein Leben, gibt mir Hoffnung und nimmt es immer wieder mit der Unruhe auf. Es war in Cefalù auf Sizilien. Ich stand vor einem großen Mosaik des Weltenherrschers, des Pantokrators. Sein Blick erschien mir streng; er schaute nicht mich an, sondern über mich hinweg in die Weite – er umfasste die Geschichte. Mit der linken Hand hielt er das Evangelium, die rechte hatte er zum Sprechen erhoben. Er ist das Wort Gottes. Darüber war ein lateinischer Spruch, und mein Ehrgeiz ließ nicht locker, bis ich ihn übersetzt hatte. Doch dann durchfuhr es mich von oben bis unten. Dort stand: Ich werde Richter sein und die Körper und Herzen der Menschen richten – ich, Gott, der ich einen menschlichen Körper angenommen habe. In diesem Augenblick habe ich nicht nur mit dem Kopf verstanden, was das meint, sondern es ist mir als Wahrheit sozusagen innerlich aufgeleuchtet: Dass der, der mein Leben anschauen wird und der das letzte Wort darüber sprechen wird, das über alles entscheidet, der ist, der mich gewollt und gemacht hat. Und mehr noch: der selber einen menschlichen Körper und ein menschliches Herz hatte, wie ich eins habe. Ein Körper gewordener Gott ist einer, der sich mit der menschlichen Schwachheit identifiziert hat – auch mit meiner Schwachheit, mit meinen Versuchungen und meinem Versagen dem Leben und seiner Aufgabe gegenüber. Ich weiß nicht, mit welchem Blick er mich einmal ansehen wird – ich hoffe, dass es ein Blick des Erbarmens ist. Im Ersten Johannesbrief steht: „Denn wenn das Herz uns auch verurteilt – Gott ist größer als unser Herz, und er weiß alles.“ (1 Joh 3,20).

Heute, wenn ich ein Kreuz sehe, zum Beispiel auf einem Grab, erinnert es mich an das Äußerste meines Glaubens: an einen Körper gewordenen Gott. Das aber heißt: Der mich richten wird, ist der, der für mich gestorben ist. Das ist die einzige Antwort, die der Glaube auf die bange Frage nach dem Richter gibt. So weist das Evangelium über die Angst hinaus in ein radikales Vertrauen.

Zur Autorin: Sr. Margareta Gruber ist Franziskanerin von Kloster Sießen und seit 2008 Professorin für Neues Testament an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar. Von 2009-2013 lebte und lehrte sie in Jerusalem. Als Inhaberin des Laurentius-Klein-Lehrstuhls für Biblische und Ökumenische Theologie war sie Dekanin des Theologischen Studienjahrs Jerusalem an der Abtei Dormitio Mariae. Seit August 2013 lebt und lehrt sie wieder an der Theologischen Fakultät in Vallendar.

Sr. Margareta Gruber ofm, Kloster Sießen (Baden-Württemberg); Copyright: privat
Sr. Margareta Gruber ofmBild: privat