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Junge kroatische Literatur zu Gast auf Leipziger Buchmesse

6. März 2008

Kroatien ist Schwerpunktland auf der diesjährigen Buchmesse in Leipzig. Vorgestellt werden junge Autoren, die in den Jahren des Zerfalls Jugoslawiens und des nachfolgenden Krieges zu schreiben anfingen.

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Mosaikaritger Stil kennzeichnet junge kroatische AutorenBild: presse

Mitte der 90er Jahre meldete sich eine Generation kroatischer Autoren zu Wort, die vor dem Hintergrund des auseinander gebrochenen Staates Jugoslawien zu schreiben begonnen hatte. Es sind neue Stimmen, deren Literatur ohne den Krieg nicht denkbar ist: Vertreibung, Belagerung, Flucht haben sie zu Zeugen innerer und äußerer Verwüstungen gemacht – und eine ungeheure Kreativität freigesetzt.

„Ein Wunder in der Not“

Nenad Popovic, einer der größten Kenner der kroatischen Gegenwartsliteratur, hat diese Stimmen eingefangen: Der Band „Kein Gott in Susedgrad“ (Schöffling Verlag) sammelt Texte von Autoren, die in ihrer Heimat längst prominent, in Deutschland zum großen Teil aber noch unbekannt sind. Mit den erstmals ins Deutsche übersetzten Texten wird eine ganze Generation kroatischer Autoren einem deutschen Lesepublikum zugänglich.

Eigentlich wollte Nenad Popovic nie Verleger werden. Es waren die gesellschaftlichen Umbrüche in den 90er Jahren und der Krieg, die den damaligen Leiter eines kleinen Grafikbetriebes zu einem der international bekanntesten kroatischen Verleger machten. “Die totale Besetzung, Vernichtung, Umzingelung, Hunger. Bihac, Banja Luka, Sarajewo natürlich, Mostar. Die Zerstörungen. Und dann kamen plötzlich jene bosnischen Autoren, die irgendwie raus konnten. Und wie das bei Schriftstellern immer so ist, auch mit einem Manuskript. Dann gab es ein Wunder in der Not. Ich glaube, die große menschliche Krise hat Menschen sehr viel lesen lassen.“

Ausdruck einer verlorenen Generation

Diese Krise hat auch eine neue Generation kroatischer Autoren hervorgebracht, die Nenad Popovic nun in dem Band „Kein Gott in Susedgrad“ auch dem deutschen Lesepublikum bekannt machen will. Doch das zentrale Thema dieser „postjugoslawischen Autorengeneration“ ist die eigene Lebenswirklichkeit, das eigene Lebensgefühl. Die Autorin Olja Savicevic sagt: “Als der Krieg ausbrach, wechselte ich gerade aufs Gymnasium. Als der Krieg zu Ende war und man wieder begann normal zu leben, war ich plötzlich 25. Und deshalb glaube ich, dass meine Generation so eine Art verlorene Generation ist. Eine Generation, deren beste Jahre einfach in diesem Loch von Kriegs- und Nachkriegszeit verschwunden sind. Vielleicht wollen wir deshalb ewig Teenager bleiben.“

In den filigranen Erzählungen ihres Buches “Augustschnee“ lässt die 1974 geborene Autorin Olja Savicevic ihre Protagonisten vor der mediterranen Kulisse ihrer am Meer gelegenen Heimatstadt Split nach dem Sinn des Lebens suchen. Ihren Lebensunterhalt verdient sie, wie fast alle Autoren ihrer Generation jedoch nicht mit der Literatur, sondern als Journalistin.

Kaffeehausgeschichten mit Kultstatus

Überhaupt fühlen sich die jungen kroatischen Autoren in der neuen Medienwelt sehr heimisch und nutzen deren Möglichkeiten virtuos und – wie im Fall des Autors Dalibor Simpraga – auch virtuell. Als Blogger schuf Simpraga unter dem Pseudonym Andrej Puplin ein Cyberwesen, das recht schnell ein Eigenleben entwickelte. Simpraga erzählt: “Andrej Puplin war ein Name, den ich in einer meiner Geschichten erfunden hatte. Diese Geschichten waren im Zagreber Slang geschrieben und setzten sich mit den Problemen meiner Generation in den 90er Jahren auseinander. Aber ich habe auch sehr ernsthafte Interviews mit diesem Andrej Puplin gemacht.“ Mittlerweile genießen die “Kaffeegeschichten des Andrej Puplin“ längst Kultstatus. Er erreichte einen Grad an Authentizität, der viele Leser glauben ließ, dieser Andrej Puplin existiere wirklich.

Vielleicht ist es genau das, was die jungen Autoren Kroatiens auszeichnet – sehr dicht am Leben der Menschen zu sein und eigentlich deren Geschichten zu erzählen. Nicht selten ähneln ihre Romane daher Mosaiken, die sich der Leser erst zusammensetzen muss. In einer ihrer Erzählungen nimmt Olja Savicevic Bezug auf eine Geschichte des bulgarischen Autors Georgi Gospodinov, in der sich dieser mit der Konstruktion eines Fliegenauges beschäftigt. Das Auge einer Fliege produziere tausende Bildpunkte, sei aber nicht in der Lage, seine Umgebung als Ganzes zu erfassen. Den jungen kroatischen Autoren, sagt Savicevic, gehe es im Prinzip genauso: “Die jüngeren Autoren, die bei uns Romane schreiben, schreiben diese jedenfalls auch sehr fragmentiert, und vielen dieser Romane ist ein Grundton der Niedergeschlagenheit eigen. Meine Generation und auch die jüngere Autorengeneration hat jedenfalls nicht die Absicht, irgendwelche Klassiker zu schreiben. Wir beschreiben die Dinge einfach wie sie sind.“

Mirko Schwanitz