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EU ist empört

Christoph Hasselbach24. Oktober 2013

Nach der angeblichen Bespitzelung von Bundeskanzlerin Merkel durch US-Nachrichtendienste fordern Teilnehmer des EU-Gipfels Konsequenzen. Zur Diskussion stehen unter anderem neue Datenschutzbestimmungen.

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Merkel spricht in viele Mikrophone (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Der Datenschutz und die Förderung der Digitalwirtschaft stehen zwar in allgemeiner Form auf der Tagesordnung des Gipfels. Dass die Thematik aber eine solch aktuelle Brisanz bekommen würde, hätte wohl noch kurz vor dem Gipfel niemand gedacht. Jetzt droht die Affäre um das Ausspionieren von Bundeskanzlerin Angela Merkels Dienst-Handy, den gesamten Gipfel zu überschatten. Merkel selbst ließ es bei ihrer Ankunft in Brüssel nicht an Deutlichkeit fehlen: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht." Es gehe bei der Affäre nicht vor allem um sie selbst, sondern um alle Bürger. Das Vertrauen zur US-Regierung und zu Präsident Barack Obama, mit dem sie noch vor kurzem über das Thema gesprochen hatte, sieht sie erschüttert: "Vertrauen muss jetzt wieder neu hergestellt werden."

Barroso sieht Stasi-Parallelen

Bis zum Mittwochabend waren Deutschland und Frankreich auffällig unterschiedlich mit Vorwürfen umgegangen, der amerikanische Geheimdienst NSA habe im großen Stil europäische Bürger belauscht. Im Sommer hatte die Bundesregierung die Sache offiziell für erledigt erklärt. Frankreich hat dagegen vor wenigen Tagen den amerikanischen Botschafter einbestellt. Plötzlich, wo Merkel offenbar selbst betroffen ist, ist alles anders, und Berlin und Paris sind in ihrer Empörung vereint. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nannte das Verhalten der US-Geheimdienste sogar totalitär: "Wir in Europa haben noch kürzlich erfahren, was Totalitarismus bedeutet, wenn der Staat seine Macht missbraucht, um in das Leben der Menschen einzudringen", sagte Barroso und nannte als Beispiel die DDR, in der Merkel aufwuchs.

EU-Ratspräsident Van Rompuy, US-Präsident Obama, EU-Kommissionspräsident Barroso nebeneinander (Foto: dapd)
Van Rompuy, Obama und Barroso: Vertrauen erschüttertBild: dapd

Schulz: Freihandelsgespräche aussetzen

Auch aus dem Europaparlament bekommt die Kanzlerin Rückendeckung und zugleich Druck, bei den Konsequenzen aus der Abhöraffäre nicht nur an sich zu denken. Die FDP-Europaabgeordnete Nadja Hirsch fordert: "Merkel muss jetzt zeigen, dass sie sich wirklich um die Belange der Bevölkerung kümmert: 'Mutti' muss endlich Muttergefühle für das Thema Datenschutz entwickeln - und zwar nicht erst, wenn sie selbst betroffen ist." Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments und möglicher Kandidat für die Nachfolge von Kommissionspräsident Barroso, forderte sogar einen Stopp der laufenden Verhandlungen mit den USA über ein Freihandelsabkommen: "Ich glaube, dass es jetzt mal einen Moment geben muss, wo wir unterbrechen und nachdenken. Wenn ich in eine Verhandlung gehe und befürchten muss, dass die gegenüberliegende Seite, eine befreundete Demokratie, schon durch Spionage weiß, was ich in der Verhandlung sagen will, ist das ja keine gleiche Augenhöhe mehr."

Das Parlament fühlt sich bestätigt

Am Mittwoch (23.10.2013) hatte eine knappe Mehrheit des Europaparlaments - wenige Stunden, bevor die Spionagevorwürfe bekannt wurden - für ein Aussetzen des sogenannten SWIFT-Abkommens gestimmt. Über SWIFT übermittelt die EU Bankdaten europäischer Bürger an die USA. Offizielles Ziel dieses Systems ist die Terrorbekämpfung - viele Abgeordnete wittern dagegen einen eklatanten Bruch des Datenschutzes. Doch das Parlamentsvotum hätte ohne die jüngste Affäre wahrscheinlich gar keine Folgen gehabt. Denn zuvor müssen die Mitgliedsstaaten zustimmen, und viele Regierungen bewerten die sicherheitspolitischen Vorteile des SWIFT-Datenaustausches höher als den möglichen Missbrauch durch Nachrichtendienste. Doch der Wind in der EU hat sich gedreht.

Überfülltes Schlauchboot mit Afrikanern (Foto: picture-alliance/ROPI)
Flüchtlinge vor Lampedusa: Thema vom Abhörskandal an den Rand gedrängtBild: picture-alliance/ROPI

Alle anderen Themen rücken in den Hintergrund

Vor den jüngsten Ereignissen rechneten die meisten mit einem eher routinemäßigen Gipfel. Bei dem Vorhaben, die Wirtschafts- und Währungsunion weiterzuentwickeln, wollten die Staats- und Regierungschefs ein wenig weiterkommen, hatten aber kaum Erwartungen an konkrete Beschlüsse. Das Thema Flüchtlinge dagegen, das die italienische Regierung auf die Tagesordnung gesetzt hat, ist noch wesentlich brisanter als die Abhörvorwürfe, weil es dabei hundert- und tausendfach um Leben und Tod von Flüchtlingen geht. Trotzdem erwarten auch hier die wenigsten eine Wende in der europäischen Flüchtlingspolitik. Die Länder im Norden wollen, dass die europäischen Mittelmeeranrainer selbst mit dem Flüchtlingsstrom fertigwerden. Sie lehnen mehr Solidarität bei der Aufnahme von Migranten ab. Verglichen mit dem Drama im Mittelmeer, finden Kritiker, sind die amerikanischen Lauschangriffe fast eine Petitesse, selbst wenn das Handy einer deutschen Bundeskanzlerin abgehört wurde.