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Horst Teltschik: "Hätten wir nein sagen können?"

13. Juli 2010

Die Gespräche zwischen Helmut Kohl und Michail Gorbatschow über die Deutsche Einheit verliefen durchweg positiv, erinnert sich Kohls damaliger außenpolitischer Berater Horst Teltschick im DW-Interview.

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Portrait von Horst Teltschik stellvertr. Kanzleramtschef und außenpolitischer Berater des Kanzlers. (Foto:AP)
Horst Teltschik, der damalige außenpolitische Berater von Helmut KohlBild: AP

Deutsche Welle: Welche Schwierigkeiten oder Knackpunkte galt es im Kaukasus noch zu beseitigen?

Horst Teltschik: Es gab im Kaukasus eine Reihe von Schlüsselfragen, die abschließend geklärt werden mussten. An der Spitze stand die Frage: Kann ein geeintes Deutschland Mitglied der NATO sein oder nicht? Das war bis zu diesem Zeitpunkt zwar wiederholt diskutiert worden, aber von Präsident Gorbatschow nicht abschließend beantwortet worden.

Die zweite Frage war, dass mit der Einheit Deutschlands auch die Viermächte-Verantwortung über ganz Deutschland zu Ende geht. Das heißt, es musste sichergestellt werden, dass Deutschland seine volle Souveränität zurück erhält.

Die dritte Frage waren die Verhandlungen über einen zweiseitigen Vertrag, den Helmut Kohl im April der sowjetischen Führung angeboten hatte - und zwar zwischen einem geeinten Deutschland und der Sowjetunion vor der Einigung Deutschlands verhandelt, nach der Einheit ratifiziert - mit dem Ziel, die Beziehungen zwischen dem geeinten Deutschland und der Sowjetunion zu regeln und vor allem auch sicherheitspolitische Fragen in diesen Vertrag einzuordnen.

Wie hat Präsident Gorbatschow auf die vielen Diskussionspunkte reagiert?

Die Gespräche verliefen sensationell. Das erste Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und Präsident Gorbatschow fand ja in Moskau statt, einen Tag nach seiner Ankunft. Und bei diesem Gespräch hat Präsident Gorbatschow dem Bundeskanzler im Prinzip schon zugesagt, dass er die Frage der NATO-Zugehörigkeit positiv entscheiden werde, dass Deutschland seine volle Souveränität zurück erhält, so dass im Kaukasus selbst Einzelheiten dazu noch geklärt werden mussten.

Wie war die Stimmung unter den Delegationen?

Die Tatsache, dass der Präsident Gorbatschow das Treffen in den Kaukasus verlegt hat, also praktisch in seine Heimat, war schon für uns ein Signal, dass die Gespräche eigentlich positiv verlaufen werden, denn man lädt einen Partner nicht in seine Heimat ein, wenn man Streit will. Als uns dieses Signal während des G7-Gipfels in Houston erreicht hat, war der Bundeskanzler schon positiver Stimmung. Es gab - bevor die Gespräche im Kaukasus begannen - kleine Szenen, die das noch unterstrichen haben.

Sie kennen ja die Bilder von dieser Bergwiese, voller Blumen an diesem Fluss. Raissa Gorbatschowa ging in die Wiese hinein und pflückte einen kleinen Strauß Blumen und überreichte ihn Helmut Kohl: Auch wieder ein Signal, es kann eigentlich am Ende keinen Streit geben, sondern beide Seiten wollen ein gutes Ergebnis. Und so war es dann auch.

Wieviel Geld hat die Bundesrepublik der Sowjetunion für den Abzug der Truppen und für die Zustimmung zur Einheit bezahlt?

Also wissen Sie, die Frage nach dem Geld ist relativ. Als Helmut Kohl im Februar nach dem Fall der Mauer zum ersten Mal in Moskau mit Gorbatschow zusammen traf, hat Herr Gorbatschow dem Helmut Kohl ja praktisch schon gesagt: Die beiden deutschen Staaten können sich vereinen. Wenn Gorbatschow damals gesagt hätte: 'Herr Bundeskanzler, ich bin einverstanden, aber das kostet die Bundesrepublik Deutschland 50 Milliarden oder 80 Milliarden' - hätten wir nein sagen können?

Das heißt, die finanziellen Themen waren zum Teil Leistungen, die wir von uns aus angeboten haben, die gar nicht eingefordert waren. Denken Sie an die Lebensmittellieferungen im Jahr 1990 an die Sowjetunion von über einer Milliarde D-Mark. Denken Sie an das Angebot: wenn die sowjetischen Truppen aus der DDR abziehen - sie haben keine Unterkünfte in der Sowjetunion -, sind wir bereit, Wohnungen zu finanzieren. Wir haben 300 Millionen angeboten für die Management-Ausbildung von ausscheidenden sowjetischen Offizieren. Wir haben der Sowjetunion einen Kredit - nicht bar - von fünf Milliarden im Mai 1990 zugesagt als Teil des Gesamtpakets der Lösung, um die Zahlungsfähigkeit der Sowjetunion zu sichern.

Im August haben der Bundeskanzler und Präsident Gorbatschow noch mal über Beträge diskutiert. Helmut Kohl hatte 10 Milliarden zugesagt, Gorbatschow wollte mehr, er wollte 15, 20 Milliarden, sie haben sich auf 12 Milliarden geeinigt. Das sind im Vergleich zum Ergebnis alles relative Größenordnungen.

Horst Teltschik, geboren 1940 in Klantendorf im Sudetenland, war 1983 bis 1992 stellvertretender Kanzleramtschef und außenpolitischer Berater von Helmut Kohl. Er leitete von 1999 bis 2008 die Münchener Sicherheitskonferenz.

Das Interview führte Matthias von Hellfeld

Redaktion: Dеnnis Stutе