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Ukraine-Krise: Der Ton wird schärfer

30. August 2014

Moskau vergleicht die ukrainischen Truppen mit der Wehrmacht. Kiew fordert Waffen von der NATO. Berlin spricht erstmals von einer russischen Invasion und Warschau sogar von Krieg. Am Abend kam es zu einem Zwischenfall.

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Präsident Vladimir Putin 29.8.2014
Wladimir Putin (Foto: Reuters)Bild: Reuters

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu konnte nur mit Verzögerung über den polnischen Luftraum aus der Slowakei in seine Heimat zurückkehren. Die polnische Luftaufsicht begründete ein zunächst verhängtes Überflugverbot mit formalen Problemen: Die Militärmaschine mit Schoigu an Bord sei als ziviler Flug angemeldet worden. Polen gehört zu den Staaten, die das russische Vorgehen in der Ukraine besonders scharf kritisieren.

Im Ukrainekonflikt hat sich der Ton insgesamt deutlich verschärft. Immer mehr europäische Staaten sprechen nun offen von einer "russischen Invasion" im Osten der Ukraine. Beim Treffen der 28 EU-Außenminister in Mailand hält sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mit diesem Wort bislang zurück, doch auch er spricht von einer "neuen Dimension" in der Ostukraine und von "Grenzverletzungen". Diese ließen befürchten, dass die Lage außer Kontrolle gerate. Steinmeier warnt vor einer unmittelbaren militärischen Konfrontation ukrainischer und russischer Streitkräfte und fordert von Russland, "endlich mit offenen Karten zu spielen".

Polen spricht von Krieg

Was Steinmeier in Mailand nicht sagte, hatte Regierungssprecher Steffen Seibert schon vorher in Berlin ausgesprochen. Die Hinweise auf die Präsenz von Russen und russischen Waffen hätten sich verdichtet, und "das alles zusammen addiert sich zu einer militärischen Intervention."

Noch deutlicher drückt es Polens Außenminister Radoslaw Sikorski aus. Für ihn herrscht im Osten der Ukraine ein veritabler "Krieg". Auf Twitter schreibt Sikorski: "Wenn es wie ein Krieg aussieht, sich wie ein Krieg anhört, und wenn es Tote gibt wie in einem Krieg - dann ist es ein Krieg."

Was am Freitag in Äußerungen deutlich wurde, könnte sich am Samstag beim EU-Sondergipfel in Brüssel zu neuen EU-Sanktionen gegen Russland wandeln. So fordert der estnische Außenminister Urmas Paet im Vorfeld des Gipfels "Sanktionen, die wirklich wehtun". Und auch Steinmeier warnt, die EU-Mitglieder seien bereit, den Druck zu erhöhen.

Kiew fordert Militärhilfe von der NATO

Der ukrainische Botschafter bei der NATO, Igor Dolgow, fordert das Bündnis auf, sein Land im Kampf gegen die Separatisten im Osten des Landes mit Waffen zu unterstützen. Die NATO war auf Antrag Dolgows zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengekommen.

Die Regierung in Kiew hatte zuvor angekündigt, einen neuen Antrag zur Aufnahme in die NATO zu stellen. Ministerpräsident Arseni Jazenjuk sagte, es werde ein entsprechender Gesetzesentwurf ins Parlament eingebracht, um "den blockfreien Status zu beenden und auf den Weg zum NATO-Beitritt zurückzukehren". Er begründete den ukrainischen Wunsch nach Mitgliedschaft in der Militärallianz mit der russischen "Aggression" im Osten der Ukraine.

Rasmussen: Moskau boykottiert Friedenslösung

Die NATO zeigte sich diesem Ansinnen der Ukraine gegenüber offen. "Wir verfolgen das Prinzip, dass jedes Land das Recht hat, ohne Einmischung von außen darüber zu entscheiden. Und wir hoffen, dass andere Staaten dieses Prinzip auch befolgen", sagte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Anspielung auf Russland. Moskau ist strikt dagegen, dass sein westlicher Nachbar vom westlichen Verteidigungsbündnis aufgenommen wird.

Igor Dolhow, NATO-Botschafter der Ukraine (Foto: rtr)
Igor Dolhow, NATO-Botschafter der UkraineBild: Reuters

Der NATO-Generalsekretär richtete erneut scharfe Worte in Richtung Russland. "Wir drängen Russland, seine illegalen militärischen Aktionen einzustellen", sagte Rasmussen. Die bisherigen Leugnungen Russlands, die prorussischen Rebellen aktiv zu unterstützen, nannte er "leere" Worte.

Russische Soldaten: reguläre Truppen oder nicht?

Ebenso wie die Regierung in Kiew wirft die NATO Russland vor, sich auf Seiten der Separatisten mit Hunderten Soldaten und schweren Waffen militärisch massiv in den Konflikt in der Ukraine einzumischen. Die Nordatlantik Allianz veröffentlichte am Donnerstag Satellitenbilder, die russisches Militär in der Ostukraine zeigen sollen. Es sollen mehr als 1000 russische Soldaten an dem Einsatz beteiligt sein.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat hingegen bisher keine Beweise für einen Einsatz regulärer russischer Truppen in der Ukraine. Aus unterschiedlichen Quellen wisse man allerdings, dass ganz offensichtlich eine Gegenoffensive der Separatisten im Gange sei, sagte Thomas Greminger, Ständiger Vertreter der Schweiz bei der OSZE, im Deutschlandradio Kultur. Es erscheine wahrscheinlich, dass von irgendwoher Nachschub an Waffen und Munition geliefert werde.

Satellitenbild der NATO soll russische Truppen in der Ukraine zeigen (Quelle: rtr/NATO)
Dieses Satellitenbild der NATO soll russische Truppen in der Ukraine zeigen

Russland hat solche Truppen-Einsätze in der Ukraine erneut bestritten. "Wir hören solche Spekulationen nicht zum ersten Mal," aber sie seien noch nie mit Fakten belegt worden, sagte Außenminister Sergej Lawrow. Er nannte die Satellitenbilder mit angeblichen russischen Truppenbewegungen als Beweise ungeeignet.

Putin zieht Wehrmachtsvergleich

Kremlchef Wladimir Putin begrüßte die "bemerkenswerten Erfolge" der Separatisten "gegen die Militäroperation Kiews". Die Aufständischen würden damit die ukrainischen Militäreinsätze abwehren, die eine tödliche Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellten. Putin bezeichnete sie als Verteidiger eines "Neuen Russlands" – ein Begriff für imperiale Hoheitsgebiete der Zarenzeit. Von der Regierung in Kiew verlangte der Präsident, sie müsse "aussagekräftige Gespräche" mit den Aufständischen führen und den Menschen im Osten und Südosten des Landes rechtliche Garantien geben.

Putin sagte, die Taktik der Regierungstruppen "erinnert mich an die der faschistischen deutschen Truppen in der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Großstädte wurden eingekesselt und durch gezielten Beschuss zerstört, samt Einwohnern."

UNHCR: Terrorherrschaft der Separatisten

Ganz anders liest sich die Meinung des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte. Dieses wirft den prorussischen Aufständischen eine Terrorherrschaft in den von ihnen kontrollierten Städten vor. Es sei zu Morden, Folterungen und Verschleppungen gekommen. Bewohner sollen an der Flucht gehindert und fliehende Zivilisten beschossen worden sein.

Aber auch der ukrainischen Armee werfen die UN-Menschenrechtsexperten den Beschuss ziviler Ziele und Massenfestnahmen von angeblichen Kollaborateuren der Separatisten vor.

cw/mak/rb (dpa, afp, rtr)