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"Da ist viel Heuchelei"

Joscha Weber8. November 2012

Der geständige Ex-Profi Jörg Jaksche spricht über das unbezwingbare Doping-Problem des Radsports, Mauscheleien des Rad-Weltverbands und unglaubwürdige Unschuldsbeteuerungen.

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Jörg Jaksche (Foto: dpA9
Jörg JakscheBild: picture-alliance/ZB

Nach dem spektakulären Dopingfall um Lance Armstrong spricht man im Radsport nun von einem Neustart. Ein Reflex, den Jörg Jaksche kennt. Der Ex-Radprofi gestand 2007, während seiner Karriere gedopt zu haben. Da er umfassend aussagte über die Doping-Machenschaften im Radsport, gilt er dort bis heute als Nestbeschmutzer und auch der Radsportweltverband UCI wollte ihm nicht zuhören.

Herr Jaksche, der Radsport steht nach dem Dopingskandal um Lance Armstrong wieder einmal vor einem Neuanfang. Wie glaubwürdig ist dieser?

Ich glaube, wir sind jetzt mittlerweile beim 25. Neuanfang. Da ist sehr viel Augenwischerei dabei. Das steht für mich für die Individualisierung des Doping-Problems im Radsport. Man nimmt einfach einen Fahrer her, macht ihn für alles verantwortlich und bläut damit dem Zuschauer ein: Ist Lance Armstrong aus dem Radsport entfernt, ist das Dopingproblem aus dem Radsport entfernt. Aber so ist es nicht. Das System gab es vor ihm und wird es auch nach ihm geben. Verantwortlich ist die Führung des Radsports.

Diese Leute blieben und bleiben aber unangetastet. Warum?

Der Radsportler ist der einzige, der positiv getestet wird. Da hat man es dann schwarz auf weiß. Die Leute, die dahinterstecken, die die Anstifter sind, werden nie positiv getestet. Und aufgrund der Omertà, also der Abmachung, nicht über Doping zu reden, sind die sportlichen Leiter meist auf der sicheren Seite – es sei denn sie werden mit der Hand im Honigglas erwischt. Sie können eigentlich sicher sein, dass ein erwischter Profi nichts sagt. Denn über Doping im Radsport auszusagen, bedeutet das sportliche Ende eines Athleten. Er kann dann nicht mehr zurückkommen, er ist der Nestbeschmutzer.

Sie haben 2007 gegenüber dem UCI-Präsidenten Pat McQuaid umfassend über Doping im Radsport ausgesagt. Offenbar ohne erkennbare Konsequenzen. Hat das Pat McQuaid überhaupt nicht interessiert?

Wir haben uns fünf, sechs Stunden über die Hintermänner, die Organisatoren, die Profiteure des Dopings unterhalten. Ich habe der UCI eidesstattliche Versicherungen gezeigt, die ich gegenüber dem Bundeskriminalamt und der Staatsanwaltschaft abgegeben habe. Doch die UCI hat mit diesen Informationen nichts weiter angestellt.

Jörg Jaksche auf dem Zeitfahrrad in Frankreich im Jahr 2004. (Foto: Getty)
Jörg Jaksche im Trikot des damaligen Riis-Rennstalls CSC: "Bjarne Riis wusste, was ich mache"Bild: AFP/Getty Images

Hat die UCI aus Ihrer Sicht mitgeholfen, Doping zu vertuschen?

Ich sage es so: Die UCI hat noch nicht ganz verstanden, was der Unterschied zwischen skandalfreiem Sport und dopingfreiem Sport ist. Das Hauptanliegen der UCI war ein skandalfreier Sport, was kein sauberer Sport ist. Das heißt einfach nur, dass die Dopingfälle nicht rauskommen, weil die dem eigenen Business schaden. So kam mir das Verhalten der UCI immer vor.

Sie haben Ihre Karriere in Italien begonnen. Wie kamen Sie als junger Fahrer zum ersten Mal in Kontakt mit Dopingmitteln?

Ich war als Amateur sehr erfolgreich, bin dann Profi geworden und wurde immer abgehängt. Am Berg sind reine Sprintertypen sich unterhaltend an mir vorbeigefahren, die 20 Kilo mehr draufhatten als ich. Da hab ich gedacht, ich bin einfach untalentiert. Irgendwann hat mir der Teammanager Gianluigi Stanga erklärt, wie der Radsport funktioniert. Er hat mich nicht unter Druck gesetzt, sondern mir die Situation einfach ganz realistisch geschildert: 'Wenn du nicht mitmachst, wirst du ein hartes Leben haben im Radsport beziehungsweise wahrscheinlich überhaupt keines.'

Sie waren von 1997 bis 2007 Profi und fuhren dabei für insgesamt sechs Teams. Gab es darunter überhaupt irgendeins, in dem nicht gedopt wurde?

Nein, gab es nicht. Beim letzten Team, dem Team Tinkoff, war ich zu kurz dabei, als dass ich irgendwas sagen könnte. Aber unter allen anderen Teams war keines dabei, in dem Doping nicht akzeptiert beziehungsweise gefördert oder sogar organisiert wurde.

Eines Ihrer Teams war das Team CSC, von Bjarne Riis geleitet, wo sie 2004 gefahren sind. Hat Riis damals Fahrer ermuntert sich zu dopen?

Bjarne Riis wusste von mir, was ich gemacht habe und er hat nicht gewollt, dass ich es nicht mache.

Er soll auch einige Fahrer zum Dopingarzt Fuentes geschickt haben. Was wissen Sie darüber?

Es hieß immer, dass Bjarne mit Fuentes zusammenarbeiten würde. Diese Gerüchte gab es, Tyler Hamilton hat das ja jetzt mit seinem Buch auch bestätigt. Ich kam erst im Jahr, nach dem ich von Bjarnes Team weggegangen bin, zum ersten Mal zu Fuentes. Die erste Frage, die mir Fuentes gestellt hat, war: Er habe sich gewundert, warum ich nicht letztes Jahr schon gekommen bin, als ich bei CSC war.

Jörg Jaksche bei der Deutschland Tour 2005 als Solist unterwegs (Foto: Getty)
Im spanischen Team Liberty Seguros kam Jörg Jaksche erstmals zum Dopingarzt Eufemiano FuentesBild: Getty Images

Im Januar steht Ihr ehemaliger Dopingarzt Fuentes in Spanien vor Gericht. Sie sollen als Zeuge aussagen. Was erwarten Sie von diesem Prozess?

Ehrlich gesagt, nicht so allzu viel. Ich glaube, dass Fuentes zu der Zeit, als er das (organisierte Doping, Anm. d. Red.) gemacht hat, rechtlich im Reinen war. Es wird auf jeden Fall interessant, wie sich die befragten Fahrer dann äußern werden, die ja als Zeugen aussagen müssen und dann eben unter Aussagepflicht stehen – also auch aktive Fahrer wie Basso oder Valverde.

Haben Sie denn damals bei Ihren Besuchen in der Praxis von Doktor Fuentes andere Sportler getroffen?

Nein, habe ich nicht.

Blicken wir auf die Gegenwart. Die junge Generation Rennfahrer reklamiert für sich sauber zu sein. Ist 'jung gleich sauber' auch glaubwürdig?

Nein, überhaupt nicht. Ich hoffe, dass sie sauber sind, aber das Gleiche haben wir ja auch nach 1998 gesagt. Das Gleiche haben manche Radprofis nach 2006 gesagt, die jetzt wieder in die Armstrong-Affäre verwickelt sind. Also die Glaubwürdigkeit von Radsportlern ist ja schlechter als die eines Investmentbankers. Es ist viel Heuchelei im Radsport. Es ist schwierig zu glauben, dass jemand wie Jens Voigt, der schon zu Zeiten des Festina-Skandals (1998 flog das Doping-System des Festina-Rennstalls auf, Anm. d. Red.) Rad gefahren ist, der bei Bjarne Riis und Johan Bruyneel gefahren ist, um sich herum nie etwas mitbekommen haben will. Ich bin froh, dass er überhaupt mitbekommen hat, auf welchen Namen er getauft worden ist.

Viele Mitglieder der aktuellen Radsportgeneration sprechen heute von humaneren, langsameren und ehrlicheren Rennen. Sehen Sie als Exprofi irgendwelche Anzeichen dafür?

Soweit ich das mitbekommen habe, sind die aktuellen Leistungen am Berg bei der Tour de France auf dem Niveau von Marco Pantani zu den Höchstdopingzeiten. Bluttransfusionen können nicht nachgewiesen werden, Wachstumshormone und IGF1 (Insulinpräparat, Anm. d. Red.) nur in einem ganz kleinen Zeitraum von einer oder zwei Stunden. Da lacht ja jeder drüber. Solange das nicht alles nachgewiesen werden kann, werden diese Medikamente und Methoden auch benutzt.

Was muss der Radsport jetzt tun, um nicht nur einen scheinbaren, sondern einen echten Neuanfang zu wagen?

Man muss sich von der Leitung der UCI trennen. Die ist schlecht für den Sport und unglaubwürdig. Stattdessen muss man mit Leuten zusammenarbeiten, die für eine ehrliche Aufarbeitung der Vergangenheit sind.