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Journalisten wegen übler Nachrede vor Gericht

Stephanie Höppner11. November 2012

Ist durch einen Medien-Prozess in Dresden die deutsche Pressefreiheit in Gefahr? Zwei Reporter sollen vierstellige Strafgelder zahlen. Journalisten-Verbände kritisieren das Verfahren mit deutlichen Worten.

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Die freiberuflichen Journalisten Thomas Datt und Arndt Ginzel (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Korruptions-Vorwürfe, ein Bordell mit minderjährigen Prostituierten, hochrangige Juristen als angebliche Freier: Unter dem Titel "Sachsensumpf" machten ungeklärte kriminelle Verhältnisse in Leipzig Anfang der 1990er Jahre Schlagzeilen. Die Akten wurden wegen fehlender Belege mittlerweile geschlossen. Jetzt nimmt der "Sachsensumpf" eine weitere Wendung: Etwa zwanzig Jahre nach den Vorfällen in der sächsischen Stadt stehen die zwei Journalisten Thomas Datt und Arndt Ginzel als Angeklagte vor dem Richtertisch. Der Vorwurf: üble Nachrede. Dafür wurden sie vor zwei Jahren in erster Instanz verurteilt. Seit Dienstag (13.11.2012) läuft der Berufungsprozess am Dresdner Landgericht.

Die freiberuflichen Autoren hatten auf der Internetseite des Wochenmagazins "Die Zeit" sowie im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" kritisch über die Ermittlungen zum Minderjährigen-Bordell "Jasmin" in Leipzig berichtet. Im "Zeit"-Artikel wurde auch die Arbeit einzelner Polizisten beleuchtet. Dabei wurde die Frage aufgeworfen, ob sie frei ermitteln konnten, weil ein einflussreicher Richter eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen sie erhoben haben soll.

Obwohl sich die Beamten durch diese Äußerung nicht beleidigt fühlten, erstattete ihr Vorgesetzter, der Leipziger Polizeipräsident, Anzeige - wohl auf Wunsch des sächsischen Innenministeriums, glauben Journalisten-Verbände. Der entsprechende Satz im "Zeit"-Artikel wurde vom Gericht strafrechtlich als üble Nachrede beurteilt. Die beiden Autoren sollten zur Strafe je 2500 Euro zahlen. Für ihren Bericht im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" wurden die beiden Journalisten freigesprochen, aber getadelt. Nach Ansicht der Richter hätten sie ihre Quellen offenlegen müssen.

Porträt von Christian Mihr, Geschäftsführer "Reporter ohne Grenzen" (Foto: ROG/Günther)
Christian Mihr, Geschäftsführer "Reporter ohne Grenzen"Bild: ROG/Günther

"Reporter mundtot machen"

Die Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" kritisiert das Verfahren gegen die beiden Männer. "Der Quellenschutz ist verfassungsrechtlich einer der wichtigsten Elemente der Pressefreiheit in Deutschland", erklärt Geschäftsführer Christian Mihr. Dieser Schutz stellt sicher, dass sich Informanten ohne Angst vor Repressionen an Journalisten wenden können.

Auch weitere Journalistenverbände zeigen sich in der zweiten Gerichts-Runde solidarisch mit Datt und Ginzel und betonen die Pressefreiheit. "Es ist ganz klar der Versuch, vor allem freiberufliche Journalisten, die viel angreifbarer sind als solche, die mit einem starken Verlag oder Sender im Rücken agieren, mundtot zu machen", sagt Kajo Döhring, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) im Gespräch mit der DW. Die Mechanismen aus seiner Sicht: Strafandrohung sowie Druck auf Journalisten, die sich ohnehin schon in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befänden.

Vor 50 Jahren demonstrierten Bürger für die Pressefreiheit in Deutschland, Anlass: die "Spiegel-Affäre" (Foto: dpa)
Schon vor 50 Jahren Thema in Deutschland: die Pressefreiheit, hier eine Demo zur "Spiegel-Affäre"Bild: picture-alliance/dpa

Deutschland bei Pressefreiheit auf Platz 16

Ein weiterer Vorwurf von "Reporter ohne Grenzen" lautet, dass in dem Verfahren zudem Strafrecht statt Presserecht angewendet wurde, obwohl dies nach Einschätzung der Organisation in Deutschland normalerweise nicht üblich sei. "Und ohne jetzt schiefe Vergleiche ziehen zu wollen, erinnert das zum Teil dann doch eher an Länder, bei denen wir als 'Reporter ohne Grenzen' die Pressefreiheit eher als bedenklich einstufen", sagt Christian Mihr.

Aus seiner Sicht war der beanstandete Satz der beiden Journalisten eine Meinungsäußerung, die durch den Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt ist. "Die konkrete Straftat, die hier vorgeworfen wurde, war die üble Nachrede durch das Formulieren einer Frage. Und es ist reichlich skandalös, wenn alleine schon das Stellen von Fragen, was ja Aufgabe von Journalisten ist, auf einmal eine Straftat sein soll", so der "Reporter ohne Grenzen"-Chef.

Generell sieht die Organisation Deutschland im Bereich der Pressefreiheit jedoch auf guter Position. Auf einer jährlich erstellten Rangliste aller Länder dieser Welt belegte die Bundesrepublik zuletzt den 16. Platz. Nach Angaben von "Reporter ohne Grenzen" liege dies auch daran, dass in Deutschland die Sensibilität für Pressefreiheit geschärft und auch kritischer Journalismus generell akzeptiert werde. Dennoch: "Dieses Verfahren ist ein Beleg für uns, dass in sächsischen Behörden offenbar das Demokratieverständnis nicht in Ordnung ist", sagt DJV-Hauptgeschäftsführer Döhring. Die Rolle der Journalisten als wesentlicher Teil der vierten Gewalt werde nicht wirklich akzeptiert, glaubt er.

Porträt von Kajo Döhring, Hautgeschäftsführer des Deutschen Journalisten Verbandes DJV (Foto: dpa)
Kajo Döhring, Haupt-Geschäftsführer des Deutschen Journalisten Verbandes DJVBild: picture-alliance/dpa

Bundesverfassungsgericht als letzte Instanz

Sollte das Gericht sich in dem Berufungsverfahren gegen die beiden Journalisten entscheiden, so stünde noch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe als höchste deutsche Instanz offen. Schon in der sogenannten "Spiegel-Affäre" in den 1960er Jahren war dieses Gericht aufgerufen worden, den Sachverhalt zu entscheiden. Damals wurden Mitarbeiter des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" wegen eines kritischen Artikels des Landesverrats beschuldigt. Sie hatten das Verteidigungskonzept der Bundeswehr unter Verteidigungsminister Franz Josef Strauß in Frage gestellt. Die Richter in Karlsruhe stellten das Verfahren schließlich wegen Mangels an Beweisen ein.