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Gauck ein Jahr im Amt

Kay-Alexander Scholz19. März 2013

Der deutsche Bundespräsident hat laut Verfassung kaum gesetzgeberische Macht. Dennoch kann er Impulse geben und sich in Debatten einmischen. Wie hat sich Joachim Gauck dabei bisher geschlagen?

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Bundespräsident Joachim Gauck (r) bedankt sich beim Erzbischof Jean-Claude Perisset beim Neujahrsempfang des Diplomatischen Korps am 08.01.2013 im Schloss Bellevue in Berlin für seine Rede. Traditionell lädt der Bundespräsident das Diplomatische Korps zum Neujahrsempfang in seinen Amtssitz. Foto: Jörg Carstensen/dpa
Gauck Neujahrsempfang 2013Bild: picture-alliance/dpa

Seit der Ruck-Rede von Roman Herzog im Jahr 1997 wünschen sich die Deutschen große Reden von ihren Präsidenten. Gauck ließ sich Zeit: Erst im Februar 2013 lud der Bundespräsident - elf Monate nach Amtsantritt - ins Schloss Bellevue zur "Europa-Rede" ein.

Der Bundespräsident sprach in deutlichen Worten von einem "verunsicherten Kontinent, von Ungeduld, Erschöpfung und Frustration bei den Menschen". Die Eurokrise habe zusammen mit der Globalisierung zur Unsicherheit darüber geführt, ob der Weg Europas richtig sei. Frieden und Freiheit seien bisher der Kitt für das Zusammenwachsen gewesen. Auf diesem Weg brauche Europa nun einen neuen Impuls - "eine Identität stiftende Erzählung, die die Herzen erreicht und die Hände zum Gestalten animiert". Der 73-jährige Gauck forderte als Lösung des Problems eine Renaissance, eine Wiedergeburt des über Jahrhunderte gewachsenen europäischen Wertekanons. Er betonte Toleranz, Gleichheit, Solidarität, Miteinander und Nächstenliebe - also christliche oder Werte der Aufklärung. Dafür brauche es auch eine neue europäische Öffentlichkeit, vielleicht einen pan-europäischen Fernsehkanal, regte der Präsident an.

Bürger, macht mit!

Gauck wirbt für Europa und fordert die Bürger dazu auf mitzumachen. "Was trägst du dazu bei?", fragt er gern. Diese Mission prägt auch den Stil seiner öffentlichen Auftritte. Er sucht den direkten Kontakt. Bei der Europa-Rede zum Beispiel mussten viele Journalisten draußen bleiben, weil Gauck lieber vor Botschaftern, Vertretern gesellschaftlicher Gruppen und Jugendlichen reden wollte. Beim Bürgerfest im Garten seines Berliner Amtssitzes Schloss Bellevue lud er vor allem "normale" Bürger ein - und nicht nur die VIPs der Republik. Er zeigt keine Scheu beim Bad in der Menge, geht freundlich auf die Menschen zu. Hierbei kann Gauck auch von seinen Erfahrungen als Pastor profitieren.

Der Bürgerpräsident

Von diesem Ziel ist auch sein Umgang mit den Medien geprägt. Er verzichtet darauf, unbedingt innenpolitische Schlagzeilen liefern zu wollen. Sein Vorgänger Christian Wulff hatte sich durch den Satz "Der Islam gehört zu Deutschland" ins mediale Gedächtnis eingebrannt. Gauck redet viel zu vielschichtig und intellektuell, als dass er sich auf einen Halbsatz reduziert wissen möchte. Dennoch nutzt er die Medien. Das zeigte auch seine eindringlich gehaltene Weihnachtsansprache, die er direkt in die Fernsehkamera hielt und nicht am Tisch sitzend oder in einer Gruppe stehend, wie seine Vorgänger es taten.

Der Einmischer

Das direkte Wort scheut Gauck auch nicht gegenüber den anderen Verfassungsorganen in Deutschland. Die Bundeskanzlerin forderte er auf, ihr Vorgehen bei der Euro-Rettung den Bürgern besser zu erklären. Gauck erfüllte den Wunsch der obersten Verfassungsrichter und wartete deren Urteil ab, bevor er die Rettungsverträge der Europäischen Union unterzeichnete. Diese Verzögerung kam der Bundesregierung sehr ungelegen. Mehr Aufklärung von der Politik forderte Gauck bei der Aufarbeitung der rechtsextremen Mordserie des so genannten nationalsozialistischen Untergrunds.

Bei seinen Auslandsbesuchen kam es gut an, dass Gauck einerseits Gemeinsamkeiten betont, andererseits aber auch die aus gemeinsamer Verantwortung erwachsene Pflicht sieht, Missstände anzusprechen. Das verleiht ihm Autorität. Er besuchte alle Nachbarländer Deutschlands, zuallererst Polen. Dort lobte er "die polnische Liebe zur Freiheit". Freiheit ist für den ehemaligen Bürgerrechtler in der DDR essenziell, damit sich Bürgersinn überhaupt entfalten kann. In den Niederlanden hat er als Deutscher am "Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus" eine Rede gehalten. Weil die Deutschen sich ihrer Schuld gestellt hätten, sagte er selbstbewusst, könne man die Befreiung nun auch gemeinsam feiern.

Ein großes Medienecho und viel Lob fand seine Reise nach Israel. Er sprach dort außergewöhnlich lange mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und bat ihn mutig um "ein Zeichen in der Siedlungspolitik". Dies sei ein Schlüssel zur Wiederbelebung des Nahost-Friedensprozesses.

Hoffen auf die Jugend

Der 73-jährige Gauck lebt besonders auf, wenn er auf junge Menschen trifft. Er hört genau zu, was sie fragen und will ihnen kluge Gedanken mit auf den Weg geben. Gauck blickt hoffnungsvoll auf die Nachwachsenden, die frei sind von den Erfahrungen der deutschen Diktaturen. In ihrem Alltag sieht er, dass sich sein Heimatland gewandelt hat. "Ihr Deutschland ist für Sie ganz selbstverständlich ein Land mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion", sagte Gauck bei der "Jungen Islam-Konferenz". Integration gelinge allein schon durch den gemeinsamen Alltag der Jugendlichen, glaubt Gauck. Und verschiedene Identitäten würden einander nicht verdrängen - schon aber zu einer Veränderung aller führen.

Bundespräsident Joachim Gauck beim Empfang der "Jungen Islam Konferenz" (Foto: dpa)
Gauck redet gern mit Jugendlichen - hier beim Empfang der "Jungen Islam-Konferenz"Bild: picture-alliance/dpa

Bei den Deutschen kommt Gaucks Stil gut an. Drei von vier Deutschen sind laut Umfragen mit seiner Arbeit zufrieden. Nur jeder Zehnte sieht den Bundespräsidenten eher kritisch. Interessant ist, dass sich diese Werte seit Amtsantritt kaum verändert haben. Der Bundespräsident scheint bisher also nicht viel falsch gemacht zu haben - allerdings ist er auch nicht zum Star geworden.