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Italiens gescheiterte Flüchtlingspolitik

Kirstin Hausen29. Dezember 2013

Jahrelang bestimmte in Italien die ausländerfeindliche Partei Lega Nord die Einwanderungspolitik und stellte rigide Regeln auf. Doch das Flüchtlingsproblem wurde so nicht gelöst, sondern noch verschärft.

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Ein Boot mit Flüchtlingen kommt in Lampedusa an (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/ROPI

Heute liegen weniger Papiertüten mit abgepackten Brötchen neben der Kasse von Bäcker Gennaro. "Im Winter kommen Gott sei Dank weniger Bootsflüchtlinge hier an", sagt er. Normalerweise verschenkt er sie an die ausgemergelten Menschen, die vom Strand von der Küstenwache durch seinen Ort auf Lampedusa eskortiert werden, und an seinem Laden vorbei kommen.

Lampedusa ist zum Synonym für Italiens, vielleicht sogar für Europas, gescheiterte Einwanderungsspolitik geworden. Denn hier stranden Flüchtlinge aus Afrika jedes Jahr zu Tausenden. Auf seeuntüchtigen Barkassen riskieren sie ihr Leben. Wenn es schief geht, und die Opferzahlen hoch genug sind, schaut die Welt betroffen nach Lampedusa - so wie Anfang Oktober, als mehr als 300 Menschen knapp vor der Küste ertranken, weil ihr Boot kenterte. Wenn die Überfahrt klappt, werden die Bootsflüchtlinge in Aufnahmelager eingesperrt, wo sie eigentlich nur ein paar Tage verbringen sollen. In Wirklichkeit aber warten sie monatelang.

Das alles passiert unter Ausschluss der Öffentlichkeit, denn kaum jemand erhält Zutritt zu diesen Lagern. Als Italiens Regierungschef Enrico Letta die Insel Lampedusa gemeinsam mit EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso besuchte, unterbrach er das offizielle Besichtigungsprogramm, um einen Blick auf die auf engem Raum zusammengepferchten Flüchtlinge werfen zu können.

Letta bei seinem Besuch auf der Insel Lampedusa im Oktober 2013 (Foto: DPA)
Letta bei seinem Besuch auf der Insel Lampedusa im Oktober 2013Bild: picture-alliance/dpa

Heuchlerisch und wirkungslos

Schon einmal brachte die hohe Zahl der Flüchtlinge die kleine Insel und ihre Bewohner an den Rand des Erträglichen. 2011, nach dem Sturz des tunesischen Diktators Zine El Abedine Ben Ali und dem nachfolgenden "Arabischen Frühling" flüchteten Tausende nach Lampedusa. Die Regierung in Rom erklärte daraufhin den humanitären Notstand und der damalige Innenminister Roberto Maroni kritisierte die "Untätigkeit anderer europäischer Staaten in der Flüchtlingsfrage". Maroni war und ist Spitzenpolitiker der Partei Lega Nord, die mit ausländerfeindlichen Sprüchen gegen Migranten hetzt und ihre Aufnahme mit allen Mitteln zu verhindern versucht.

Bis zum Rücktritt von Silvio Berlusconi als Ministerpräsident im November 2011 war sie Juniorpartner in seiner Regierung und verantwortlich für die Einwanderungspolitik. Sie führte ein strenges Regime, schloss Rücknahmeabkommen mit Libyen und anderen afrikanischen Staaten, um die Flüchtlinge postwendend zurückfliegen zu können. Das UNO-Flüchtlingskommissariat protestierte, weil den vor Diktatur, Bürgerkrieg und Hunger Geflohenen keine Chance gegeben wurde, Asyl zu beantragen. Den unkontrollierten Zuzug konnte die Lega Nord trotzdem nicht unterbinden. Also machte sie den Grenzübertritt ohne Aufenthaltsgenehmigung zu einem Straftatbestand und verfügte, dass nur legal einreisen darf, wer bereits einen Arbeitsvertrag in der Tasche hat.

Keine Gesetzesänderung

Trotz Versprechungen der Regierung Letta, dieses Gesetz zu ändern, gilt es noch immer. Italienische Hilfsorganisatoren prangern diese Praxis als heuchlerisch und unrealistisch an, denn kaum ein italienischer Arbeitgeber stellt jemanden ein, den er noch nie gesehen hat und der sich aus Mali oder Eritrea bewirbt. Das wissen die Flüchtlinge inzwischen, und sie stellen sich auf ein Leben in der Illegalität ein. Wer kann, flüchtet aus den Aufnahmelagern, verschwindet nach Norditalien oder sogar nach Nordeuropa.

So leben Hunderttausende Menschen ohne gültige Papiere in Italien, aber auch in Frankreich, Deutschland und den Beneluxstaaten. Europa hatte den südlichen Mitgliedsstaaten wie Griechenland, Spanien, Italien die Aufgabe übertragen, die südlichen Außengrenzen der EU zu sichern, ist damit jedoch gescheitert. Und so beklagen sich nicht nur die Italiener, mit dieser Aufgabe alleingelassen worden zu sein.

Illegaler Handtaschenverkauf auf der Straße in Lampedusa (Foto: K. Hausen)
Viele müssen sich ihren Unterhalt illegal durch Straßenverkäufe verdienenBild: DW/K.Hausen

Krieg unter Armen

Besonders in den niedrigen Einkommensschichten hat sich die Angst festgesetzt, Einwanderer und Armutsflüchtlinge könnten ihnen Arbeitsplätze, billige Wohnungen und das, was sie erreicht haben, streitig machen. "Es ist ein Krieg unter Armen. Wer nicht viel hat, bekämpft die, die noch weniger haben", sagt Padre Vittorio Rigoni, ein Franziskanerpater, der in Mailand die Armentafel leitet. Mehr als 2000 kostenlose Mittagessen stellen die Franziskaner täglich bereit, und trotzdem ist es keine Massenabfertigung.

Die Besucher der Armentafel werden am Eingang von einem ehrenamtlichen Mitarbeiter empfangen. Alfio Petrassi engagiert sich hier seit vielen Jahren, er wurde aber auch schon wüst beschimpft. Nicht von den Armen, sondern von den Nachbarn, die in der Umgebung der Armenküche wohnen: "Sie sagen, wir würden die Migranten so gut versorgen, dass sie nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren."

Ramat (links) und ihre Schwester Joy wollen nach London (Foto: K. Hausen)
Ramat (links) und ihre Schwester Joy wollen nach LondonBild: DW/K.Hausen

Enttäuschung bei der zweiten Generation

Fast 20 Jahre lang hat sich Italien geweigert, sich selbst als Einwanderungsland wahrzunehmen. Sowohl in der Gesellschaft als auch in der Politik war die Annahme verbreitet, dass die Einwanderer nur auf Zeit blieben. So wurde ihre Integration dem Zufall überlassen und nicht systematisch vorangetrieben. Das bekommen besonders die in Italien geborenen Kinder der ersten Einwanderergeneration zu spüren.

Ramat und Joy, 13-jährige Töchter nigerianischer Bootsflüchtlinge, wollen Italien verlassen, sobald sie die Schule abgeschlossen haben."Hier haben wir keine Zukunft", meint Ramat. Die Arbeitsplätze würden ja nicht einmal für die Italiener reichen, und wer eine dunkle Hautfarbe hat, werde bei der Arbeitssuche benachteiligt. Ins Heimatland der Eltern zieht es aber weder Ramat noch Joy. London heißt ihre Wunschdestination. Dort wollen sie auf die Universität gehen, arbeiten, heiraten und ihre Kinder großziehen. "Italien war ein Fehler unserer Eltern, den wir nicht wiederholen", lautet ihr Fazit.