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Im Land der Warlords

David Schah2. Dezember 2002

Demokratie und Menschenrechte, Freiheit des Wortes und des Glaubens - von diesen Grundwerten westlicher Prägung ist Afghanistan noch weit entfernt. Das zeigt ein aktueller Bericht der Organisation 'Human Rights Watch'.

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Frauen dürfen in der Provinz Herat nur mit Burka auf die StraßeBild: AP

Der Bericht schildert die desolate Lage der Provinz Herat in Westafghanistan. Dort herrscht der so genannte Warlord Ismail Khan "nach alter Sitte". Weder die afghanische Regierung unter Präsident Karsai noch die Internationale Sicherheitstruppe (ISAF) haben irgendeinen Einfluss auf das Alltagsleben.

Leben wie in Zeiten der Taliban

Human Rights Watch dokumentiert in dem über 50-seitigen Dossier, dass die Menschen in Herat wahrlich nichts zu lachen haben: Frauen dürfen in der Öffentlichkeit nur den Ganzkörperschleier tragen und keinem Mann die Hand geben. Eine Religionspolizei vernichtet auf dem Basar Hunderte von angeblich "unislamischen" Video- und Musikkassetten. Ethnische Minderheiten werden diskriminiert, politische Gegner und Intellektuelle mundtot gemacht, gefoltert oder umgebracht: Vier der acht Morde im Zusammenhang mit den Wahlen zur Großen Rats- und Stammesversammlung Loya Dschirga seien in Westafghanistan geschehen, steht in dem Bericht.

Das Reich des Ismail Khan

Ismail Khan galt einst als relativ gemäßigter und umsichtiger Mann. 1979 führte er einen Aufstand gegen die Sowjets an. Bereits Anfang der 1990er Jahre kontrollierte er große Teile Westafghanistans. Unter seiner Herrschaft konnte sogar ein funktionierendes Gemeinwesen aufgebaut werden. Doch 1995 eroberten die Taliban Westafghanistan. Die Region war für die Taliban von großer strategischer Bedeutung, da dort eine Pipeline des US-Konzerns "Unocal" Erdöl aus Turkmenistan nach Pakistan transportieren sollte.

Als die USA sich wegen Osama Bin Laden mit den Taliban überwarfen, wurde das Pipeline-Projekt zunächst auf Eis gelegt. Als sich die Taliban infolge der US-Angriffe Ende 2001 aus Westafghanistan zurückzogen, rückte Ismail Khan mit seinen Truppen sofort nach und stellte sein Reich wieder her. Doch weder dem angrenzenden Iran noch den USA sei Ismail Khan ganz geheuer.

Keine Unterstützung für archaische Ansichten

Dem Bericht der Menschrechts-Organisation zufolge hat sich bei Ismail Khan eine Persönlichkeitswandlung vollzogen. Sein Verhalten und seine Ansichten seien aber wohl nicht zuletzt auch mit simplem Streben nach Macht zu erklären. Vor diesem Hintergrund sei eine mögliche Wiederaufnahme des Pipeline-Projekts problematisch: "Wir sind äußerst besorgt, was die Gelder angeht, die in dieses Gebiet fließen würden. Je mehr Geld die Kommandanten haben, desto mächtiger werden sie. Und je mächtiger sie sind, desto leichter können sie die Bevölkerung schikanieren: Leute auf der Straße verhaften, erzkonservative Gesetze anwenden und westliche Hilfsorganisationen angreifen."

Konferenzen allein helfen nicht

In dem Dossier wird das Fazit gezogen, dass der Westen verstärkt Druck auf Ismail Khan ausüben müsse, was die Respektierung der Menschenrechte angehe. Direkte Entwicklungshilfen an Ismail Khan seien einzustellen. Auch wäre es sinnvoll, das ISAF-Mandat auf ganz Afghanistan auszudehnen, um die Beschlüsse der "Petersberger Konferenz" (Bonn, 5.12.2001) endlich umzusetzen. "Wir denken, dass ein Jahr danach der Prozess, der in Bonn in Gang gesetzt worden war, zum Stillstand gekommen und gescheitert ist."