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Blutige Proteste in Ägypten

Matthias Sailer26. Januar 2013

Die Opposition fühlt sich betrogen und droht mit Boykott der Parlamentswahlen, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Demonstranten und Sicherheitskräfte tragen den Kampf auf den Straßen aus.

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Al-Ahly-Ultras feiern vor ihrem Stadion in Kairo (Foto: DW/ M. Sailer)
Bild: DW/M. Sailer

Bereits am Freitag waren in Suez bei Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen. Mindestens 30 Tote gab es am Samstag (26.01.2013) in der Hafenstadt Port Said und auch in Kairo erlag ein angeschossener Demonstrant seinen Verletzungen.

Fast alle Demonstranten, die zum zweiten Jahrestag der Revolution auf die Straße gingen, protestierten gegen die Herrschaft der Muslimbrüder und ihren Präsidenten Mohammed Mursi. Kairos Tahrirplatz ist voll von Anti-Mursi-Transparenten. Saad Salem, ein etwa 50-jähriger Demonstrant, lässt keinen Zweifel, warum er demonstriert: "Die Muslimbrüder haben das Volk von Anfang an betrogen und jetzt haben sie sich genommen, was sie wollten. Sie wollten das Land beherrschen und haben die Revolution gestohlen. Sie haben die Jugend, die die Revolution begonnen hat, hintergangen."

Keinerlei Vertrauen mehr in die Muslimbrüder

Auf die Muslimbrüder angesprochen, zitieren viele deren immer wieder gebrochene Versprechen: So hatten sie trotz gegenteiliger Ankündigungen einen eigenen Präsidentschaftskandidaten ins Rennen geschickt. Auch die Verfassungsversammlung repräsentierte nie die ägyptische Bevölkerung, sondern blieb stets von Islamisten dominiert: Als noch unklar war, ob Mursi zum Sieger der Präsidentschaftswahlen erklärt werden würde, hatte er den säkulareren Gruppen versprochen, sich um eine repräsentativere Versammlung zu bemühen. Doch zu nennenswerten Veränderungen kam es nie.

Oppositionsgruppen glauben den Aussagen der Muslimbrüder daher kaum noch. Dialog ohne klare vorherige Zugeständnisse lehnen sie inzwischen ab. Die Demonstranten sehen keine andere Wahl mehr, als auf die Straße zu gehen. Nicht wenige stehen auch Gewalt zunehmend offener gegenüber: In Kairo traten einige Demonstranten diesmal von Anfang an sehr provokativ auf. Viele von ihnen hassen Polizei und Militär, weil sie in der Vergangenheit deren Willkür und brutaler Gewalt ausgesetzt wurden. Selbst in die bald anstehenden Parlamentswahlen haben viele Demonstranten kein Vertrauen, so auch der etwa 50-jährige Ahmed: "Immer wenn die Menschen sich beklagen, sagen sie 'wartet auf die nächsten Wahlen'. Aber die Art und Weise, wie die Verfassung zustande kam, sagt mir, dass sie die Menschen auch in den Parlamentswahlen betrügen werden."

21 Fußballfans in Port Said zum Tode verurteiltZu den vielen Toten in Port Said kam es jedoch aus einem weiteren Grund. Dort hatte ein Gericht 21 Fußballfans des Al-Massri Fußballklubs aus Port Said zum Tode verurteilt. Am 1. Februar 2012 starben in Port Said 74 Fans des Kairoer Al-Ahly Fußballklubs, als Al-Massri-Fans die Kairoer Fans attackierten. Doch viele Indizien deuten darauf hin, dass es sich nicht um eine "normale" Stadiontragödie handelt, sondern die Sicherheitskräfte darin involviert waren. Doch über das Schicksal der neun ebenfalls angeklagten hochrangigen Polizeioffiziere wird das Gericht erst am 9. März entscheiden.

Al-Ahly fan malt Graffiti an eine Wand in Kairo (Foto: DW/M. Sailer)
Ein Fan von Al-Ahly malt Graffiti an die Wand: "Wir werden den 26. Januar niemals vergessen"Bild: DW/M. Sailer

Trotz tödlicher Straßenschlachten in Port Said ist das Urteil für die regierenden Muslimbrüder der günstigere Fall. Durch die harten Urteile sind die auf vielen Anti-Regime-Demonstrationen vertretenen Ultras des Al-Ahly Fanklubs vorerst beruhigt. Zuvor hatten diese massive Unruhen gegen das Regime angekündigt, sollte es nicht zu einem zufriedenstellenden Urteil kommen. In ihrem Kairoer Stadion feierten die Ultras die Todesurteile mit bengalischen Feuern und lauten Gesängen. Etwa 50 Meter vor dem Stadion schrieb Sherif, ein Al-Ahly Fan, ein Graffiti auf eine Mauer: "Gratulation zu den Todesurteilen!". Er bringt seine Freude ganz offen zum Ausdruck: "Es ist ein gutes Urteil und ich bin glücklich darüber. Es ist ein richtiger Schritt. Jetzt haben sie diese Typen verurteilt und später werden sie hoffentlich auch die Polizeioffiziere verurteilen."

Opposition fordert Einsetzung einer "nationalen Rettungsregierung"

Die meisten anderen Fans wollen die angeklagten Sicherheitsbeamten ebenso verurteilt sehen. Doch mit dem Verschieben des Prozesses gegen die Polizisten hat das Regime zumindest die Gefahr einer weiteren Eskalation der Gewalt verschieben können. Ein mildes Urteil dürfte zu einem späteren Zeitpunkt weniger Unruhe erzeugen als im jetzigen Klima der Gewalt. Das nützt dem Regime, denn Polizisten wurden in Ägypten bisher selbst bei offensichtlichen Vergehen nur selten schuldig gesprochen. Die Demonstranten macht dieses Taktieren jedoch noch wütender. 

Die oppositionelle Nationale Rettungsfront (NSF) machte Präsident Mursi für die Unruhen verantwortlich. Sie forderte unter anderem, umgehend eine "nationale Rettungsregierung" einzusetzen. Die aktuelle Regierung ist von Unterstützern der Islamisten dominiert. Sollten die Forderungen der NSF nicht erfüllt werden, werde die NSF vorgezogene Präsidentschaftswahlen fordern und die kommenden Parlamentswahlen boykottieren.

Die blutigen Straßenkämpfe gehen derweil in vielen ägyptischen Städten weiter. Am frühen Abend lieferten sich Polizei und Demonstranten Kämpfe nahe dem provisorischen Parlament in Kairo. In Port Said wurde das dortige Hauptquartier der Polizei in Brand gesteckt.