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Homosexuelle wollen Russland verlassen

Anna Peters8. November 2013

In seiner Heimat ist ein junger Arzt Ausgrenzung und Gewalt begegnet. Nun hat ihm Deutschland Asyl gewährt - als wahrscheinlich erstem Homosexuellen aus Russland. Andere Schwulen und Lesben wollen ihm folgen.

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Schwule und Lesben demonstrieren in St. Petersburg (Foto:ITAR-TASS / Ruslan Shamukov)
Bild: picture-alliance/dpa

Pawel ist schwul. Mit seiner Sexualität geht er offen um. In Russland eckte er damit immer wieder an: "Es ist sehr unangenehm, in einer Gesellschaft zu leben, die dich für krank und zurückgeblieben hält, wo man dir den Arbeitsplatz kündigen kann, nur weil du schwul bist." Die Angst vieler Homosexueller in Russland beschreibt er so: "Jeden Moment kann man dir den Kopf abschlagen."

Der 26-Jährige Mediziner kam im April 2013 als Asylsuchender nach Deutschland. Hier wandte er sich an Quarteera. Der Verein für russischsprachige Homo- und Transsexuelle in Deutschland machte ihm keine großen Hoffnungen, bleiben zu dürfen: Bisher sei noch kein Russe vor ihm wegen der homophoben Stimmung in Russland als Flüchtling anerkannt worden. Pawel versuchte es dennoch - mit Erfolg: Er darf in Deutschland bleiben.

"Homosexuelle in Russland hatten es noch nie leicht"

In Russland werden Homosexuelle offen diskriminiert. Im Juni 2013 unterzeichnete Präsident Wladimir Putin ein russlandweites Gesetz gegen "homosexuelle Propaganda", das in Deutschland und anderen EU-Staaten für große Empörung sorgte. Das Gesetz verbietet es, sich positiv über Homosexualität in Gegenwart von Minderjährigen oder in den Medien zu äußern. Wer es doch tut, muss mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe rechnen.

"Homosexuelle in Russland hatten es noch nie leicht", sagt Regina Elsner von Quarteera. Das größte Problem an der neuen rechtlichen Regelung und der allgemeinen Situation sei, "dass die homophobe Stimmung geschürt wird". Die Gesellschaft sei schon immer sehr konservativ gewesen - und Putin fördere dies noch.

Ewald Böhlke leitet das Berthold-Beitz-Zentrum der DGAP (Foto: Dirk Enters/DGAP)
Ewald Böhlke: Die Lage der Homosexuellen belaste das deutsch-russische VerhältnisBild: Dirk Enters/DGAP

Ewald Böhlke leitet das Berthold-Beitz-Zentrum in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Im DW-Interview warnt er vor einer Eskalation der allgemein angespannten Lage in Russland: "Wenn der Staat dann noch einseitig Debatten gegen bestimmte Minderheitengruppen führt, wird es natürlich noch schwieriger, weil dann im Alltag Feindbilder aufgebaut werden, die man nicht kontrollieren kann." Die Situation in Russland belaste außerdem das ohnehin schon schwierige Verhältnis zwischen Berlin und Moskau.

Immer mehr wenden sich an Quarteera

Pawel musste vier Monate warten, ehe er eine Zusage vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekam. Jetzt ist er der vermutlich erste Russe, der aufgrund seiner sexuellen Orientierung Asyl in Deutschland erhalten hat. In seiner Heimat hat sich seine Geschichte schnell verbreitet. Schwule und Lesben freuen sich, viele Medien bedienen altbekannte homophobe Reflexe. Diese reichten von "Sollen die doch endlich alle ausreisen, dann haben wir hier unsere Ruhe" bis hin zur Androhung von Gewalt.

Unterdessen spielen andere Homosexuelle in Russland mit dem Gedanken, dem Beispiel Pawels zu folgen und nach Deutschland zu gehen. In den vergangenen Wochen erkundigten sie sich immer häufiger per Mail oder Facebook bei Quarteera, wie sie nach Deutschland fliehen können. Asylsuchende Homosexuelle müssen nicht nur Verfolgung in ihrem Heimatland nachweisen, sondern auch, dass der Staat sie nicht schützen will oder kann.

EuGH fällt Grundsatzurteil

"Jede Entscheidung über den Flüchtlingsstatus ist eine Einzelfallentscheidung", heißt es auf der Website von Quarteera. Das Bundesamt für Migration beobachtet die Situation in Russland - aber noch führe das russische Gesetz nicht zu einer "generellen Schutzgewährung", heißt es von Seiten des Bundesamtes.

Regina Elsner (Foto: Quarteera)
Regina Elsner: Homosexuelle in Russland hatten es noch nie leichtBild: Quarteera

Wie viele Menschen auch aus anderen Ländern Asyl in Deutschland suchen, weil sie in ihrer Heimat aufgrund ihrer Homosexualität verfolgt werden, ist nicht bekannt. Pro Asyl schätzt, dass es einige Hundert Fälle aus unterschiedlichen Ländern pro Jahr sind. Und diese Zahl könnte bald steigen: Am Donnerstag (07.11.2013) entschied der Europäische Gerichtshof, dass Homosexuellen in der EU Asyl gewährt werden muss, wenn diesen in ihren Ländern Haftstrafen wegen homosexueller Handlungen drohen.

Pawel will Russland einfach nur vergessen, wie einen Albtraum. Für ihn ist Deutschland seine neue Heimat. Die Sprache muss Pawel noch lernen. Dann will der gelernte Arzt wieder einen Job finden und einfach ein ruhiges Leben führen. Ein Leben, das er in Sibirien nie hatte.