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IS-Terrormiliz mit Staatsstruktur

14. November 2014

Die Terrororganisation IS hat in den von ihr unterworfenen Gebieten in Syrien und Irak staatsähnliche Strukturen mit Verwaltung und Sozialleistungen geschaffen. Als nächstes soll eine eigene Währung ausgegeben werden.

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Kämpfer des IS mit Fahnen auf einem Fahrzeug (Foto: AP)
Bild: ap

Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) meint es ernst mit ihrem Namen. Wie aus internen Dokumenten hervorgeht, die NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung einsehen und in Teilen kopieren konnten, haben die Islamisten bereits weitgehende staatliche Strukturen geschaffen. So gibt es innerhalb der Organisation so etwas wie eine "Krankenversicherung", Unterstützungszahlungen für Familien getöteter oder inhaftierter Kämpfer und Heiratsbeihilfen.

USB-Sticks des "Kriegsministers"

Die Dokumente geben einen bisher unbekannten Einblick in den Apparat der Terrororganisation. Das Material stammt aus dem Jahr 2013 und reicht bis ins Frühjahr 2014. Es bezieht sich fast ausschließlich auf den Irak. Nach Angaben der irakischen Regierung waren die Dokumente auf USB-Sticks und Festplatten gespeichert und wurden am 5. Juni 2014 bei einer Razzia im Versteck von Abdel Rahman al-Bilawy gefunden. Er war nach irakischen Angaben der zweite Mann innerhalb der Terrororganisation und fungierte als "Kriegsminister". Bei der Razzia wurde er getötet.

(Foto: AP, via Twitter)
Mit einer ausgeklügelten Kampagne in den sozialen Medien will der IS Anhänger gewinnenBild: picture-alliance/AP Photo

Die Unterlagen enthalten umfangreiche Namenslisten von Kämpfern, detaillierte Angaben über Waffeneinkäufe sowie Personalakten von Selbstmordattentätern. In einer Art Kartei registriert die IS-Führung darin "Märtyrer", die für Selbstmordattentate abkommandiert sind. Sie hinterlassen meist eine Telefonnummer, so dass später ihre Familien oder Freunde unterrichtet werden können. Aus den Unterlagen ergibt sich, dass viele der Freiwilligen schon eine Woche nach ihrer Ankunft im Irak ein Selbstmordattentat begehen.

Bezirke mit eigenem Etat

Die Unterlagen zeigen außerdem, dass die irakischen Provinzen, die sich in der Gewalt der sunnitischen Fanatiker befinden, offenbar über eigene Etats verfügen. Es gibt Hilfszahlungen reicher Bezirke an ärmere, offenbar damit Terroristen in allen Provinzen in die Lage versetzt werden, Anschläge zu verüben.

Infografik Organisation des "Islamischen Staats" (grafik: DW)Deutsch

Um die Macht intern zu sichern, investiert der IS große Summen in die Sozialleistungen. Die Kosten dafür übersteigen mitunter sogar die Ausgaben für den Ankauf von Waffen. Ein großer Teil wird durch Schutzgeldzahlungen finanziert, wie die Dokumente nahelegen. Demnach beliefen sich die Ausgaben allein des Bezirks Bagdad-Nord im November 2013 auf fast 500.000 US-Dollar.

Auch über die Waffenkäufe führt der IS penibel Buch. So enthält eine interne Einkaufsliste amerikanische M4-Sturmgewehre zum Preis von 8200 US-Dollar pro Stück. Auch "amerikanische neuwertige Nachtsichtgeräte" kauften die Terroristen zum Preis von je 2900 Dollar ein. Über beide Waffen verfügte zu diesem Zeitpunkt die irakische Armee. Deshalb besteht der Verdacht, dass die Waffen von korrupten irakischen Militärs stammen könnten.

IS Währung Drham (Screenshot: https://twitter.com/bakoon7/media)
Eine eigene Währung gehört für die sunnitischen Fanatiker dazuBild: www.twitter.com/bakoon7

IS will Münzen prägen

Offenbar ist als nächstes die Ausgabe einer eigenen Währung geplant. In einer Mitteilung der Dschihadisten im Internet heißt es, Münzen aus Gold, Silber und Kupfer sollten das "tyrannische Währungssystem" ablösen, "das den Muslimen aufgezwungen wurde und zu ihrer Unterdrückung geführt hat".

Professor Peter Neumann vom King's College London, dem Teile der Unterlagen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung vorgelegt wurden, sagte, für den IS sei die Idee des Staates nicht nur ein Label. "Sie verstehen sich wirklich als Staat und sie möchten als Staat ernst genommen werden."

"Größere Herausforderung als Al-Kaida"

In einer Analyse für die Bundesregierung bezeichnet der Bundesnachrichtendienst den IS als "hochattraktiv" für Muslime in aller Welt. Deshalb stelle die Organisation "eine größere Herausforderung für die westliche Staatengemeinschaft" dar als das Terrornetzwerk al-Kaida.

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir, der sich zurzeit im Nordirak aufhält, sieht im Kampf gegen den IS vor allem zwei Schlüsselfaktoren. Einmal brauche der Irak eine eigene starke Armee. Zum anderen müsse das Verhältnis des Iraks zu Kurdistan geklärt werden. Özdemir sieht Deutschland in einer Vermittlerrolle: "Da sollten wir aktiv mithelfen", sagte er in einem Interview der Deutschen Welle. Die Schwäche der Zentralregierung in Bagdad und der irakischen Armee sei eine der wesentlichen Ursachen für das Erstarken des IS.

UN-Bericht: IS in Syrien wird immer stärker

Auch in Syrien hat der "Islamische Staat" trotz der US-geführten Luftangriffe an Einfluss gewonnen. Im Bericht einer unabhängigen Untersuchungskommission für den UN-Menschenrechtsrat heißt es, die Kampfkraft der bewaffneten Gruppen sei in den vergangenen Monaten weiter gewachsen. Dazu hätten auch eingereiste Dschihadisten aus anderen islamischen Konfliktregionen wie etwa Tschetschenien beigetragen.

uh/jj/qu (dpa, sueddeutsche, DW)