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Schmiel: "Das volle Risiko"

Rick Fulker30. Dezember 2013

Nach zehn Jahren hinterlässt Ilona Schmiel, ausgeschiedene Intendantin des Beethovenfests Bonn, eine renommierte Veranstaltungsreihe. Ihr Erfolgsrezept: Risikobereitschaft und ein Sinn für das Menschliche.

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Deutschland Beethovenfest Ilona Schmiel
Bild: Barbara Frommann

DW: In Ihrer Zeit als Intendantin ist das Festival in mehreren Aspekten gewachsen: Es gibt mehr Veranstaltungen, eine bessere Finanzausstattung, und weltweit ist seine Bedeutung gestiegen. Was haben Sie ihrem Vorgänger Franz Willnauer zu verdanken, und was wünschen Sie ihrer Nachfolgerin Nike Wagner?

Ilona Schmiel: Meinem Vorgänger verdanke ich das internationale Künstlerniveau, das bereits nach fünf Jahren etabliert war. Wichtig ist, dass man die vielen Menschen, die wir erreicht haben, jetzt behält, dass man sie weiterführt. Und für die Zukunft sollte man die Idee eines Bonner Festspielhauses nicht aus den Augen lassen. Hier fehlt in Ort, mit dem man sich identifiziert.

Wir kennen die Sätze der Bedenkenträger, bestimmt haben Sie sie auch früher gehört: "Diese kleine, müde Beamtenstadt Bonn verträgt kein Wachstum" und "Klassik ist ein schrumpfendes Geschäft". Wie haben Sie darauf reagiert?

Bronze Skulptur Straubing Beethoven
Den Meister muss man weiter pflegenBild: picture-alliance/dpa

Ich habe hier jung, mit 35, 36, angefangen und sagte mir: 'Die Bedenkenträger werde ich mit meiner Begeisterungsfähigkeit und meinem Tempo einfach links und rechts überholen!' Die Zeiten, als wir hier begonnen haben, waren extrem gut. Es war eine wunderbare Plattform da, auf der man ein nationales und internationales Netz aufbauen konnte. Das ist uns dank medialer Vermittlung, nicht zuletzt der Deutschen Welle, gelungen. Aber es ist harte Arbeit. Sie müssen ein Publikum jedes Jahr neu überzeugen.

Wie hoch liegt das Durchschnittsalter der Besucher beim Beethovenfest?

Wir haben mit 52 Jahren begonnen und liegen jetzt bei 54 Jahren. Was ich gut finde, denn wir sind ja alle zehn Jahre älter geworden. Das heißt, man hat ein Stammpublikum, das mit einem wächst, und man muss von unten sehr viel nachfüttern, um überhaupt die Altersgrenze dort zu behalten, wo sie liegt. Eigentlich liegt das Durchschnittsalter des Klassikpublikums allgemein bei Ende 50 oder über 60. Das zeigt, dass Festivals eine eigene Anziehungskraft entwickeln können.

Und wie haben Sie das gemacht?

Wir haben Konzertrituale aufgebrochen und andere Stilrichtungen implementiert, manchmal auch weit weg vom sogenannten klassischen Konzert. Durch großartige Förderer konnten wir auch Angebote wie "Für 8 um 8" schaffen: Um acht Uhr für acht Euro ins Konzert, das ist ein Kinopreis. Ein Schlüssel ist sicherlich auch, dass wir vielen jungen Menschen unseren Backstage-Bereich geöffnet haben. Wir haben hier ständig Schüler, die mit uns arbeiten.

Neben der Suche nach neuen Publikumsschichten gilt es auch, das Mainstream-Publikum zufrieden zu stellen und die Klassikstars anzubinden. Geschieht das durch mühsame Agenturkontakte oder eher durch persönliche Überzeugungsarbeit? Schließlich müssen Sie sie in die "kleine, müde Beamtenstadt Bonn" locken.

Das Beethovenfest ist stark genug, sie anzuziehen. Natürlich muss man den großen Dirigenten hinterher reisen. Es ist auch die große Freude, sie an anderen Orten und mit anderen Ensembles zu erleben.

7. Symphonie von Beethoven (Partitur)
Die Partitur zu Schmiels Lieblings-Beethovensinfonie: die SiebteBild: picture-alliance/akg

Was macht eigentlich das Wesen eines Musikfestivals aus?

Das Live-Erlebnis! Die Menschen haben eine Sehnsucht, sich zu versammeln und plötzlich auch eine Stille und ein Ritual zu erleben. Die Vielfalt der Möglichkeiten bei höchster musikalischer Qualität vermittelt sich. Wenn Sie aber etwas auf der Bühne erleben, was wunderschön ist, aber nicht mehr berührt, wenn es nicht mehr heißt: 'Heute abend geht's wieder um alles', dann wird es langweilig. Dann schaffen wir uns selber ab.

Wie kann man die Begeisterungsfähigkeit eines Künstlers erzeugen oder fördern?

Gerade die großen Solistinnen und Solisten leben aus dem Koffer und führen zum Teil sehr einsame Leben. Sie brauchen ein Stück Heimat und das Menschliche um sich herum. Deswegen ist unsere Kunst gefragt, hinter der Bühne alles perfekt vorzubereiten und mit Liebe zum Detail und Menschlichkeit diese Leistung auf der Bühne zu ermöglichen.

Hand aufs Herz: Wünschen Sie sich, vielleicht nur für ein paar Minuten, eine Beethoven-freie Zone?

Hab ich ja! Ich muss aber sagen, Beethoven ist einer der ganz wenigen Komponisten, an dem man sich nicht satt hören kann. Es gibt immer wieder Neues zu entdecken. Auch bei den Campus-Projekten haben wir Beethoven-Interpretationen aus Vietnam, aus Brasilien, aus dem Irak und jüngst aus der Türkei gehört, die faszinierend und berührend zugleich sind. Diese Unterschiedlichkeit geht mit Beethoven sicher besser als mit vielen anderen Komponisten.

Wenn Sie könnten, welche Frage würden Sie Ludwig van Beethoven gern stellen?

Mich würde am meisten interessieren, was er heute komponieren würde, wie er mit der Vielfalt der Musik und der permanenten Verfügbarkeit umgehen würde. Würde er vielleicht sogar ganz neue Instrumente erfinden? Ich bin mir sicher, er wäre auch heute seiner Zeit voraus.

Beethoven fand ja damals eine gewisse Musikkultur vor, die er aufsaugen und bewusst weiterentwickeln konnte. Heute gibt es ja eher eine Pluralität der Musikkulturen. Vielleicht könnte er das heute also nicht mehr weiterentwickeln, weil es viel zu diffus ist?

Moritz Eggert
Der Komponist Moritz Eggert hat seinen ganz eigenen StilBild: picture-alliance/dpa

Die Frage dabei ist: Wie schaffe ich es in einer pluralen Ästhetik, einen eigenen Stil zu finden? Komponisten von heute wie Moritz Eggert, Peter Ruzicka, Helmut Lachenmann - sie haben das geschafft. Aber es findet schon eher in einer Nische statt. Anders als bei Beethoven erreichen sie das große Publikum nicht mehr. Aber das ist ja auch nicht schlimm.

Sind Sie zufrieden mit der Auslastung im Festivaljahrgang 2013?

Festspielhaus Bonn Entwurf Zaha Hadid
Bleibt zunächst ein Entwurf: das Beethoven-Festspielhaus in BonnBild: picture-alliance/dpa

Ja, ich bin zufrieden, und 82 Prozent ist kein schlechtes Ergebnis! Natürlich kann man sagen: Da sind plötzlich 300 Plätze frei in einer Beethovenhalle mit 1600 Plätzen. Dann antworte ich einfach: "So what?" Die Menschen kommen sehr gezielt zu bestimmten Dingen, weil sie bestimmte Künstler sehen wollen. Die Grenze ist hier jetzt auch irgendwo erreicht. Vor allem ohne ein neues Festspielhaus. Das haben wir gezeigt. Jetzt geht es weiter.

Sie nehmen ein dickes Adressenbuch mit, wenn Sie in die Schweiz ziehen, um die Leitung der Tonhalle Zürich zu übernehmen. Was nehmen Sie sonst an Hoffnungen und Wünschen mit?

Die Erfahrungen in Bonn sind nicht einfach hundertprozentig übertragbar auf ein Haus und ein Orchester. Aber es ist das beste Orchester der Schweiz, und ich habe einen jungen Chefdirigenten. Lionel Bringuier ist 27 und kommt aus Nizza. Als das Orchester ihn in einem demokratischen Prozess gewählt hat, habe ich mir gedacht: Das ist für mich der richtige Ort, denn das ist volles Risiko. Ich liebe das, ich brauche das auch.


Ilona Schmiel, geboren 1967 in Hannover, studierte Schulmusik, Altphilologie und Kultur- und Medienmanagement in Berlin und Oslo. Nach der Tätigkeit bei den Donaueschinger Musiktagen und "Ny Musikk" in Oslo war sie Gastdozentin im Studiengang Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin. Nach vier Jahren als Künstlerische Leiterin der "Glocke" in Bremen wechselte sie 2004 nach Bonn als Intendantin des Beethovenfests.

Das Inteview führte Rick Fulker.