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"Die Leute essen keine schönen Worte!"

Carlos de Vega27. Juli 2014

Peru ist Gastgeber der nächsten UN-Klimakonferenz, lockert aber gleichzeitig Umweltstandards und setzt weiter auf Rohstoffexporte. Wie das zusammenpasst, erläutert Präsident Ollanta Humala im DW-Interview.

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Der peruanische Präsident Ollanta Humala - Foto: Maurizio Gambarini (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Sie haben an der Petersberger Konferenz zum Klimawandel teilgenommen - zur Vorbereitung des Weltklimagipfels, der zum Jahresende in Lima stattfinden wird. Der Klimawandel ist ein Thema, das mit wirtschaftlichen Fragen eng verknüpft ist, besonders in einem Land wie Peru, das in großem Maße von Rohstoffexporten abhängig ist. Allerdings sind in den vergangenen Jahren die Exporte nach China und in die USA gesunken, und auch die Wirtschaft Perus wächst nicht mehr so schnell wie noch vor drei Jahren. Wie reagieren Sie auf diese veränderte ökonomische Situation?

Ollanta Humala: Wir haben einen nationalen Plan auf den Weg gebracht, um die Wirtschaft breiter aufzustellen. Aber davon abgesehen denke ich, dass man jeder Situation positive Seiten abgewinnen kann. In diesem Fall ist es die Tatsache, dass Peru jetzt endlich einen solchen Prozess einleitet, der bereits vor zehn Jahren hätte beginnen sollen als es einen Preisboom bei Bodenschätzen und Rohstoffen gab.

Sie wollen die Wirtschaft breiter aufstellen. Dennoch haben Sie mit Deutschland ein Abkommen zur Förderung von Bodenschätzen in Peru unterzeichnet. Ähnliche Verträge gibt es mit China und auch weitere Investitionen in diesem Sektor: Wie passt das zusammen?

Niemand will leugnen, dass Peru bis zum heutigen Tag in großem Maße von Rohstoffexporten abhängig ist - so wie ganz Lateinamerika. Man kann diese Dinge nicht über Nacht verändern. Aber wir kommen voran: Wir haben durch öffentliche Investitionen starke Impulse gesetzt. Vor kurzem haben wir den Auftrag für den Bau einer zweiten U-Bahn-Linie in der Hauptstadt Lima vergeben, mit einem Umfang von mehr als fünf Milliarden Dollar. Wir modernisieren die Raffinerie in Talara für rund vier Milliarden Dollar und die Gasleitung im Süden für mehr als drei Milliarden Dollar. Wir bauen Fernstraßen, die alle Regionen im Andengebiet miteinander verbinden. Auch dort investieren wir Milliarden.

Allein im Bergbaubereich investieren wir mehr als 50 Milliarden, um internationale Qualitätsstandards zu erfüllen. Wir haben ein nationales Stipendien-Programm aufgelegt, das bei Null anfing. Heute sind es mehr als 30.000 Stipendiaten. Inzwischen haben wir mit Deutschland einen Rahmenvertrag abgeschlossen, der es jungen Peruanern ermöglichen soll, zum Studieren nach Deutschland zu gehen.

Bei den Bergbau-Abkommen, die wir in Deutschland geschlossen haben, geht es um moderne Fördermethoden. Denn der heutige Bergbau unterscheidet sich sehr stark von dem vor 30 Jahren. Wir fordern die Einhaltung internationaler Standards: Umweltverträglichkeit, die Einbeziehung der betroffenen Gemeinden und vor allem den Schutz des Wassers. Gerade in dieser Hinsicht sind die Fördermethoden in Peru oft unzureichend.

Laut einer UN-Studie ist Peru inzwischen das Land mit der weltweit größten Anbaufläche von Koka-Blättern, dem Grundstoff für die Kokainproduktion. Sie sind kein Verfechter einer bloßen Vernichtung der Koka-Pflanzungen, sondern sprechen sich für die Schaffung von Alternativen für die Kokabauern aus. Warum sollten sie aber Kaffee anbauen, wenn sie mit Kokablättern viel mehr verdienen können?

Weil ihnen der Staat Kredite gibt und sie unterstützt, damit sie Kaffee oder Ölpalmen anpflanzen können. Und in den Jahren, die es dauert, bis sie Gewinn machen, hilft ihnen der staatliche Kredit, sodass sie sich zu keinem Zeitpunkt vom Staat im Stich gelassen fühlen. Außerdem muss man auch die Kosten berücksichtigen, die dadurch entstehen, dass man etwas Illegales tut: die Angst, von den Behörden entdeckt zu werden und was mit der Familie geschieht, wenn man verhaftet wird. Ich glaube, es ist immens wichtig, diesen Bauern einen behördlich abgesicherten Ausweg zu eröffnen.

Herr Präsident, wechseln wir das Thema. Sollten zwei Männer oder zwei Frauen heiraten dürfen, das heißt zivilrechtlich Ehepaaren gleichgestellt sein?

Ich habe es bis jetzt vermieden, mich dazu persönlich zu äußern, bevor im Parlament darüber debattiert wird. Ich gehöre der Fraktion der Regierungspartei an und muss Zurückhaltung üben, anstatt eine Diskussion zu befeuern, die sowieso noch in der peruanischen Gesellschaft und im Kongress geführt werden wird.

Aber Sie sind der Präsident von Peru und Teil der peruanischen Gesellschaft. Diese Debatte gibt es bereits seit mehr als einem Jahr.

Ich glaube an ein Land ohne Diskriminierung. Ich glaube an ein Land, in dem die Verfassung geachtet wird. Der Staat muss gegen jedwede Form der Diskriminierung kämpfen. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass alle dieselben Freiheiten genießen. Und wenn eine Gruppe oder eine Person der Meinung ist, dass ihre Rechte nicht gewährleistet sind, dann können Gesetze überprüft, korrigiert oder erweitert werden - denn möglicherweise gab es, als der Gesetzgeber diese Gesetze erlassen hat, noch kein Bewusstsein für diese Problematik. Aber Gesetze kann man ändern.

Sie sind jetzt fast drei Jahre im Amt. Was war für Sie die größte Überraschung in ihrem politischen Wirken?

Dass man für Regierungsentscheidungen eine gehörige Portion Pragmatismus braucht. Dass der Staatschef das tut, was er tun muss, und nicht das, was er tun will.

Werfen Ihnen nicht viele Ihrer Wähler genau das als Verrat vor? Sie dachten, sie würden einen linken Führer wählen und bekamen einen Präsidenten der rechten Mitte.

Nicht der rechten Mitte! Wenn Sie mich in einem traditionellen Schema ansiedeln wollen - das nur noch in den Köpfen einiger weniger auf dieser Welt gibt - wenn Sie mir also sagen, ich sei rechts oder links, sage ich Ihnen, dass ich "unten" bin.

Es funktioniert wie in der Familie. Sie haben das Recht zu sagen, was immer Sie wollen, aber vorher müssen Sie Ihre Familie ernähren, müssen Sie Ihren Kindern etwas zu essen geben. Wenn Sie das nicht tun, wenn sie ihnen kein Essen, keine Bildung und keine Gesundheit geben, haben Sie überhaupt kein Recht, etwas zu sagen. Sie haben kein Recht, Politik mit dem Essen Ihrer Kinder zu machen. Das meine ich mit Pragmatismus.

Man muss wissen, was das Richtmaß von Ideologie und politischer Linie ist: die Verteilung. Wie werden die Güter und Einkünfte des Landes verteilt? In dieser Frage zeigen sich Ihre Ideologie und Ihre politische Linie. Und genau das haben wir getan. Wo kann man uns also in der Region und auf internationaler Ebene verorten? Wir sind links. Wir sind Teil der internationalen Linken. Ich bin nicht rechts, ganz offensichtlich nicht, aber wir können Peru nicht einfach aus allem raushalten. Die Leute essen keine schönen Worte!

Ollanta Humala ist seit Juni 2011 Präsident Perus und im Dezember Gastgeber der nächsten UN-Klimakonferenz.

Das Gespräch führte Carlos de Vega.