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Hohe Wahlbeteiligung und langes Warten

Waslat Hasrat-Nazimi, zurzeit Kabul / dpa5. April 2014

Trotz Bedrohungen durch die Taliban standen die Afghanen Schlange, um ihre Stimme abzugeben. Die Beteiligung bei der Präsidentschaftswahl war offenbar unerwartet hoch. Besonders viele Frauen gingen wählen.

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Verschleierte Frauen stehen Schlange um ihre Stimme abzugeben (Foto: picture alliance/ZUMA Press)
Bild: picture alliance/ZUMA Press

"Selbst wenn es Patronen geregnet hätte und der Boden mit Minen überhäuft gewesen wäre, wir wären trotzdem gekommen, um zu wählen - Männer und Frauen", sagt Haji Gul Agha in überschäumender Rhetorik. Der etwa 60-Jährige hat Stunden gewartet, um seine Stimme abgeben zu können. "Wir Afghanen müssen einfach teilnehmen, egal ob jung oder alt, komme was wolle", sagt auch Ghulam Sakhi, der stolz ist, wählen zu können. "Heute ist ein historischer Tag für Afghanistan." Dafür hat er einen langen Fußmarsch zum Wahllokal in der zentralafghanischen Provinz Ghazni auf sich genommen.

Unterschätzte Wahlbeteiligung

Vor den über 6000 Wahllokalen bildeten sich zum Teil lange Schlangen, die Öffnungszeit wurde um eine Stunde verlängert. Nach Angaben der unabhängigen Wahlkommission soll die Beteiligung 58 Prozent betragen. Der große Andrang der Afghanen auf die Wahlurnen wurde von der Wahlkommission offensichtlich unterschätzt. Vielerorts gingen die Wahlzettel aus, so allein in der Provinz Bamiyan in zehn Stationen: "Etwa 200 Menschen sind schon gegangen, weil sie nicht mehr länger warten wollten", sagt eine Frau in der Warteschlange und meint gereizt: "Jetzt sind es immer noch 300, die darauf warten, dass neue Wahlzettel kommen. Für uns Frauen ist es besonders schwer, weil wir noch Kinder dabei haben." Landesweit wird nun die Frage diskutiert, ob die fehlenden Wahlzettel auf Wahlmanipulation oder auf Mängel in der Organisation zurückzuführen sind.

Ungewöhnlich ruhige Sicherheitslage

Überraschenderweise waren die fehlenden Wahlzettel das größte Problem bei diesen Wahlen. Anders als befürchtet, gab es nur wenige Meldungen über Anschläge. Nur 211 von 6423 Wahllokalen blieben nach Angaben der Wahlkommission geschlossen. Die Behörden teilten zu den einzelnen Provinzen mit, in Badghis sei ein Wähler getötet worden. In Logar seien zwei Wähler verletzt worden, als in einem Wahlzentrum ein Sprengsatz detonierte. In Parwan und Wardak seien Wahllokale beschossen worden. Bei einem Selbstmordanschlag in Chost sei der Attentäter selbst gestorben, riss aber keine Menschen mit in den Tod. In Ghasni sei ein Selbstmordattentäter von Polizisten erschossen worden. Trotzdem war es ein ungewöhnlich ruhiger Wahltag, denn es waren deutlich härtere Anschläge erwartet worden.

Eine Frau hält ihrem blau gefärbten Finger hoch (Foto: DW/Q.Wafa)
Diese Frau präsentiert stolz ihren nach der Wahl blau gefärbten FingerBild: DW/Q.Wafa

Radikalislamische Taliban hatten mehrmals gedroht, die Präsidentschaftswahlen landesweit mit Anschlägen zu sabotieren. Aber selbst in umkämpften Gebieten wie in der Provinz Helmand blieb es friedlich. Eine der Wählerinnen, Meena Gul, zeigt stolz ihren blau eingefärbten Finger. Jeder Afghane, der seine Stimme abgegeben hat, musste seine Finger in einem Farbtopf tauchen, um zu verhindern, dass dieselbe Person zweimal wählen geht. "Ich bin so glücklich", sagt sie. "Die Sicherheitslage ist heute gut und wir mussten keine Angst haben, zur Wahl zu gehen. Ich bin sehr aufgeregt und freue mich darüber, dass auch wir Frauen wählen dürfen." Viele Experten hatten eine geringe Wahlbeteiligung der Frauen befürchtet, weil diese besonders gefährdet seien. Meldungen zufolge war die Quote der Frauen aber, die gewählt haben, in der nördlichen Provinz Takhar sogar höher als die der Männer.

Männer stehen Schlange um ihre Stimme abzugeben (Foto: DW/F.Zahir)
Vor den Wahllokalen bildeten sich lange SchlangenBild: DW/F.Zahir

Den 350.000 afghanischen Sicherheitskräften gelang es weitgehend, die Lage ruhig zu halten. Nils Wörmer, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kabul, lobte die afghanischen Polizisten und Soldaten im Einsatz. "Erst gestern wurde in Kabul mindestens ein größerer Anschlag verhindert, bei dem bis zu 30 Polizeiuniformen, Waffen und Ausrüstung ins Stadtgebiet geschmuggelt worden waren", so Wörmer. "Es sieht so aus als hätten die afghanischen Sicherheitskräfte im Rahmen der Wahlen einen sehr guten Job gemacht." Sollte kein weiterer Anschlag folgen, so sei auch gleichzeitig das Vertrauen und die Moral in die Sicherheitskräfte erheblich verstärkt worden.

Wird dieses Jahr alles anders?

Wahidullah Majedi aus der Provinz Kundus im Norden Afghanistans ist dankbar, dass die afghanische Polizei und das Militär die Wahlen ermöglicht haben. Der 20-Jährige nimmt die Wahl sehr ernst. "Ich wähle nicht nach ethnischen Kriterien und hoffe, dass der zukünftige Präsident dem Land dienen kann, damit wir aus diesem Elend herauskommen. Ich habe meine Stimme meinem persönlichen Kandidaten gegeben." Anders als in der Vergangenheit standen in diesem Jahr die Programme der Kandidaten und nicht die Herkunft oder die ethnische Zugehörigkeit im Zentrum des Wahlkampfs. Auch das wurde von vielen Beobachtern als großer Erfolg gesehen. Für Ghulam Sakhi aus Ghazni, der fünf Kilometer gelaufen war, um wählen zu können, ist das wichtig. "Für mich zählt nicht die Herkunft, die Ethnie oder die Sprache. Ich wähle den Kandidaten, der die beste Kampagne hatte."

Viele junge Afghanen haben zwar Vorbehalte, hoffen aber dennoch auf einen fairen Wahlprozess. In Afghanistan ist ein Drittel der Bevölkerung jünger als 25 Jahre. Eine manipulierte Wahl wie im Jahr 2009 wäre für sie eine herbe Enttäuschung. Die ersten vorläufigen Ergebnisse werden am 24. April feststehen. Dann wird sich zeigen, ob die Jugend in Afghanistan weiter auf einen demokratischen Wandel hoffen darf.