1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Italiens Flüchtlingsproblem ungelöst

Christian Ignatzi12. April 2014

Fast täglich versuchen tausende Menschen von Afrika nach Italien zu fliehen. Beobachter kritisieren den Umgang der italienischen Regierung mit den Flüchtlingen. Helfen könnten nun andere EU-Staaten.

https://p.dw.com/p/1Bfw3
Italien Marine rettet Flüchtlinge aus Afrika
Bild: picture-alliance/ROPI

4000 Bootsflüchtlinge in 48 Stunden. Die Zahlen, die die Regierung in Rom in dieser Woche veröffentlicht hat, lassen keine Zweifel: Die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer werden wieder größer. "Das ist tatsächlich so", bestätigt Stefan Telöken vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) im Gespräch mit der DW. Dabei handle es sich aber nicht um Armutsflüchtlinge aus den Subsahara-Staaten. "Meist sind das Flüchtlinge aus Syrien, die vor dem Bürgerkrieg fliehen." Jeder vierte Mensch, der sich derzeit in Libyen aufhält, ist nach Einschätzung des UNHCR ein syrischer Vertriebener.

Flüchtlinge in Lampedusa Italien Februar 2014
Afrikanische Flüchtlinge vor der italienischen KüsteBild: picture-alliance/Ropi

Der italienischen Regierung bereitet die große Zahl an Fluchtwilligen in Nordafrika große Sorgen: Innenminister Angelino Alfano geht von 300.000 bis 600.000 Flüchtlingen aus, die in Libyen schon bald klapprige Schlepperboote besteigen könnten. Bernd Mesovic von der Organisation Pro Asyl hält diese Schätzung allerdings für überzogen: "Diese Zahl scheint aus italienischen Geheimdienstinformationen zu kommen, ob sie stimmt ist nicht bekannt. Die derzeit etwas höhere Zahl der Flüchtlinge, die mit Schiffen an der italienischen Küste ankommen, könnte auch mit dem guten Wetter und den ruhigen Seebedingungen zu tun haben." Der Frühling präge die Entwicklung der Zahlen, die im Winter deutlich geringer gewesen seien.

Auch in Bulgarien gibt es viele Flüchtlinge

"Außerdem verzeichnen wir weltweit einen Anstieg der Flüchtlingszahlen", ergänzt Stefan Telöken. Das Problem: Die Kameras der Medien würden sich ausschließlich auf Engstellen, wie das Mittelmeer konzentrieren. "Italien nutzt das natürlich, um auf sich aufmerksam zu machen", glaubt Pro-Asyl-Experte Mesovic. Auch in Bulgarien gebe es eine Großzahl an Flüchtlingen und in der Türkei hätte es sie auch gegeben, bis die EU Mittel zur Verfügung gestellt hat, um Zäune aufzustellen.

Syrien Homs Bombenanschlag 9.4.2014
Wenn die Städte brennen: Viele Syrer flüchten vor den Vehältnissen in ihrem LandBild: Reuters

Deutlich gestiegen sei die Zahl der Flüchtlinge im Mittelmeerraum in den vergangenen Jahren also nicht, glaubt Mesovic. Stattdessen versuche die italienische Regierung durch die Kommunikation der Zahlen, weitere Hilfen von der EU zu bekommen. 2012 hatte der südeuropäische Staat mit seiner Flüchtlingspolitik für Aufsehen gesorgt. Damals hatte Rom Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Italien wollten, noch auf dem Wasser abgewiesen und zurückgeschickt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) intervenierte und sorgte dafür, dass Italien das nicht mehr darf. Trotzdem gebe es zwei Jahre danach immer noch eine Fülle an Menschenrechtsverletzungen.

Lage der Flüchtlinge hat sich nur geringfügig verbessert

Zwar würden Schiffe nicht mehr einfach abgewiesen, Flüchtlinge würden teilweise aber noch auf den Schiffen vernommen. "Das wissen wir aus italienischen Medien und von NGOs, die sich mit der Sache beschäftigen", sagt Mesovic. Zudem sei kürzlich nach Angaben einer italienischen NGO ein Minderjähriger nach Rom in Abschiebehaft gekommen. "Das ist eine Doppelbödigkeit." Kritisch sieht er, dass Italien eng mit Libyen zusammenarbeite. "Libysche Soldaten arbeiten auf den Kriegsschiffen, die Flüchtlinge kontrollieren. Viele Flüchtlinge, die aus Libyen kommen, fühlen sich dadurch eingeschüchtert.“

Bernd Mesovic Pro Asyl
Bernd Mesovic: "Ein Pseudoasylverfahren auf hoher See hat mit Flüchtlingsschutz nichts zu tun."Bild: Pro Asyl

Seit 2012 habe sich die Lage der Flüchtlinge also nur geringfügig verbessert. Dass Italien nicht glücklich über die hohe Zahl an Flüchtlingen sei, müsse man aber auch verstehen, sagt Stefan Telöken: "In Italien gibt es seit Jahren Probleme mit der Organisation des Asylsystems.“ Diejenigen, die es ins Land geschafft haben, würden wegen des fehlenden effektiven Unterstützungssystems oft obdachlos. Es könne nicht sein, dass man Menschen kurz ins Land lasse und ohne wirkliche Untersuchung wieder abschiebe, pflichtet ihm Bernd Mesovic bei: "Ein faires, schnelles Verfahren ist nach internationalem Flüchtlingsrecht absolut geboten." Italien hat deshalb mehrfach bei der Europäischen Kommission um Hilfe gebeten. "Dabei kann es etwa um die Versorgung der Betroffenen gehen, und um die Aufnahme der Verfahren“, sagt Telöken.

Legale Einreise als mögliche Lösung

Mögliche Abhilfe könnte auch die Möglichkeit einer legalen Einreise schaffen, glaubt der SPD-Europaabgeordnete Wolfgang Kreissl-Dörfler: "In den Herkunftsländern der Flüchtlinge könnten Anlaufstellen geschaffen werden", sagte er im ARD-Interview. Nur durch die Öffnung legaler Wege ließe sich die Flüchtlingswelle verkleinern. "Wir haben jetzt zwar ein etwas einheitlicheres System, aber dass die Leute, die an einer Grenze anlanden, in kein anderes Land mehr weitergehen können, weil dann das Land dafür verantwortlich ist, das geht überhaupt nicht." Stattdessen müsse man es schaffen, Kontingente einzurichten, die Flüchtlinge auf unterschiedliche Länder verteilten. "Das haben wir in Deutschland in den Siebzigern mit den Boatpeople aus Vietnam gemacht. Das hat funktioniert und das kann man wiederbeleben."

Denn: "Wenn nichts passiert, wachsen die Zahlen ins Extreme", prophezeit Pro-Asyl-Mitarbeiter Bernd Mesovic und fügt an, dass "die EU und andere Industriestaaten sich zunächst aber solidarisieren müssen, in erster Linie mit den Ländern in Afrika, wo die Flüchtlinge herkommen." Wer locker von Armut rede, tue so, als gebe es keinen europäischen Beitrag zu der Chancenlosigkeit von Teilen des afrikanischen Kontinents. Wenn sich die Lage dort verbessere, gebe es keine Flüchtlinge mehr.