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Rot für Verkehrssünder

Silke Wünsch10. April 2014

Ein neues Bewertungsportal im Netz sorgt für Diskussionen. Autofahrer können anhand des Autokennzeichens mit einem Ampelsystem bewertet werden. Datenschützer fürchten Missbrauch.

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Screenshot Fahrerbewertung.de
Bild: Screenshot Fahrerbewertung.de

Nicht umsonst heißt es häufig: Auf deutschen Straßen herrscht das Recht des Stärkeren. Oft wird gedrängelt, genötigt, geschnitten und falsch überholt. Nicht ohne tödliche Folgen. Allein in Deutschland sind im vergangenen Jahr bei Verkehrsunfällen 3290 Menschen gestorben.

Der Gesetzgeber bringt zwar immer härtere Strafen für Temposünder auf den Weg, dennoch bleibt das Tempolimit auf deutschen Autobahnen tabu, die Autoindustrie baut weiter PS-starke Modelle, die manchen Autofahrer dazu verleiten, zu zeigen, wer "Herr der Straße" ist.

Mit so einem Fahrer hatte auch ein Mitarbeiter der kleinen Bonner Internetfirma "bo-mobile" zu tun. Nachdem der ihn bösartig geschnitten hatte, überlegte er noch, ob er dem Fahrer hinterherbrüllen oder lieber gleich eine Anzeige erstatten sollte. Da das in den seltensten Fällen etwas bringt, entstand die Idee zu einer Webseite, auf der Internetnutzer Autofahrer bewerten können. Das sechsköpfige Team von bo-mobile, das auf Vergleichsportale im Netz spezialisiert ist, entwickelte das Portal fahrerbewertung.de. Hier gibt der Nutzer ein KFZ-Kennzeichen ein und beurteilt den Fahrer nach einem Ampelsystem. Zunächst nur in drei Stufen: Grün bedeutet gut, gelb heißt neutral und rot gibt die schlechteste Note. Weitere Angaben sind im nächsten Schritt möglich: Ist der Fahrer besonders rücksichtslos und mit Dauerlichthupe unterwegs? Oder ist er eher freundlich, macht Platz, lässt Leute über Zebrastreifen gehen? Außerdem kann man Fahrzeugtyp und -marke angeben sowie den Ort und den Zeitpunkt, an dem man dem Fahrer begegnet ist.

Symbolbild Drängler im Verkehr
Unangenehm für den "Gejagten": Die Lichthupe im RückspiegelBild: imago/Jochen Tack

Missbrauchsszenarien

Das sind eine Menge Informationen, die die Datenschützer natürlich sofort aufhorchen lassen: Können da nicht sofort Bewegungsprofile erstellt werden? Der Datenschutzbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Nils Schröder, sieht das Portal deshalb kritisch: "Da gibt es noch eine Menge bedenklicher Details. Es geht hier einerseits um das Recht auf informelle Selbstbestimmung, das heißt, dass ich selber bestimme, was über mich öffentlich gemacht wird. Andererseits gibt es auch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Und genau in dieser Grauzone bewegt sich diese Seite."

Das gilt auch für andere Bewertungsportale. Das Beispiel "spickmich" - eine Seite, auf der Lehrer von Schülern benotet werden - sorgte 2009 für Schlagzeilen, als eine Lehrerin bis vor den Bundesgerichtshof ging, um gegen das Portal zu klagen. Die Obersten Richter wiesen die Klage mit dem Hinweis auf das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ab.

Missbrauchsszenarien sind die Begleiterscheinung eines jeden Bewertungsportals. Bei "Fahrerbewertung" etwa fürchtet Nils Schröder, dass Nutzer "mit gerigem Zusatzwissen" leicht die persönlichen Daten herausfinden können, die hinter einem Kennzeichen stehen, zum Beispiel durch einen Anruf bei der Autoversicherung. Oder dass sich viele Leute zu einer Gruppe zusammenschließen, um einem Fahrer eins auszuwischen. "Sowas kann bei einer Bewerbung, etwa für den Job eines Kraftfahrers, eine Rolle spielen."

Das aber ist nach Angaben der Firma bo-mobile überhaupt nicht möglich, erklärt Geschäftsführer Henrik Wolter: "Die Software lässt es nicht zu, dass ein Auto eine Massenbewertung bekommt." Wenn sich viele Nutzer innerhalb von wenigen Tagen auf ein Kennzeichen konzentrieren, merkt das Programm, dass da etwas nicht stimmen kann und blockt die Bewertungen an der Stelle ab.

Für ein besseres Miteinander

Die Seite soll keine Plattform werden, die Autofahrer an den Pranger stellt. "Wir möchten die Möglichkeit bieten, Fahrer auf ihr Fehlverhalten hinzuweisen, ohne dass man direkt die Polizei ruft", erklärt Wolter. "Unsere Grundintention ist ein besseres Miteinander im Straßenverkehr."

Was aber macht die kleine Firma mit den vielen Daten, die auf der Plattform gesammelt werden? Sie werden, so Wolter, nicht veröffentlicht. Intern jedoch könne die Firma durch Informationen wie Ort und Zeit Hinweise auf mögliche Gefahrenstellen und Engpässe finden und so die Kommunen bei der Verkehrsplanung unterstützen.

Kind an einem Zebrastreifen (Foto: dpa)
Vorbildlich: Rücksichtnahme auf die schwächsten VerkehrsteilnehmerBild: picture-alliance/dpa

Das Thema Fahrerbewertung ist übrigens kein rein deutsches. In den USA und in einigen europäischen Ländern haben Autoversicherer den so genannten "Telematik"-Tarif eingeführt: Eine Blackbox sammelt Daten über das Fahrverhalten. Wer besonders umsichtig fährt, zahlt weniger Versicherungsgebühren. In den USA sind laut Unternehmensberater Towers Watson die Schäden bei Telematik-Kunden um bis zu 40 Prozent zurück gegangen.

In England, den USA und Australien hat sich die Initiative "How is my driving" (Wie gut fahre ich?) bewährt. Die Teilnehmer haben einen Aufkleber mit der Frage am Heck, darunter eine Telefonnummer. Unter der Nummer können andere Autofahrer ihre Bewertung abgeben. Auch das soll bei den Fahrern mit den Aufklebern schon zu Erfolgen geführt haben.

Überwiegend positiv

Die deutsche Seite "Fahrerbewertung" ist seit Januar 2014 am Start, erst in den letzten Wochen wurde sie bekannter. Immerhin haben schon fast 100 000 User eine Bewertung abgegeben.

Inwieweit sich die Betreiber der Seite und das Landesamt für Datenschutz und Informationsfreiheit darüber einigen können, ob die Seite sich im rechtlichen Rahmen bewegt, zeigt sich erst noch. Auch wenn es hier keine Möglichkeit gibt, Fotos von Autos hochzuladen oder Kommentare über Fahrer abzugeben, findet Datenschützer Nils Schröder die Seite "rechtlich grenzwertig" und wartet noch auf eine offizielle Stellungnahme von bo-mobile. Die wiederum seien kooperationsbereit, sagt Henrik Wolter, schließlich sei man an einer Lösung interessiert. Zumal die Statistiken der ersten Wochen eine erfreuliche Entwicklung zeigten: Mehr als 60 Prozent der Bewertungen, freut sich Wolters, seien durchweg positiv.