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Jedem Schweizer seine Waffe

Dagmar Breitenbach4. Januar 2013

In einem kleinen Dorf in der Schweiz hat in dieser Woche ein Mann drei Menschen erschossen. Ähnlich wie in den USA gibt es in vielen Haushalten Waffen, Amokläufe sind aber sehr selten.

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Polizei nach einem Amoklauf in der Schweiz (Foto: FABRICE COFFRINI/AFP/Getty Images)
Bild: Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images)

Die kleine Schweiz und die große USA haben etwas gemeinsam: liberale Waffengesetze und eine tief verwurzelte Waffenkultur.

Die USA habe sogar ein noch freiheitlicheres Waffenrecht, meint Willy Pfund: "Dort gibt es Staaten, in denen man mit geladener Waffe herumlaufen darf." Das kenne man in seinem Heimatland Schweiz nicht, erklärt der Präsident der Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht, ProTell, gegenüber der Deutschen Welle.

Sorgfalt ist gefragt

Wie in den USA sind Waffen in der Schweiz weit verbreitet. Es gibt keine amtlichen Zahlen, aber Experten gehen davon aus, dass jeder dritte der gut acht Millionen Schweizer eine Schusswaffe besitzt. Nach den USA und Jemen hat die Schweiz weltweit die höchste Waffendichte pro Kopf.

Grundsätzlich kann jeder Bürger Waffen und Munition erwerben und besitzen. Die Schweizer Armee beruht auf einem Milizsystem, daher sind die meisten Schusswaffen in heimischen Kleiderschränken Armeewaffen, die Angehörige der Armee nach ihrem Wehrdienst zu Hause aufbewahren.

Restrisiko bleibt

Der Besitz der Waffe alleine genüge allerdings nicht, meint Willy Pfund: Wer eine Waffe gemäß den Regeln des Waffengesetzes erwerben und besitzen dürfe, habe ganz klar die Verpflichtung, damit verantwortungsbewusst umzugehen. Die Gesetze seien zwar strenger geworden, sollten aber "genügen, wenn jeder die Waffe sorgfältig aufbewahrt und sorgfältig damit umgeht."

Armeegewehr in Zimmer (Foto: FABRICE COFFRINI/AFP/Getty Images)
Armewaffen werden in der Schweiz traditionell zuhause aufbewahrtBild: Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images

Das funktioniere auch in der Schweiz, meint Pfund "Wir haben in den letzen 30 Jahren eine absolute Zahl an Tötungsdelikten von jährlich 45 bis 55, das heißt, es ist konstant geblieben." Ein Restrisiko gebe es immer, das lasse sich mit keinem Gesetz eliminieren.

Leichter Zugang zu Waffen

Vor etwas mehr als 10 Jahren, im September 2001, erschoss ein Attentäter im Parlamentsgebäude des Kantons Zug 14 Politiker. Der Amoklauf erschütterte das Land und löste auch in der Gesellschaft eine Debatte über die Schweizer Waffengesetze aus. In einer Volksabstimmung 2011 sprach sich die Mehrheit der Bevölkerung jedoch gegen ein schärferes Waffenrecht aus.

"Schweizer sind seit Jahrhunderten Waffenbesitzer", verteidigt Willy Pfund die liberale Gesetzgebung. Man müsse bereit sein: "Es ist ein Irrtum zu glauben, wenn irgendwann einmal ein Gegner etwas gegen uns unternehmen würde, seien wir dann bereit wenn wir nicht mit der Waffe ausgerüstet und mit ihrem Umgang geübt sind."

Entscheidende Unterschiede

Schusswaffenbesitz ist in der Schweiz und in den USA nicht nur weit verbreitet sondern auch in der Gesellschaft verankert. Dennoch unterscheidet sich die Gewaltrate erheblich. Den Grund dafür sehen Experten in der unterschiedlichen Mentalität und Kultur.

Waffenrecht sei auf jeden Fall Ausdruck einer Gesellschaft, meint der Kriminologe Christian Pfeiffer, aber die USA habe "ein gesellschaftliches Problem, das nur am Rande mit dem Waffenrecht zu tun hat."

Entscheidend sei nicht, ob Waffen verfügbar seien, sondern wie ein Mensch aufwachse, erklärt der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Und da gebe es eben drastische Unterschiede zwischen der Schweiz und den USA.

Gewehre in Mülleimer (Foto: JOE KLAMAR/AFP/Getty Images)
Waffen gegen Lebensmittelgutscheine: Tauschaktion in den USABild: JOE KLAMAR/AFP/Getty Images

Repressive Kindererziehung

Kindererziehung spiele eine wichtige Rolle, sagt Pfeiffer. In der Schweiz verlaufe sie relativ gewaltfrei, junge Menschen lernten Toleranz und gegenseitiges Vertrauen. "Sie wachsen in dem Bewusstsein auf, dass es sich lohnt, ethische Normen einzuhalten."

Dagegen wurden laut einer amerikanischen Studie 2009 mehr als 200.000 Schulkinder mit dem Stock in der Klasse vom Lehrer geschlagen, fährt Pfeiffer fort. Körperliche Züchtigung sei auch in Familien gang und gäbe. "Nur 15 Prozent der amerikanischen Kinder wachsen gewaltfrei auf. In Deutschland sind es inzwischen 67 Prozent." Der Wunsch nach Waffen entstehe aus den Ohnmachtserfahrungen der Kindheit und das sei "das große Problem der USA."

Der Schock des Amoklaufs von Newton biete den USA die Chance, nach den tieferen Ursachen dafür zu suchen, dass sie viel mehr als europäische Länder unter Gewaltexzessen zu leiden haben, erklärt Pfeiffer. Wenn man dann erkenne, welche Bedeutung die repressive Erziehungskultur habe, bliebe nur eine Konsequenz: "Die vollständige Streichung des Rechts von Lehrern und Eltern, Kinder zu schlagen."

Sturmgewehre zu verbieten sei richtig, erklärt der frühere niedersächsische Justizminister. "Das Entscheidende ist aber die Abrüstung in den Köpfen."