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Hochspannung in Schottland

Bernd Riegert, z. Zt. in Edinburgh18. September 2014

Die Schotten entscheiden über ihre staatliche Unabhängigkeit und damit auch über die Zukunft Großbritanniens. Nach 300 Jahren droht eine Scheidung. Geschichte wird gemacht. Da sind sich beide Lager ausnahmsweise einig.

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Alex Salmond (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Dylan Martinez

Die Wahllokale in Schottland haben seit sieben Uhr Ortszeit geöffnet und der Wahlkampf geht weiter. Etwa 50.000 freiwillige Helfer der beiden Lager, Ja oder Nein zur Unabhängigkeit, schwärmen aus, um die letzten Unentschiedenen zu überzeugen und notfalls in privaten Autos zum Wahllokal zu fahren. Nach Angaben der Landeswahlleiterin Mary Pitcaithy ist mit einer rekordverdächtigen Wahlbeteiligung zu rechnen. 97 Prozent der 4,2 Millionen Wahlberechtigten haben sich in die erforderlichen Wahllisten eintragen lassen. Ein Wert, der wesentlich höher ist als bei normalen Parlamentswahlen. Selbst die Erstwähler im Alter zwischen 16 und 20 Jahren haben sich zu 87 Prozent in Wahllisten registrieren lassen. Ein Wert, der selbst Politologen in Edinburgh staunen lässt. Von Wahlmüdigkeit oder Politikverdrossenheit ist bei den Schotten also keine Spur. "Das wird das größte demokratische Ereignis in der schottischen Geschichte", jubelte der Vorsitzende der schottischen Nationalpartei und Regierungschef Alex Salmond (Artikelbild) bei der Abschlussveranstaltung der "Ja-Kampagne" in Perth.

"Nur einmal im Leben"

Salmond, der jahrelang für das Referendum zur Unabhängigkeit gekämpft hatte, rief seinen jubelnden Anhänger zu: "Ihr habt die Chance eures Lebens, jetzt nutzt sie!" Er versprach ein wirtschaftlich erfolgreicheres Schottland, das nicht mehr unter dem Kommando der "Westminster-Regierung" in London stehen werde. Die britische Regierung, so Salmond, habe dem Referendum nur zugestimmt, weil sie geglaubt habe, dass die Schotten sich schon nicht auflehnen würden. "Da haben sie sich zu sicher gefühlt", triumphierte Alex Salmond vor Tausenden Anhängern.

Schlange vor Wahllokal in Edinburgh (Foto: Reuters)
Warten auf die Stimmabgabe im schottischen NieselwetterBild: Reuters/Paul Hackett

Die allerletzte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Ipsos Mori" sieht die Befürworter der Unabhängigkeit bei 49 Prozent und die Befürworter eines Großbritanniens mit Schottland bei 51 Prozent. Die Wahlforscher sind sich einig, dass angesichts dieser knappen Zahlen und bei mindestens acht Prozent unentschiedenen Wähler eine klare Voraussage nicht möglich ist. "Ja, ich bin nervös. Jeder, der sich um das Vereinigte Königreich sorgt, ist nervös", gestand der britische Premierminister David Cameron im öffentlichen Fernsehsender BBC, der im Falle einer Unabhängigkeit auch aufgespalten werden soll.

"Es ist auch unser Schottland"

Die "Ja"-Kampagne gefiel sich in den letzten Tagen in der Pose der Freiheitskämpfer, die sich in der Tradition Gandhis gegen Unterdrückung wehren müssten. Die "Nein"-Kampagne weist das mit dem Hinweis auf die schon weitgehende Autonomie Schottlands zurück. Die Tatsache, dass Schottland eine eigene Regierung, ein eigenes Parlament und eben ein Referendum habe, zeige doch, dass die Schotten nicht unterdrückt würden, sagte ein sozialdemokratischer Abgeordnete bei der Abschlusskundgebung der Unionisten in Edinburgh. Der frühere britische Premierminister Gordon Brown, ein schottischer Labour-Politiker, sagte, wer Schottland liebe, müsse mit Nein stimmen. "Die anderen haben Patriotismus nicht gepachtet. Es ist nicht ihr Land, es ist auch unser Land." Gordon Brown warnte, ein unabhängiger Staat Schottland werde wirtschaftlich und politisch schwächer sein. Es gebe viele Risiken. Premierminister David Cameron hat Schottland weitere Zugeständnisse angeboten, sollte es in der Union bleiben.

Großbritannien Schottland Unabhängigkeitsreferendum Gordon Brown in Glasgow
Gordon Brown: Polit-Rentner kämpft für die UnionBild: Reuters/D. Martinez

Lange Wahlnacht, knappes Ergebnis

Schottland und Großbritannien stellen sich auf eine lange Wahlnacht ein. Die Wahllokale schließen um 22 Uhr Ortszeit. Es gibt keine Hochrechnungen oder Wählernachfragen vor den Wahllokalen. Die ganze Nacht über werden die Ergebnisse aus den 32 Wahlbezirken Schottlands in die "Highland"-Hall in der Nähe des Flughafens von Edinburgh gemeldet. In der schmucklosen Messehalle werden außerdem die 700.000 Briefwahlstimmen geprüft und gezählt. Gegen fünf Uhr morgens oder wenn eine der Seiten die 50 Prozent-Marke sicher überschritten hat, will die Landeswahlleiterin Mary Pitcaithy das Ergebnis bekanntgeben.

Eines der ersten Ergebnisse wird von den Orkney-Inseln ganz im Norden erwartet. Dort gibt es ein Wahllokal mit nur 120 Wahlberechtigten. Die Wahlurnen von Dutzenden Inseln der Hebriden, Shetlands und Orkney, die zu Schottland gehören, müssen mit Fähren oder Flugzeugen eingesammelt werden. "Uns kann eigentlich nur das Wetter einen Strich durch die Rechnung machen, ansonsten ist alles wohl organisiert", verspricht die Landeswahlleiterin.

Eigg eine der kleinen Inseln der inneren Hebriden
Jede Stimme zählt: Von einsamen Hebriden-Inseln (hier Eigg) werden sie eingesammeltBild: picture alliance / Jean Brooks/Robert Harding

Napoleon, Harry Potter und James Bond

Die Wahlkämpfer griffen auf den letzten Metern auch noch tief in die Kiste der Geschichte. Die Unionisten erinnerten an den gemeinsamen Kampf des Vereinigten Königreiches gegen Napoleon oder Hitler. Die Befürworter der Unabhängigkeit erinnerten an die Kriege, die Schottland und England im 17. Jahrhundert gegeneinander geführt haben. Vor 400 Jahren waren die beiden Königreiche unter eine gemeinsame Krone gekommen. Vor dreihundert Jahren wurden das gemeinsame Parlament und die gemeinsame Regierung eingeführt. Der Historiker Tom Devine, der für die Unabhängigkeit stimmen wird, glaubt, dass das Vereinigte Königreich als Staat nicht weiter bestehen wird, wenn Schottland austritt.

Auf beiden Seiten griffen prominente Schotten in die politische Auseinandersetzung ein. Die Bestseller-Autorin Joanne K. Rowling unterstützt ein vereinigtes Großbritannien. Sie hatte in Edinburgh einen großen Teil ihrer "Harry Potter"-Romane geschrieben und viele Plätze in der Stadt als Vorlage für ihre Fantasy-Welt gewählt. Der aus Edinburgh stammende Schauspieler Sean Connery, der den britischen Geheimdienstagenten James Bond darstellte, tritt für ein unabhängiges Schottland ein und zeigt sich auch schon mal gerne im Schottenrock. Connery ist allerdings nicht stimmberechtigt. Nach Angaben seines Sprechers kann er Schottland aus steuerrechtlichen Gründen nicht allzu oft betreten. Sean Connery wohnt auf den Bahamas.