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In Finnland geht's um die Wurst

Bernd Riegert, Helsinki18. April 2015

Vor der Wahl am Sonntag werben Finnlands Politiker um Stimmen. Die Rechtspopulisten fordern weniger Macht für Europa - vielen Finnen ist die Wirtschaftskrise aber wichtiger. Aus Helsinki berichtet Bernd Riegert.

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Wahlkampf in Finnland
Bild: DW/B. Riegert

Der Grill mit brutzelnden Würstchen duftet und zieht auf einem Platz mitten in Helsinki die meisten Menschen an. In einer langen Schlange warten sie auf die kostenlosen Wahlgeschenke der Internet-Aktivisten von der "Piratenpartei". Einen Stand weiter solle es sogar Whisky geben, gegen die Kälte, sagt einer der Wartenden lachend. Drei Grad Celsius plus. Ab und zu jagt ein Schauer mit Schneeregen über den Platz. Alle wesentlichen Parteien, die am Sonntag in das Parlament wollen, haben ihre Stände nebeneinander auf dem Platz aufgebaut und verteilen außer Würstchen auch Handzettel ihrer Kandidaten. Laute Reden gibt es keine.

Für die Wähler ist das praktisch. Sie haben einen Wahlkampf der kurzen Wege. Nur ein paar Meter trennen die konservative Kokoomus-Partei, die im Moment noch den Ministerpräsidenten stellt, von der liberalen Zentrumspartei. Das Zentrum wird laut Umfragen diesmal stärkste Kraft werden, wird aber, wie das in Finnland Tradition ist, zwei oder drei Koalitionspartner brauchen, um eine Regierung bilden zu können.

Rechtspopulisten in die Regierung?

Eine Gruppierung, die unbedingt in die Regierung will, sind die "Wahren Finnen", die sich 2012 in "Die Finnen" umbenannt haben. Im Zelt der Europa-kritischen Rechstpopulisten teilt Heikki Kohonen Kaffee aus und drückt den Passanten Parteiprogramme in die Hand. Der Andrang ist nicht so groß wie bei den benachbarten "Piraten". Heikki Kohonen grinst: "Naja, die haben ja Würstchen."

Heikki Kohonen im Wahlkampfzelt - Foto: Bernd Riegert/DW
Heikki Kohonen (rechts) will in Europa nicht für andere haften müssenBild: DW/B. Riegert

Die "Finnen-Partei", die in jüngster Zeit gemäßigter auftritt, kann nach den letzten Meinungsumfragen mit einem Fünftel der Mandate im Parlament rechnen. Bislang waren sie die stärkste Oppositionspartei - jetzt wollen sie mitregieren. Er wolle endlich Veränderungen sehen, sagt Wahlkampfhelfer Kohonen. Der bisherige Ministerpräsident Alexander Stubb von den Konservativen war ihm zu leidenschaftlich pro-europäisch. "Die Wirtschaft ist das Thema Nummer eins. Aber es geht auch darum, dass aus der europäischen Intregration nicht irgendwann ein richtiger europäischer Bundesstaat wird, so wie die USA oder auch Deutschland. Die Banken-Union, in der alle zusammen sind, ist eine widerliche Sache, weil wir dann auch für die Schulden und den Schaden der anderen verantwortlich sind", findet Kohonen. Weitere finanzielle Hilfen für Griechenland aus der Euro-Währungsgemeinschaft, zu der auch Finnland gehört, lehnen "Die Finnen" ab. Es dürfe keine weiteren Kredite geben, nie mehr, meint Heikki Kohonen. "Denn die sind selber Schuld an ihren Schwierigkeiten."

Sparpolitik muss kommen

Viele Finnen sehen die Rettungspolitik der Euro-Gruppe inzwischen skeptisch. Sie wollen lieber sich selbst helfen, denn der finnische Staat steht wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise selbst vor einschneidenen Kürzungen im Haushalt.

Risto Penttilä, Geschäftsführer der finnischen Handelskammer, Helsinki - Foto: Bernd Riegert/DW
Risto Penttilä: Das Schlimmste kommt nochBild: DW/B. Riegert

Im bislang gut ausgestatteten Sozialstaat Finnland lehnen viele Wähler die strenge Sparpolitik ab. Diese habe aber bisher noch gar nicht richtig gegriffen, sagt Wirtschaftsexperte Risto Penttilä, Chef der finnischen Handelskammer in Helsinki. "Austerität, Sparpolitik - das waren bisher nur Worte, keine Taten. Bei Finnland spricht man zwar von Austerität, aber tatsächlich sind nur ganz wenige Haushaltskürzungen gemacht worden", so Penttilä. Die neue Regierung werde Kürzungen umsetzen müssen, um die Rezession zu überwinden, glaubt der Wirtschaftsfachmann. "Wir haben die höchste Steuerlast in Europa. Wir haben eine der höchsten Quoten an staatlichen Ausgaben im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. Das ist einer der Gründe dafür, dass die Wirtschaft lahmt."

Kernfrage: der nordische Sozialstaat

In seinem Wahlkampfzelt auf dem Marktplatz hat sich der sozialdemokratische Kandidat Thomas Wallgren seine knallrote Mütze tief ins Gesicht gezogen. "Es ist einfach zu kalt. Normalerweise ist es im April schon wärmer. Wir haben die Wahlen ja extra einen Monat nach hinten geschoben, damit es wärmer ist. Tja, der Klimawandel ist hier noch nicht angekommen", sagt er mit verschmitztem Lächeln.

Thomas Wallgren, Kandidat der Sozialdemokraten - Foto: Bernd Riegert/DW
Thomas Wallgren: Das nordische Modell muss gerettet werdenBild: DW/B. Riegert

Die Sozialdemokraten waren an der alten Regierung beteiligt und werden wohl auch in der neuen Koalition nach den Wahlen am Sonntag vertreten sein. Wallgren hofft, dass er mit neuen Partnern die drohende Sparpolitik noch verhindern und mit staatlichen Investitionen der Wirtschaft auf die Sprünge helfen kann. "Wir müssen das nordische Modell des Sozialstaates erhalten. Hohe Steuern, aber dafür auch umfassende Sozialleistungen. Dabei geht es in dieser Wahl im Kern: Trauen wir uns zu, das weiterzuführen?"

Abhängigkeit von Russland

Der Chef der norwegischen Handelskammer, ein Freund des scheidenden konservativen Ministerpräsidenten, plädiert dagegen für einen Umbau des Sozialstaates. Risto Penttilä sieht große strukturelle Probleme in der Wirtschaft, die nicht mehr ausreichend wettbewerbsfähig und sehr abhängig vom russischen Markt ist.

Der Handel mit dem russischen Nachbarn ist nach der Ukraine-Krise und gegenseitigen Sanktionen zusammengebrochen. Nach dem Sturz des Rubels können sich viele russische Touristen die früher übliche Einkaufstour in Helsinki nicht mehr leisten. Und finnische Kaufhausketten schließen ihre Filialen in russischen Städten. "Wir sind mitten in der schwersten Krise, die Finnland je erlebt hat. Die wird noch viele Jahre anhalten. Deshalb wird die nächste Regierung eine sehr schwierige Aufgabe vor sich haben", prognostiziert Penttilä.

Lange Plakatwände mit winzigen Porträtfotos sämtlicher Kandidaten vor dem Bahnhof in Helsinki - Foto: Bernd Riegert/DW
Kleinteiliger Wahlkampf: Statt lauter Parolen nur Plakate mit Porträts der KandidatenBild: DW/B. Riegert

Rechtspopulisten integrieren, nicht isolieren

Der sozialdemokratische Wahlkämpfer Thomas Wallgren sieht das anders. Der finnische Staat könne sich immer noch billig Geld leihen und dieses investieren, um Nachfrage zu schaffen. Allerdings steigt die Staatsverschuldung in Finnland bereits heute rasant an. Bei den Privatleuten sieht es nicht besser aus. Finnland verzeichnet derzeit die höchste Zahl privater Insolvenzen seit über zwanzig Jahren. Dass in dieser schwierigen Lage, die Rechspopulisten auftrumpfen und die Politik maßgeblich beeinflussen werden, glaubt der Sozialdemokrat Wallgren allerdings nicht. "Ein kleiner Teil von denen sind Rassisten. Das lehne ich natürlich scharf ab. Aber in Finnland ist man ganz gut darin, populistische Parteien zu integrieren. Man gibt ihnen Verantwortung - und dann werden sie kleiner. Sie werden sich einer vernünftigen Politik anpassen müssen."

In der Partei "Die Finnen" unter ihrem Vorsitzenden Timo Soini werde viel harte Rhetorik verwendet, meint Wirtschaftsexperte Risto Penttilä, aber die tatsächlichen Forderungen sei schon stark abgemildert worden. So werde Finnland in der Euro-Zone bleiben und ein Rauswurf der Griechen werde nicht mehr direkt verlangt. Parteichef Timo Soini, ein ehemaliger Europaabgeordneter, sei sehr kritisch, aber lehne die EU nicht prinizipiell ab, glaubt Risto Penttilä: "Die Populisten werden in Finnland nicht als Bedrohung der Demokratie angesehen, sondern als Teil einer funktionierenden Demokratie. Man hört sich die Leute an. Wir umarmen die Extremen lieber und bilden einen Konsens anstatt auf eine tiefe Spaltung zwischen Regierung und Opposition zu setzen."

Mehr oder weniger im Konsens läuft auch der Wahlkampf auf dem Platz in Helsinki ab. Alle Parteien sind friedlich versammelt. Und auch Wahlkampfhelfer gegnerischer Parteien bekommen bei den "Piraten" ein Würstchen. Sie duften einfach zu gut.