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Indigene Völker brauchen mehr Schutz

Marcus Lütticke21. September 2014

Zum ersten Mal hält die UN-Generalversammlung eine Weltkonferenz über indigene Völker ab. Yvonne Bangert von der Gesellschaft für bedrohte Völker ist davon überzeugt, dass Deutschland auf dem Gebiet mehr tun muss.

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Samin aus Finnland (Foto: Imago)
Diese Samin aus Rovaniemi, Finnland, gehört zu den Indigenen, die noch in Europa lebenBild: Imago

DW: Frau Bangert, wenn wir über indigene Völker sprechen, über wie viele Menschen in welchen Ländern reden wir dann?

Yvonne Bangert: Es gibt verschiedene Schätzwerte, die sich zwischen 350 und 400 Millionen Menschen bewegen. Man geht allgemein von 7000 Völkern aus und es gibt sie auf allen Kontinenten. Für Europa, wo man ja oft denkt, dass es keine indigenen Völker gibt, sind es die Sami, vor allem in Norwegen.

Warum brauchen diese Völker einen besonderen Schutz?

Sie sind in aller Regel bedroht von Landverlust. Dazu muss man wissen, dass sich die indigenen Völker sehr verbunden fühlen mit der Erde, mit dem Boden, von dem wir leben. Sie reden auch häufig von Mutter Erde, was ja schon sehr viel sagt. Es ist für ihr Überleben - sowohl das physische als auch das spirituelle - sehr wichtig, dass sie eine gesicherte Landbasis haben, auf der sie auch selbstverwaltet und selbstkontrolliert leben können. Das wird ihnen zunehmend streitig gemacht, weil diese Gebiete die größten Reserven von Rohstoffen wie Öl, Gas, Kohle und Uran sind, so dass es Begehrlichkeiten von der Wirtschaftswelt gibt. Sie müssen sich häufig verteidigen und stehen mit dem Rücken zur Wand. Sie sagen immer: Unser Land ist unser Supermarkt und unsere Kirche. Wenn wir unser Land verlieren, verlieren wir alles.

Wie sieht das Leben dieser Menschen aus? Leben sie zurückgezogen, vielleicht in Reservaten, oder gibt es auch viele, die sich dem Lebensstil in Städten angepasst haben?

Yvonne Bangert, Referat indigene Völker der Gesellschaft für bedrohte Völker (Foto: GfbV)
Yvonne Bangert von der Gesellschaft für bedrohte VölkerBild: GfbV

Das ist eine sehr große Vielfalt, ebenso wie in der nicht-indigenen Welt auch. In den Regenwaldgebieten - zum Beispiel am Amazonas - leben Völker in sogenannter freiwilliger Abgeschiedenheit. Sie meiden also ganz bewusst den Kontakt zur Außenwelt. Es gibt aber auch Völker - wie etwa die Huaorani in Equador oder die Asháninka in Brasilien - die in beiden Welten leben. Von ihnen gibt es inzwischen eine junge Generation von Menschen, die eine gute Ausbildung haben und einerseits das traditionelle Leben in ihren Gemeinschaften fortführen, andererseits aber auch als Politiker die Interessen ihrer Gemeinschaften vertreten, auch international. Wir als Gesellschaft für bedrohte Völker haben auch oft Gäste aus diesen indigenen Gruppen, die nach Deutschland kommen und sich kritisch mit Entwicklungsprojekten in ihrem Land auseinandersetzen. Von uns erhoffen sie sich einen Kontakt zu den politischen Entscheidungsträgern in Berlin.

Es gibt ja das Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern, auch bekannt als ILO 169, das indigene Völker schützen soll. Warum wurde es bisher nur von 22 Staaten ratifiziert?

Wir vermuten, dass das ganz stark daran liegt - und es gibt ja auch einige Politiker die ganz offen so argumentieren, auch hier in Deutschland - dass man, wenn man die indigenen Völker als Verhandlungspartner auf Augenhöhe ernst nimmt, manches Wirtschaftsprojekt nicht mehr so durchführen kann, wie man es gerne möchte. Man fürchtet dann finanzielle Einbußen.

Deutschland hat das Übereinkommen bisher auch nicht ratifiziert. Wie sieht die politische Stimmungslage dazu momentan aus?

Wir arbeiten unerlässlich daran, dass Deutschland endlich ratifiziert. Damit meine ich nicht nur die Gesellschaft für bedrohte Völker, sondern es gibt einen Verbund vieler NGOs, kirchlicher Hilfswerke und anderer Gruppen, die im Interessenkreis ILO 169 zusammengeschlossen sind und gemeinsam mit aufgeschlossenen Politikern Lobbyarbeit betreiben. Es war auch schon einige Male kurz davor, dass die Bundesregierung ratifiziert hätte, aber es ist dann immer durch Regierungswechsel gescheitert. Wir haben eine gute Unterstützerbasis bei der SPD und den Grünen und es wird sicher nicht mehr lange dauern, bis es den nächsten Anlauf gibt.

Was tut die deutsche Bundesregierung denn jetzt schon zum Schutz indigener Völker?

Sie sagt, dass sie sich auf Ebene der UN sehr stark einsetzt. Ich glaube auch, dass die Kollegen dort einen guten Willen haben. Aber wir vermissen trotzdem oft mehr Signale, dass die Interessen der Betroffenen auch ernst genommen werden. Zum Beispiel beim sehr umstrittenen Belo-Monte-Staudamm in Brasilien: Dort verdienen deutsche Unternehmen durch den Pipelinebau mit, ähnlich wie beim Pipelinebau in Ecuador, wo die WestLB mit finanziert hat. Die Pipeline dort ist diverse Male gebrochen und hat das Land verseucht. Es geht aber auch um Verhandlungen zu Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA: Wer Erdgas aus Fracking importieren will muss wissen, dass die Quellen für diese Frackingförderung oft auf indianischem Land liegen.

Bei den Vereinten Nationen in New York findet dieses Jahr zum ersten Mal eine Weltkonferenz über indigene Völker statt (22. bis 23.09.2014). Wie kam es dazu?

Die Konferenz ist gerade jetzt terminiert, weil in diesem Jahr die zweite UN-Dekade für die Rechte indigener Völker ausläuft. Es ist also einer Art Abschlusskonferenz, auf der Bilanz gezogen werden soll, was in den letzten 20 Jahren erreicht worden ist, welche Ziele man noch anstreben kann und wie es organisatorisch weiter gehen soll.

Was versprechen Sie sich von dieser Veranstaltung? Was wünschen Sie sich?

Die indigenen Sprecher haben im Vorfeld Kritik an der Organisation geäußert. Sie wollten gleichberechtigt mitorganisieren, aber sie sitzen jetzt nicht mit auf dem Podium. Dabei geht es um ihre Rechte. Sie haben sich sehr darüber beklagt, dass sie sich ausgegrenzt fühlen. Das ist jetzt so gelaufen, aber man kann es ja positiv wenden und hoffen, dass ein Mechanismus gefunden wird, um die Strukturen und Arbeitsweisen der beiden vorangegangenen Dekaden fortzusetzen. Es gibt bereits Mechanismen, aber diese müssen weiter verbessert werden.

Yvonne Bangert arbeitet im Referat indigene Völker der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen.