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Hauptschülerin wird Hauptschullehrerin

7. November 2011

Das Bundesland Nordrhein-Westfalen geht mit gutem Beispiel voran: Ab dem 1. Januar 2012 soll es ein Integrationsgesetz geben. Ein Ziel: Mehr Lehrer mit Migrationshintergrund. Leyla Dilbaz hat es geschafft.

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Hauptschullehrein Leyla Dilbaz mit Schülern beim Arbeiten (Foto: DW/Alexander Willing)
Hauptschullehrerin Leyla Dilbaz mit SchülernBild: DW

Leyla Dilbaz sitzt am Pult und korrigiert Arbeitsblätter. Sie ist kaum zu sehen, denn die zierliche Lehrerin ist von Schülern umringt. Alle wollen wissen, wie viele Aufgaben sie richtig gerechnet haben und reden durcheinander. Die Fünftklässler sind motiviert, denn niemand will vor der beliebten Klassenlehrerin dumm dastehen.

Seit September ist die 25-jährige Leyla Dilbaz Klassenlehrerin der 5a an der Johannes-Rau-Hauptschule in Bonn. Für die 10-jährige Victoria hat der erste Eindruck gleich gestimmt: "Frau Dilbaz hatte direkt gelächelt, und sie hat uns erstmal richtig nett begrüßt." Fabio,12 Jahre alt, ergänzt, dass die ganze Klasse Respekt vor ihr habe, denn sie sei sehr schlau. Schließlich sei sie von der Hauptschule auf das Gymnasium gegangen, um dann Lehrerin zu werden. "Sie sagt immer, wir sollen uns gut benehmen und immer anstrengen, dann können wir das auch schaffen", erklärt Fabio.

Schüler der Klasse 5a zeigen auf (Foto: DW/Alexander Willing)
Die Schüler ihrer Klasse sehen in Leyla Dilbaz ein VorbildBild: DW

Ein langer Weg zum Erfolg

Leyla Dilbaz hat sich immer angestrengt. Als eine der Jahrgangsbesten machte sie 2002 ihren mittleren Bildungsabschluss an der Hauptschule. Damit hatte sie die Berechtigung, auf ein Gymnasium zu wechseln und Abitur zu machen.

Porträtfoto der Lehrerin Leyla Dilbaz (Foto: DW/Alexander Willing)
"Hauptschülern eine Perspektive geben"Bild: DW

Einige Gymnasien lehnten sie aber zunächst ab: "Ich war frustriert, denn mir wurde gesagt: 'Du kommst ja von der Hauptschule, du findest bestimmt einen passenden Ausbildungsplatz.'" Aber Leyla Dilbaz gab nicht auf. Ihre Schullaufbahn beendete sie mit dem Abitur und hatte schon einen Plan, wie es weiter gehen sollte: "Ich wollte Lehrerin werden, um zu zeigen, dass man etwas erreichen kann, wenn man will."

Nach dem Abitur studierte Dilbaz in Koblenz Mathematik, Wirtschafts- und Arbeitslehre, Soziologie und Sport. In Regelstudienzeit, und mit einem Notendurchschnitt von 1,6 schaffte sie ihr Examen. Sie wollte Hauptschullehrerin werden, um gerade Hauptschülern zu zeigen, dass sie Perspektiven haben. Sie entschied sich, an die Hauptschule zurückzukehren, an der sie selbst Schülerin war.

Eine seltene Ausnahme

Leider läuft die Schulkarriere nicht bei allen Hauptschülern so glatt wie bei Leyla Dilbaz. 2009 gingen deutschlandweit knapp 15.000 Hauptschüler ohne Abschluss von der Schule. An der Johannes-Rau-Schule ist Dilbaz eine seltene Ausnahme, das bestätigt auch Christine Heidbreder. Die Direktorin kennt Dilbaz noch als Schülerin. Sie ist überzeugt davon, dass Leyla Dilbaz Geschichte viele Schüler anspornt: "Es geht darum, dass diese Kinder, diese Hauptschüler, eine Chance bekommen und auch ihr Selbstwertgefühl gestärkt wird."

Integrationsgesetz: Mehr Migranten im öffentlichen Dienst

Leyla Dilbaz stellt noch eine weitere Ausnahme dar: In ganz Deutschland sind bisher nur zwei Prozent der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst Migranten, dabei liegt der Migrantenanteil in der deutschen Bevölkerung bei knapp 20 Prozent. Mit einem Integrationsgesetz will das Land Nordrhein-Westfalen ein Gleichgewicht herstellen:

Bis 2015 soll der Migrantenanteil im öffentlichen Dienst von zwei auf vier Prozent ansteigen. Das Gesetz sieht zum Beispiel anonymisierte Bewerbungen vor: Dabei werden Geschlecht, Wohnort und Herkunft in den Bewerbungsbögen verborgen, um Benachteiligungen zu vermeiden. In Integrationszentren sollen Migranten bei der Jobsuche unterstützt werden. NRW wäre das erste große Bundesland, das so ein Gesetz durchsetzt. Bisher gibt es ein Integrationsgesetz nur in Berlin.

Guntram Schneider (SPD), nordrhein-westfälischer Arbeitsminister (Foto: dpa)
NRW-Integrationsminister Guntram Schneider (SPD)Bild: picture-alliance/dpa

Leyla Dilbaz und Christine Heidbreder halten anonyme Bewerbungen durchaus für sinnvoll. Noch wichtiger erscheint ihnen aber, erst einmal die Motivation der einzelnen Schüler zu stärken. Leyla Dilbaz erzählt von einem Schüler, der ihr sagte, dass er sich geschämt habe auf der Hauptschule zu sein. Er habe gar nicht gewusst, dass man am Ende sogar Lehrer werden könne. Die engagierte Hauptschullehrerin ist von ihrer Arbeit überzeugt: "Ich finde, wenn man in einer Klasse 40 Prozent erreichen kann, dann hat man schon viel gewonnen."


Autorin: Heike Mohr
Redaktion: Gaby Reucher