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"Juden und Muslime gehören zu Deutschland"

Kay-Alexander Scholz22. November 2012

Ernsthaft, respekt- und niveauvoll hat der Bundestag eine Gesetzesvorlage zur Beschneidung von Jungen debattiert. Eine Glaubenskontrolle dürfe es nicht geben, waren sich alle einig. Aber was ist mit dem Kindeswohl?

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Ein Rabbiner verfolgt im Bundestag in Berlin die Debatte (Foto: dapd)
Bild: dapd

"Wir wollen und müssen zur Normalität zurückkehren, die weltweit und bisher auch in Deutschland galt", betonte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Auftakt der 90-minütigen Debatte im Deutschen Bundestag. Beschneidungen müssten wieder möglich sein, "ohne den Staatsanwalt fürchten zu müssen". Zwar bleibe das Urteil des Kölner Landgerichts vom Mai 2012, das eine unerlaubte Körperverletzung des Kindes feststellte, eine Einzelfallentscheidung. Dennoch habe dies zu einer großen Verunsicherung bei Juden und Muslimen in Deutschland geführt. Deshalb habe die Bundesregierung nun eine Ergänzung im bürgerlichen Familienrecht vorgelegt, die eine Beschneidung generell straffrei setzt, wenn bestimmte medizinische Standards eingehalten werden.

Kleiner oder großer Eingriff?

66 Abgeordneten aus den Reihen der Oppositionsparteien SPD, Grünen und Linkspartei geht dieser Entwurf nicht weit genug. "Wir sehen in der Entfernung der Vorhaut keinen minimalen, sondern einen massiven Eingriff mit weitreichenden Folgen", erklärte die Kinderbeauftragte der SPD den Unterschied zum Entwurf der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP. "Wir stellen das Kindeswohl in den Mittelpunkt, das Recht auf seelische und körperliche Unversehrtheit." Deshalb sollen Beschneidungen erst ab dem Alter von 14 Jahren und mit Zustimmung des Jungen erlaubt werden.

Doch es gehört zum jüdischen Glauben, das Kind am achten Tag nach der Geburt zu beschneiden. "Wir müssen bei der Frage nach dem Kindeswohl auch danach fragen, ob es nicht zum Wohle des Kindes gehört, in die religiöse Gemeinschaft aufgenommen zu werden, wenn sich Eltern dafür entscheiden", sagte Norbert Geis von der CSU zum Alternativ-Entwurf. "Das tut einem säkularisierten Staat weh, weil es uns fremd ist, aber wir müssen auf die Religionsfreiheit achten."

Skeptisch äußerte sich auch Wolfgang Thierse von der SPD. Ein Verbot des religiösen Ritus' der Beschneidung würde faktisch bedeuten, dass jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland legal nicht mehr möglich wäre. "Ein Verbot wäre deshalb eine Beschneidung der Religionsfreiheit", so Thierse. Der Staat habe bei seiner Schutzpflicht aber Untermaß und Übermaß zu vermeiden. "Das scheint mir mit dem Regierungsentwurf gewahrt."

"Rechtsfrieden schaffen"

Viele Redner wiesen darauf hin, dass es bei diesem Gesetz um eine schwierige Abwägung von verschiedenen Grundrechten der Eltern und Kinder ginge. Laut Grundgesetz haben die Eltern die Hoheit über und die Pflicht zur Erziehung ihrer Kinder. "Solange das Kindeswohl nicht verletzt wird, hat der Staat kein Recht dazu, korrigierend einzugreifen", sagte Kristina Schröder mit Blick auf das Recht auf Religionsausübung. "Die Aufgabe der Politik besteht darin, die Grundrechte in Ausgleich zu bringen", erinnerte Stephan Thomae von der FDP.

Die Bundesfamilienministerin sprach davon, Rechtsfrieden schaffen zu wollen, wobei ihr bewusst sei, dass in diesem Konflikt eine Kluft bleiben werde. "Doch diesen Konflikt können wir nicht politisch beantworten", so Schröder. Sie zitierte den Generalsekretär der Jüdischen Gemeinde in Deutschland, Stephan Cramer. Dieser sagte, die Juden selbst müssten begründen, weshalb körperliche Züchtigung nicht, das Entfernen der Vorhaut dafür aber in Ordnung sein soll.

"Wir müssen das aushalten"

Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Jerzy Montag, machte die seiner Ansicht nach möglichen strafrechtlichen Folgen des Alternativ-Entwurfes mit seiner Altersgrenze mit klaren Worten deutlich: "Wir sagen in Deutschland, es ist ein Geschenk, dass Juden wieder hier leben, aber Hände weg von euren Söhnen, sonst schicken wir euch die Polizei oder das Jugendamt ins Haus."

"Wir sollten es aushalten, uns gegenseitig zuzuhören", hatte der rechtspolitische Sprecher der SPD Lischka zu Beginn der Debatte gesagt. Daran hielten sich die Parlamentarier.

Es folgen nun die Beratungen der beiden Entwürfe in den Ausschüssen und eine Expertenanhörung, bevor das Gesetz dann wieder auf der Tagesordnung im Bundestag stehen wird.