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Ringen um normales Arbeitsleben

Jeanette Seiffert1. Dezember 2013

Dank wirksamer Medikamente können die meisten HIV-Infizierten in Deutschland heute ganz normal arbeiten. Dennoch haben viele von ihnen mit Vorurteilen und Diskriminierung zu kämpfen.

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Eine rote Aids-Schleife steckt am Anzug eines Mannes - Foto: Jan-Philipp Strobel (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Es war die Flucht nach vorne", so beschreibt der 49-jährige Holger den Moment, als er vor zehn Jahren in seiner Firma offen darüber sprach, mit HIV infiziert zu sein. Er hatte das Glück, dass sein damaliger Chef sehr entspannt reagierte. Holgers Offenheit hat seiner Karriere nicht geschadet, ganz im Gegenteil: Heute ist er selbst Chef in der Agentur, die Spenden für wohltätige Organisationen einwirbt.

Körperlich geht es Holger gut. Ein Mal pro Tag muss er eine Tablette nehmen: Ein Medikament, das dafür sorgt, dass er keine der Erkrankungen bekommt, die für HIV-Infizierte lebensgefährlich werden können. Er sei genauso leistungsfähig wie früher, betont Holger. Verändert hat sich bei ihm aber dennoch einiges: "Man achtet viel mehr auf sich - zum Beispiel darauf, dass man sich nicht zu sehr belastet, damit man weiter funktionieren kann."

Normale Lebenserwartung - aber kein normales Leben

Der HIV-positive Holger, der Geschäftsführer einer Agentur ist, die Spenden für gemeinnützige Organisationen einwirbt - Foto: BZgA
HIV-positiver Unternehmer Holger: "Flucht nach vorne"Bild: BZgA

Früher kam die Diagnose "Aids" fast einem Todesurteil gleich: Noch vor 20 Jahren gab es kaum eine Möglichkeit, die Krankheit wirksam einzudämmen, die Betroffenen starben oft innerhalb weniger Monate oder Jahre. Oder sie hatten zumindest mit erheblichen Einschränkungen zu kämpfen: Als Angelika vor 18 Jahren erfuhr, dass sie sich mit HIV angesteckt hat, war das für sie ein Schock.

Die so genannte "antiretrovirale Therapie", die heute Standard ist, gab es damals noch nicht. Schon vor zehn Jahren musste die heute 55-jährige ihren Job in einer Drogenberatungsstelle aufgeben. Sie bekommt seitdem eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. "Wegen meiner HIV-Erkrankung ging es mir eine Zeitlang überhaupt nicht gut, und da habe ich diesen Weg gewählt, um eine bisschen Ruhe und Kraft zu bekommen."

Doch dank neuer Medikamente haben HIV-Positive in Deutschland mittlerweile eine fast ebenso hohe Lebenserwartung wie der Bevölkerungsdurchschnitt. Und wenn alles gut läuft und es keine Komplikationen gibt, muss sich auch die Lebensqualität nicht von der eines Gesunden unterscheiden.

Neue Therapien, alte Bilder

Zwei Drittel der HIV-Infizierten arbeiten ganz normal - das sind in ganz Deutschland etwa 50.000. Und es wären vielleicht noch mehr, wenn viele von ihnen nicht immer wieder mit Ausgrenzung und Diskriminierung zu kämpfen hätten, glaubt Manuel Izdebski, Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe: "Menschen mit HIV haben zwar eine normale Lebenserwartung - ein normales Leben haben sie aber nicht, gerade weil sie oftmals Opfer von Stigmatisierung werden."

Plakat-Motiv zum Welt-Aids-Tag mit Popsängerin Sarah Connor (rechts im Bild) - Foto: BZgA
Plakat-Motiv zum Welt-Aids-Tag: "Opfer von Stigmatisierung"Bild: BZgA

Die Organisation unterstützt seit 30 Jahren HIV-Infizierte dabei, mit ihrer Krankheit klarzukommen. Früher war es ein wichtiges Thema, die Öffentlichkeit über HIV zu informieren und darüber, wie man sich schützen kann. Doch mittlerweile weiß die überwiegende Mehrheit der Deutschen alles Wichtige über die Krankheit, und auch die Infektionsrate ist stark zurückgegangen: Mit rund 3000 neuen Infektionen pro Jahr hat Deutschland eine der niedrigsten Quoten in Westeuropa.

Doch gerade weil nur einer von 1000 Beschäftigen in Deutschland HIV-infiziert ist, sei die Unsicherheit in der Bevölkerung oft groß, meint Izdebski: bei Bekannten und Kollegen, aber auch bei Vorgesetzten. Viele HIV-Positive würden erst gar nicht eingestellt, weil Arbeitgeber Angst davor hätten, dass sie durch die Infektion häufiger krank würden: "Das hat mit den alten Bildern zu tun, die immer noch in den Köpfen herumspuken", sagt Izdebski, der neben seiner Vorstandsarbeit auch eine lokale Aids-Hilfe leitet. "Wenn ich als Arbeitgeber denke, dass ich womöglich jemanden einstelle, der schwer krank ist und bald stirbt - dann ist das sogar verständlich. Aber so ist das ja längst nicht mehr."

Manuel Izdebski, Mitglied im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe und Geschäftsführer der AIDS-Hilfe im Kreis Unna - Foto: Johannes Berger (DAH)
Aids-Hilfe-Vorstand Izdebski: "Unsicherheit oft groß"Bild: Johannes Berger

Die diesjährige Kampagne zum Weltaidstag stand deshalb unter dem Motto "Positiv zusammen leben!". So genannte "Botschafter", wie der HIV-Infizierte Holger, machen auf Plakaten darauf aufmerksam, dass sie auf die Solidarität ihrer Umgebung angewiesen sind. Seit einem Jahr gibt es zudem die Aktion "HIV in der Arbeitswelt", an der eine ganze Reihe von Unternehmen teilnehmen: Sie haben sich verpflichtet, mehr dafür zu tun, dass HIV-Positive ein normales Arbeitsleben führen können. Unter anderem nehmen daran Ford, IKEA, die Deutsche Telekom und die NH-Hotelkette teil.

Doch Izdebski reicht dieses freiwillige Engagement nicht mehr: Er fordert, dass das "Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz", das seit 2006 die Benachteiligung zum Beispiel von Homosexuellen oder Behinderten verbietet, auch für chronisch Kranke wie HIV-Infizierte gelten sollte: "Weil das einen wichtigen Schutz vor Diskriminierung gerade im Erwerbsleben bietet."