1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Zurück zur Atomkraft

Martin Fritz11. März 2014

Regierung und Wähler in Japan geben dem Wirtschaftsaufschwung Vorrang - damit ist der Weg frei für eine Rückkehr Japans zur Nuklearenergie. Das Land kann sich eine schnelle Energiewende mit Atomausstieg nicht leisten.

https://p.dw.com/p/1BNA7
Kontrollraum für die Reaktoren 1 und 2 des AKW Fukushima (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Der kontaminierte Fußboden ist mit rosa Plastik abgedeckt, die Arbeitstische sind mit Folien verklebt: Im Kontrollraum für die Reaktoren 1 und 2 des AKW Fukushima (Artikelbild) erinnern nur noch ein paar handschriftliche Zahlen neben einem Messinstrument an das Chaos und die Panik bei den Kernschmelzen vor drei Jahren. Für den ersten Besuch von ausländischen Journalisten im damaligen Zentrum der Strahlenhölle hat sich der Betreiber-Konzern Tepco eine etwas makabre Vorführung einfallen lassen: 15 Sekunden lang wird das Licht ausgeschaltet. Denn nachdem der Tsunami am 11. März 2011 die Notstromaggregate außer Gefecht gesetzt hatte, wurde es plötzlich dunkel im Kontrollraum und alle Instrumente fielen aus.

In ihrer Not bauten die zehn Techniker damals die Batterien aus ihren Autos aus und nahmen mit ihrem Strom wichtige Instrumente wieder in Betrieb. Im Licht von Taschenlampen notierte jemand neben einem Anzeiger mit Bleistift die Uhrzeit und den Stand des Kühlwassers. Unterdessen stieg die Strahlung im Kontrollraum rasch um das Tausendfache auf ein Milli-Sievert pro Stunde - so hoch wie die erlaubte Dosis für Normalbürger in einem Jahr. Heute ist die Radioaktivität mit 4,5 Mikro-Sievert pro Stunde immer noch viel höher als erlaubt. Zum Glück liegen zwischen dem Kontrollraum und der tödlichen Strahlung in den beiden Reaktoren 40 Meter und eine dicke Schutzwand. Heute wird der Kontrollraum selten betreten. Die Reaktoren lassen sich von einem erdbebensicheren Kommandostand bequem fernsteuern.

"Grundlegende" Stromquelle

Trotz dieser traumatischen Erfahrung hat sich Japans Regierung für eine Rückkehr zur Atomenergie entschieden. Hunderte von Ingenieuren der Stromversorger kampieren seit dem vergangenen Sommer in Unterkünften nahe der neuen "Nuclear Regulatory Authority" (NRA). Sie müssen der Atomaufsicht nachweisen, dass 17 Reaktoren, für die eine Wiederinbetriebnahme beantragt wurde, die deutlich verschärften Sicherheitsauflagen erfüllen. Dafür müssen die AKW-Betreiber mehrfach gestaffelte Systeme aufbauen, damit sich ihre Kraftwerke auch nach einem Tsunami oder Erdbeben noch kontrollieren und steuern lassen. Alle 48 Reaktoren sind derzeit abgeschaltet. Vor der Katastrophe von Fukushima im März 2011 stammte rund 30 Prozent des Stroms aus der Kernspaltung.

Rauch stieg 2011 auf aus dem havarierten Reaktor Fukushima Daiichi (Foto: picture alliance/dpa)
Nach Erdbeben und Tsunami kam es 2011 zu einer Reihe katastrophaler AKW-Unfälle und schwerer StörfälleBild: picture-alliance/dpa

Ausgerechnet am Vorabend des dritten Jahrestags der Katastrophe kündigte Regierungschef Shinzo Abe die Rückkehr zur Atomenergie ganz offiziell an. "Ich möchte Reaktoren hochfahren, die gemäß den strikten Sicherheitsauflagen der Atomaufsicht für sicher befunden wurden und zugleich das Verständnis der lokalen Bevölkerung gewinnen", sagte Abe im Parlament.

Ende März will das Kabinett durch die Verabschiedung des neuen Energieplans die Nuklearenergie als zentralen Baustein der Stromversorgung festschreiben. Darin wird Atomkraft als Stromquelle für die Grundlast bezeichnet, erläuterte der Minister für Wirtschaft, Handel und Industrie, Toshimitsu Motegi. Damit annulliert Premierminister Abe den Beschluss seines Vorgängers Yoshihiko Noda, bis 2040 aus der Atomenergie auszusteigen. Immerhin heißt es in dem Papier, dass man die Abhängigkeit vom Atomstrom verringern und den Anteil der erneuerbaren Energien ausbauen will. Auch verzichtet man - bisher - darauf, den Anteil von Atomstrom an der Gesamtproduktion festzulegen.

Proteste verlaufen im Sande

Ein Versuch von prominenten Atomkraftgegnern, mit der Forderung nach "Genpatsu Zero" (Null Atomkraft) die Gouverneurswahl in der Hauptstadt Tokio zu gewinnen, scheiterte. Für Premierminister Shinzo Abe war es das Signal, dass die Wähler dem wirtschaftlichen Aufschwung Vorrang einräumen vor einer schnellen Energiewende. Die Ölimporte seien seit der Katastrophe in die Höhe geschnellt und das habe der Wirtschaft geschadet, begründet die Regierung denn auch ihre Energiepolitik.

Am Wochenende vor dem dritten Jahrestag der Atomkatastrophe forderten zwar wieder einmal Tausende Menschen in Japan ein Ende der Atomkraft. In Tokio protestierten sie in einem Park und liefen dann zum Parlament. Aber die Demonstrationen sind lange nicht mehr so gut besucht wie kurz nach der Katastrophe. "Die Anti-Atom-Bewegung war stark, als Japan in der Rezession steckte", meint eine 35-jährige Japanerin. "Aber durch den Aufschwung sind die Leute wegen der Reaktoren weniger besorgt."

"Atomdorf" ist wieder stark

Die Regierung hat das als "Atomdorf" bezeichnete Machtkartell aus Beamten, Versorgern, Politikern und Forschern wiederauferstehen lassen. Denn die auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaftspolitik von Abe, bekannt als "Abenomics", kann bei einem Verzicht auf alle Atommeiler nicht funktionieren. Vor dem Fukushima-Unfall gehörte Nippon mit einem jährlichen Handelsüberschuss zu den größten Exportnationen. Doch durch den gesteigerten Import von fossilen Ersatzbrennstoffen entstand im vergangenen Jahr ein Handelsdefizit von 82 Milliarden Euro. Damit wächst die Gefahr, dass Japan von ausländischem Kapital abhängig wird, um seine hohe Verschuldung zu finanzieren.

Mann mit Atemschutzmaske: Anti-Atom-Demonstrationen zwei Jahre nach Fukushima (Foto: Reuters)
Die Anti-Atom Proteste sind leiser gewordenBild: Reuters

Außerdem hat der Umstieg auf teure Importenergie zusammen mit der Abwertung des Yen die Strompreise erhöht. Der Aluminiumteile-Hersteller KSK aus Yokohama etwa zahlt knapp ein Drittel mehr für Elektrizität als vor der Katastrophe. "Ohne die Aussicht auf eine stabile Stromversorgung werden die japanischen Firmen nicht in Japan, sondern in Asien investieren", meint Kathy Matsui, Japan-Chefin von Goldman Sachs. Außerdem strebt Regierungschef Abe danach, japanische Atomanlagen und Nukleartechnologie zu exportieren. Japan könne die weltweit höchsten Sicherheitsstandards bieten, weil man aus Fukushima gelernt habe, erklärte der Regierungschef. Seit seinem Amtsantritt führte er bereits Verhandlungen mit Vietnam, Tschechien, Polen und der Türkei.