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Eingeschleppte Tiere

23. Mai 2011

Eingeschleppte Arten können für einheimische Tiere zum Problem werden, wenn sie keine Feinde haben. Der Biologe Guntram Meier hat sich den Schutz der bedrohten Arten zum Ziel gesetzt und geht gegen die Invasoren vor.

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Ein kleiner Waschbär im Tierpark von Neumünster (Foto: dpa)
Kein "Alien" - Der Waschbär ist in Deutschland schon heimischBild: dpa

Sein Outfit erinnert an Indiana Jones, seine Berufsbezeichnung klingt, als stamme sie aus der Fernsehserie "Raumschiff Enterprise": Guntram Meier ist "Invasive Alien Species Controller". Mit olivgrauer Hose, sandfarbenem Hemd und dunkler Leinenjacke, die Schrotflinte über der Schulter, streift der 39jährige Biologe durch ein Waldgebiet im Südosten von Berlin.

Noch vor einem halben Jahr lebte hier die größte Waschbärenpopulation Ostbrandenburgs – jetzt ist kein Tier mehr zu entdecken. Guntram Meier schaut auf den kleinen Monitor einer Bildkamera, die versteckt an einem Baumstamm hängt. Insgesamt zwanzig davon gibt es im Revier. Wenn hier noch Waschbären lebten, sagt Meier, dann hätte schon auf einem der ersten zwanzig Bilder mindestens ein Waschbär zu sehen sein müssen. Aber "dass sich da nur andere Tiere drauf zeigen, ist schon mal ein gutes Zeichen."

Kleintierfalle zum Fang von Waschbären (Foto: Guntram Meier)
In solchen Fallen fängt Meier WaschbärenBild: Guntram Meier

Angst vor Parasiten

Waschbären, die ursprünglich aus Nordamerika stammen, gehören eigentlich nicht mehr zu Meiers eigentlichem Kerngeschäft. Denn in Deutschland gelten sie schon lange nicht mehr als "invasive alien species", also eine invasive gebietsfremde Art. Denn seit den 1950er Jahren gibt es sie hier, und daher gelten die putzigen schwarz-weißen Kleinraubtiere inzwischen als heimisch.

Mangels natürlicher Feinde haben sie sich aber in den letzen Jahren rasant verbreitet und das führt zu Problemen - vor allem, wenn die Tiere in der Nähe von Siedlungen auftauchen und Parasiten in sich tragen. "Waschbären sind häufig Wirte eines Spulwurms", erklärt Meier. "Über den Kot der Tiere können die Eier übertragen werden. Wenn Kinder zum Beispiel in Sandkästen auf Spielplätzen damit in Berührung kommen, kann das zu schweren Erkrankungen führen. Man kann blind davon werden, ins Koma fallen, auch sterben."

Vor einem halben Jahr haben die örtlichen Veterinärbehörden Meier zur Hilfe gerufen, damit er die Gegend von den Waschbären befreit. Systematisch hat er den Tieren daraufhin nachgestellt. Er hat ihre Schlaf- und Essplätze in dem mehr als 100 Hektar großen Revier aufgespürt und ihre Gewohnheiten erforscht. Er hat sie direkt gejagt und in rund 100 Fallen gefangen. Jetzt scheinen die Waschbären vertrieben, die Fallen können abgebaut werden.

Guntram Meier mit Schrotflinte (Foto: Guntram Meier)
"tierschutzgerechter Fangschuß"Bild: Guntram Meier

Nichts für "harte Typen"

"Wenn man ein sogenanntes 'Zieltier', in dem Fall eben einen Waschbären, in der Falle hat, dann muß man ihn töten", erzählt Guntram Meier, während er die letzte Falle in seinem Rucksack verstaut. "Kleintiere wie Waschbären zum Beispiel werden mit einem Fangschuss noch in der Falle erschossen."

Das müsse tierschutz- und fachgerecht geschehen: "Das heißt, der Schuss sollte sofort tödlich sein." Es sei immer die Prämisse, dass nicht herumexperimentiert wird. "Das ist kein Feld für Hobbyschützen oder so, nicht eine Welt für harte Männer, die Eindruck machen wollen. Es ist professionelle, verantwortungsvolle Arbeit. Man hat mit Lebewesen zu tun und entsprechend muss man agieren," betont Meier.

"Invasive Alien Species Controlling" läuft in den meisten Fällen darauf hinaus, Tiere, die nicht in ein bestimmtes Habitat gehören, dort aber Schaden anrichten, zu töten. Fast immer sind sie zusammen mit Menschen dorthin gekommen, sei es als Fleischreserve, als Pelztier, als Zootier, als Haustier oder schlicht als Ungeziefer an Bord von Schiffen. Irgendwann wurden sie in die neue Umgebung ausgesetzt oder sind aus ihren Käfigen ausgebrochen. Dort bedrohen sie andere Arten. Ratten fressen Schildkrötenjunge, Frettchen fressen Vogeleier, Ziegen fressen Pflanzen und zerstören damit Nistplätze.

Die Karibikinsel Petit Tobac. Dort hat der Berliner Biologe Guntram Meier 2009 und 2010 Ratten ausgerottet, die Seevögel und Schildkröten fraßen. Petit Tobac gehört zum Nationalpark der Tobago Cays, einem Seglerparadies in der Karibik, in St. Vincent & the Grenadines (Foto: Guntram Meier)
Auf entlegenen Inseln haben heimische Arten oft keine natürlichen FressfeindeBild: Guntram Meier

Artenschutz als Motivation

Zwar werde er meistens gerufen, wenn invasive Tiere eine Gefahr für Menschen werden oder wirtschaftlichen Schaden anrichten, erzählt Meier, seine eigentliche Motivation sei allerdings, die einheimischen Tiere zu retten und die Artenvielfalt eines Gebiets zu erhalten. Es gelte das natürliche Gleichgewicht von Fressen und Gefressenwerden wieder herzustellen.

"Mehrere hundert Vogelarten sind durch invasive Tiere ausgerottet worden," betont er. "Das ist nach der Habitatzerstörung die zweitgrößte Bedrohung für heimische Arten in ihren natürlichen Verbreitungsräumen, noch vor dem Tierhandel, noch vor der Jagd." So habe Meier in einem Projekt auf der Karibikinsel Antigua nur noch 50 Individuen der Antigua-Schlanknatter vorgefunden. "Wenn man dort nicht vor über zehn Jahren die Ratten ausgerottet hätte, dann wäre diese Art von den Ratten einfach aufgefressen worden," sagt Meier.

Der Berliner Biologe Guntram Meier mit Rattenfallen, die er auf der Insel Petit Tobac aufgestellt hat (Foto: Guntram Meier)
Der Rattenfänger von Berlin arbeitet mit FallenBild: Guntram Meier

Zwischen drei und sechs Monaten im Jahr ist der Biologe weltweit unterwegs. Rund 30 Projekte laufen parallel. Das Waschbärenprojekt ist abgeschlossen und muss nun wissenschaftlich ausgewertet werden. Zum Herbst, wenn die Brutsaison vorüber ist, wird Meier nochmal prüfen, ob wirklich kein Tier überlebt hat. Den Hochsommer wird er auf den Ostfriesischen Inseln verbringen und Igel, Frettchen, Ratten und Minks jagen, die dort die Seevögelbestände bedrohen.

Wissenschaft als Grundlage der Arbeit

In Berlin laufen die Vorbereitungen dafür auf Hochtouren. Es gilt die Bestände zu erfassen, Fallen und Munition zu beschaffen und ein Team von Mitarbeitern zusammenzustellen. All das tut Meier in enger Abstimmung mit der Nationalparkverwaltung des niedersächsischen Wattenmeeres.

Eine tote Glanzkrähe liegt im Sand. Glanzkrähen kommen ursprünglich aus Indien und sind im Jemen eine invasive Tierart (Foto: Guntram Meier)
Glanzkrähen werden vergiftetBild: Guntram Meier

Davor steht aber noch eine Reise auf die arabische Halbinsel und nach Ostafrika an. Dort macht die Glanzkrähe den Biologen Sorgen. Der Vogel, stammt ursprünglich aus Indien und wurde vor über 100 Jahren von britischen Kolonialbehörden in der Region freigelassen, damit er Essensreste frisst. "Das macht die Krähe auch", beteuert Meier, "allerdings frisst sie auch alles andere. Von Käfern bis hin zu anderen Vögeln."

Es sei erwiesen, dass da, wo die Krähe lebt, kaum noch einheimische Vögel vorkommen. Außerdem übertrage sie Krankheiten wie Cholera und Typhus. "Sie fliegt morgens auf die Straße, frisst die tote Katze und mittags auf den Tisch des Fünfsternehotels und holt sich dort den Orangensaft zum trinken," beschreibt der Biologe die Infektionswege.

Auf mehreren Vorbereitungsreisen hat er die Krähen bereits beobachtet, erzählt Meier, eine große Schar komme beispielsweise regelmäßig zum Fressen zu einer bestimmten Müllkippe im Jemen. Dort werde er sie vergiften.

Der Berliner Biologe Guntram Meier mit Tierfallen während einem Einsatz zur Ausrottung invasiver Arten (Foto: Guntram Meier)
Für eine Kampagne sind viele Fallen nötigBild: Guntram Meier

Vom Menschen gemachte Probleme

Die Natur oder die Evolution löse das Problem invasiver Arten jedenfalls nicht von selbst, sagt Meier. Dafür verbreiteten sich die verschiedensten Tiere im Schlepptau des Menschen mittlerweile zu schnell über die ganze Welt. Auch habe der Mensch schon zu sehr in die Natur eingegriffen, daß sie sich selbst regulieren könne.

"Wenn dann so ein Tier kommt und sich in einem Lebensraum ausbreitet, weil es dort kaum Feinde hat, dann haben die bedrohten Tiere nicht mehr die zehntausend oder hunderttausend Jahre, um sich anzupassen, sondern sie gehen einfach unter," erklärt Meier. Arten, die einmal verschwunden sind, seien aber dann für immer verschwunden, warnt der Biologe: "Das ist wie eine Pyramide, bei der man anfängt, unten die Steine rauszuziehen. Irgendwann fällt sie zusammen."

Autor: Lydia Heller
Redaktion: Fabian Schmidt