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Serle: "Mehr Transparenz im Drohnenkrieg"

Kate Laycock / db22. Oktober 2013

Mindestens 2500 Menschen wurden in den vergangenen neun Jahren auf pakistanischem Stammesgebiet von US-Drohnen getötet. Die Opfer dürfen nicht anonym bleiben, sagt Jack Serle vom "Bureau of Investigative Journalism".

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Menschen stehen um ein von einer US-Drohne zerstörtes Haus in Parkistan (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Über die Identität der Toten ist zumeist wenig bis gar nichts bekannt. Das will das "Bureau of Investigative Journalism" (BIJ) mit seinem Online-Projekt "Naming the Dead" ("Den Toten einen Namen geben") ändern: Auf einer Webseite präsentiert die britische Journalistenorganisation gesammelte Informationen über die durch Drohnen getöteten Menschen. Dazu werden Medienberichte, Gerichtsdokumente und andere Quellen ausgewertet. Der Journalist Jack Serle ist Mitarbeiter des Projektes.

DW: Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, den Toten einen Namen zu geben?

Jack Serle: Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens versuchen wir, den im Grunde genommen geheimen Krieg in den pakistanischen Stammesgebieten transparent zu machen. Wir glauben, indem man jeden dieser Toten identifiziert, ihnen falls möglich ein Foto sowie biografische Informationen zuordnet, können wir eine Diskussion über den Wert und die Gesetzmäßigkeit der andauenden Drohnen-Kampagne in Gang bringen. Aus den USA heißt es, dass jeder, der getötet wird, auch eine Art Kämpfer ist, während andere sagen, dass die Drohnen nur Zivilisten töten. Wenn wir aussagekräftigere Beweise liefern, können wir eine fundiertere Debatte führen.

Der zweite Grund ist allgemeiner: Es geht um Menschen. Und indem wir ihnen Namen geben, geben wir ihnen ihre Menschlichkeit zurück. Sie sind nicht mehr nur Nummern oder eine Statistik in einem andauernden Krieg.

Inwiefern unterscheidet sich der Begriff "Kämpfer" ("militant") im Sprachgebrauch der CIA und des US-Militärs von Ihrer Definition – wenn überhaupt?

Den Berichten aus den USA entnehmen wir, dass die US-Regierung männliche Personen im kampffähigen Alter - ich denke, das heißt etwa ab 16 oder 18 Jahren - in den Gebieten als Kämpfer ansieht, wenn nicht posthum das Gegenteil bewiesen wird. Wir haben keine Definition für "militant" und man sollte nicht vergessen, dass es im Völkerrecht für "militant" keine gültige Definition gibt, so wie zum Beispiel für "Kombattant" oder "Nichtkombattant".

Unbemannte "Predator"-Drohne(ddp images/AP Photo//Massoud Hossaini, Pool)
Tod aus der Luft - eine US-Drohne vom Typ "Predator"Bild: AP

Auf Grundlage der aus einer Fülle von Quellen gesammelten Informationen bezeichnen wir die in Frage stehenden Personen in unserer Datenbank unter Vorbehalt weiterer Informationen entweder als "angebliche Kämpfer" oder als "angebliche Zivilisten" - anstatt sie ausschließlich "Kämpfer" oder "Zivilist" zu nennen.

Man darf nicht vergessen, dass wir ein Live-Projekt online veröffentlichen. Wir stehen noch ganz am Anfang. Jeder Eintrag für jeden Einzelnen kann geändert werden. Wenn jemand zwingende Beweise dafür vorbringt, dass eine Person in Wirklichkeit Mitglied einer gesetzlich verbotenen Organisation wie der Taliban war und kein Zivilist, werden wir das gern aufnehmen. Und auch umgekehrt: Wenn jemand beweisen kann, dass ein angeblicher Taliban-Anhänger in Wirklichkeit nur Bauer ist, werden wir auch das gern vermerken.

Warum ist solch ein Datensammlungsprojekt einer unabhängigen Journalisteninitiative zugefallen und nicht der CIA?

Die CIA ist eine geheime Organisation. Das ist zwar eine Binsenwahrheit, aber es ist nun mal so, dass von Gesetz wegen viele der Aktivitäten geheim bleiben und nur wenigen Verwaltungs-, Senats- und Kongress-Ausschüssen berichtet werden müssen. Wir finden, dass über das Geschehen in Pakistan gesprochen werden muss. Und wir finden auch, dass es dafür solide Beweise geben muss. Daher haben wir es auf uns genommen, diese solide Beweislage zu erstellen.

Welches Bild zeichnen Sie von Menschen, die bei CIA Drohnen-Angriffen in Pakistan umgekommen sind?

Etwa 2500 Menschen, vielleicht mehr, wurden insgesamt getötet. Von 569 kennen wir die Namen. Das sind Leute aus der ganzen Welt, die aus den unterschiedlichsten Gründen nach Pakistan gegangen sind - aus Großbritannien, Deutschland, dem Jemen, Irak und Pakistan selbst. Die Toten sind Männer, Frauen und Kinder, die zum Zeitpunkt der Drohnenangriffe in der Gegend leben. Manche sind führende Al-Kaida-Figuren wie Ilyas Kashmiri. Andere sind Taxifahrer, Apotheker oder Mechaniker von den Stammesbehörden.

Proteste gegen US-Drohnen in Pakistan . ( Photo/Stringer)
Proteste gegen US-Drohnen in PakistanBild: picture alliance/Photoshot

Können Sie Beispiele einzelner Menschen nennen, deren Geschichten im Laufe Ihrer Recherche zutage gekommen sind?

Es gibt 569. Also muss ich mir gut überlegen, von welchen ich berichte. Naturgemäß gibt es getötete Zivilisten, von denen man gern mehr erfahren würde. Leider mussten wir feststellen, dass es die ranghöchsten Kämpfer sind, deren Biografien in voller Länger in der Presse abgedruckt werden. Das sind berüchtigte Individuen - für die allermeisten Zivilisten haben wir das nicht.

Aber ein Mann fällt mir doch ein: ein 45-Jähriger namens Malik Daud Khan. Er war Stammesältester. Er stand einer Jirga vor, einem Rat, der Stammes-Differenzen klärt. Der Rat sollte einen Streit zwischen mehreren Leuten schlichten, in dem es um das Recht ging, Chromeisenerz zu schürfen, einen der wenigen Bodenschätze in der Gegend. Ungefähr 50 Leute waren zusammengekommen. Malik Daud Khan und andere Stammesälteste besprachen gerade das Problem, als sie getötet wurden. Er war ein Mann, den sein Sohn als starken Befürworter der Demokratie und Weiterentwicklung in der Gegend beschrieb, beliebt im Stamm und darüber hinaus. Er versuchte, einen internen Konflikt zwischen Menschen zu lösen, die nur ihrem Alltag nachgingen - und wurde dabei getötet.