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Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen (Joh 14,2)

30. November 2013

Die erste Begegnung mit der Grabeskirche war ein Schock. Doch dann zeigte sie ein anderes Gesicht, das wegweisend sein kann für das religiöse Miteinander, meint Schwester Margareta Gruber von der katholischen Kirche.

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Die Grabeskirche (r) in Jerusalem, aufgenommen am 19.07.2010 vom Turm der Erlöserkirche aus. Die Grabeskirche zählt zu den größten Heiligtümern des Christentums. Von Orthodoxen Christen wird das Gebäude Auferstehungskirche (Anastasis) genannt. Foto: Marius Becker dpa
Die Grabeskirche in JerusalemBild: picture-alliance/Marius Becker

Vor zwei Monaten bin ich aus Jerusalem zurückgekommen, wo ich vier Jahre leben und ein ökumenisches Studienprogramm für Theologiestudierende leiten konnte. Ein Teil meines Herzens ist dort geblieben. Wenn ich es suchen müsste, fände ich es in der Grabeskirche. Ich liebe diese Kirche über dem Ort, an dem Jesus gestorben ist und wo er, so glaube ich es, von den Toten auferweckt wurde. An diesem Ort scheiden sich jedoch die Geister. Nicht wegen des Glaubens an die Auferstehung, sondern wegen des für viele skandalösen Zustands der Christen dort, die sich streiten und bekämpfen.

Ich erinnere mich noch wie heute an meine erste Begegnung mit ihr; sie war ein Schock: In nichts glich die Grabeskirche einem heiligen Ort, wie ich ihn erwartet hatte. Langsam begann während meiner Zeit in Jerusalem jedoch eine Annäherung. Dabei spielten vor allem die Nächte eine Rolle, die ich in ihr verbrachte, weil ich mich in die Kirche einschließen ließ. In der letzten Zeit bin ich wieder öfter während des Tages dort gewesen und habe mich in die ungezählte Schar der Pilger eingereiht. Ich staunte über die tiefe Andacht, die viele von ihnen erfasst – selbst im Blitzlichtgewitter und unter der manchmal respektlosen Behandlung durch einige der diensthabenden Mönche.

Die Kirche erschien mir dann wie eine große Polyklinik für spirituell Bedürftige: Jeder kann unangemeldet kommen, kann ihre Dienste kostenlos in Anspruch nehmen und das von ihr bekommen, was er oder sie braucht. Für manche ist ein Foto von sich vor dem Heiligen Grab mehr wert als eine Stunde Andacht in der Stille. Und bei längerer Beobachtung der Menschen und ihrer Körpersprache habe ich festgestellt, dass bei sehr vielen – vor allem bei den wirklichen Pilgern – eine Art intuitiver Rücksichtnahme auf die spirituellen Bedürfnisse der anderen wahrzunehmen ist. Und so finden, wie bei einer guten Mutter, alle ihren Platz in dieser Kirche, und verhalten sich entsprechend wie „zuhause“.

Auch die „Bewohner“ der Grabeskirche, die Mönche der sechs in ihr vertretenen Kirchen, haben eine eigene Art des anerkennenden Umgangs miteinander, die man im strapazierenden liturgischen Alltag der Kirche freilich nicht gleich erkennt; Youtube verbreitetet gelegentlichen genüsslich die Schlägereien unter Mönchen, jungen Diakonen und Seminaristen; das sind im Grunde jedoch notwendige Ventile, in denen sich die unerträgliche Spannung vor allem der Jugendlichen in der Jerusalemer Altstadt einen Ausdruck verschafft. Wenn man sich draußen prügeln würde, um sich gegen diskriminierende Behandlung im Alltag zu wehren, käme man sofort ins Gefängnis.

In Jerusalem lernte ich viele Menschen kennen, die mir mit ihrer Weisheit den Blick geweitet haben. Einer davon war Daniel Rossing. Er war lange Jahre im Religionsministerium Israels für die einheimischen, vor allem die Jerusalemer Christen zuständig. Wenn er über sie redete spürte ich seinen Respekt vor ihrer Tradition. Daniel war durchaus Realist: er kannte die Absurditäten, die den Alltag dieses Heiligtums kennzeichnen durch unzählige Konflikte, die er in ihr zu schlichten hatte. Er gab mir in einem Gespräch seinen persönlichen Schlüssel für die Grabeskirche: An diesem Ort, so sagte er mir, leben Menschen auf engstem Raum, unter extremen Bedingungen 7 mal 24 Stunden zusammen, 365 Tage im Jahr; Menschen, die nach ihrer jeweiligen Glaubensüberzeugung eigentlich nicht zusammenleben und –beten dürften.

Vielen wurde noch beigebracht, dass alle, die nicht genau so glauben wie sie, in die Hölle kommen, auch die Christen anderer Kirchen. Und mit solchen Menschen müssen sie sich nun ihre heiligste Kirche teilen und täglich zusammenarbeiten. Man kann sich vorstellen, was es bedeutet, das Gleichgewicht der Kräfte in Verhandlungen mühsam zu erringen und im Leben aufrecht zu erhalten. Daniel öffnete mir die Augen für die Leistung dieser Menschen. Er sagte es ganz ruhig, aber mich provozierte seine Aussage gewaltig: Wenn die Grabeskirche ein Modell wäre für das Zusammenleben der Weltbevölkerung auf dem Globus, dann wäre die Menschheit „im grünen Bereich“. Friede, so meinte er aus seiner jüdischen Tradition, ist nicht der Ausgleich von Interessen, sondern das miteinander Bestehen–Können von unversöhnlichen Gegensätzen: Wolf und Lamm. Aus dieser Haltung heraus setzte er sich für den Frieden in der Grabeskirche ein und glaubte, dass darin ein Schlüssel liegt auch für den politischen Frieden.

Wenn man einen Ort sucht, an dem man den Anspruch, die Kraft und die Ambivalenz von Religion wahrnehmen kann, dann ist es die Grabeskirche in Jerusalem. Und doch gilt, was ein sehr schöner Film über sie gesagt hat: Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen.(1)

Zur Autorin:

Sr. Margareta Gruber ist Franziskanerin von Kloster Sießen und seit 2008 Professorin für Neues Testament an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar. Von 2009-2013 lebte und lehrte sie in Jerusalem. Als Inhaberin des Laurentius-Klein-Lehrstuhls für Biblische und Ökumenische Theologie war sie Dekanin des Theologischen Studienjahrs Jerusalem an der Abtei Dormitio Mariae. Seit August 2013 lebt und lehrt sie wieder an der Theologischen Fakultät in Vallendar.

Sr. Margareta Gruber ofm, Kloster Sießen (Baden-Württemberg); Copyright: privat
Sr. Margareta Gruber ofmBild: privat


[1] Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen. Filmdokumentation von Hajo Schomerus, 2010.