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Hip beim Kaffeekränzchen

Patrick Tippelt, Bangkok18. April 2006

Warteschlangen wie im Ostblock, Schwarzmarkt und ein Millionengeschäft. Wie ein simples Gebäck, überzogen mit Kaffee-Creme, Bangkok im Sturm erobert kann und zur Erfolgsgeschichte des Jahres mutiert.

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In vollem Tageslicht verhökern gutgekleidete Jungs ihre Ware unverhohlen auf dem überfüllten Siam Square, dem Teenie-Zentrum Bangkoks, mitten in der Stadt. In Bäckereitüten bieten sie ihr Schwarzmarktprodukt dar, und diejenigen, die in Eile sind, bezahlen gerne ein wenig mehr für die "gottgegebene Schöpfung".

Warm, weich und buttrig sind die süβen Kaffee-Berliner - auch als Krapfen bekannt - die seit drei Monaten Bangkok im Griff haben. Angefangen hatte alles mit Rotiboy, einer kleinen Bäckerei auf der Silom-Straβe. Schon von weitem sieht man die Warteschlange, von 8 Uhr morgens bis in den späten Abend hinein. Und alle wollen nur eins: die Rotiboys, Berliner mit Butterfüllung, überzogen mit duftender Kaffee-Creme.

Zwei Stunden in der Warteschlange

Bis zu einer Stunde kann man beim Anstellen verlieren, am Wochenende können es auch schon mal zweieinhalb sein, doch niemand murrt, selbst in der gröβten Hitze nicht. Die Erfolgsaussichten eilen an den Wartenden vorbei, im 30-Sekunden-Takt: mampfende Sekretärinnen und Studenten, teils schwer behängt mit Tüten voller Krapfen, die sie für Kollegen und Freunde mitkaufen. In manchen Büros existieren bereits Rotiboy-Schichten, in denen das Warten in den Schlangen eingeteilt ist, damit kein Angestellter mehr als eine Mittagspause pro Woche vor der Bäckerei verliert. Besserverdienende stellen Kuriere ein, die sich in die Schlangen einreihen.

Die Schwarzmarkthändler auf dem Siam Square verlangen rund 60 Cent pro Berliner, zehn Cent mehr als die Bäcker. Kein Wunder, dass sie genauso belagert werden wie die Filialen, die überall in Bangkok aus dem Boden sprieβen. Die erste Filiale der malaysischen Firma Rotiboy war so erfolgreich, dass nach nur einem Monat zwei weitere Filialen eröffnet wurden. Und die ersten Nachahmer genieβen ähnlichen Erfolg: ob bei Mister Bun, Baker's Boy oder Papa Roti, die Warteschlangen rufen allesamt Bilder vom Ostblock in den späten 1970er Jahren wach. Einige Nachäffer haben sich Marketinggags einfallen lassen. Bei Coffee Dome kann man vorbestellen, mit maximaler Wartezeit von zehn Minuten garantiert, bei Vorausbezahlung.

Die ganze Stadt ein einziges Rudel

Ein Ende der Berliner-Welle ist nicht abzusehen. Insgesamt sind bis Ende 2006 allein für Bangkok fast 100 Filialen geplant, die ausschlieβlich Kaffee-Krapfen backen. Das Geheimnis des Erfolgs? Da verstummen selbst die PR-Strategen von Rotiboy, die Firma, die mit den Berlinern Millionen scheffelt - in Thailand, Indonesien und Malaysia. Sie murmeln etwas von unwiderstehlichen Aromen, von Duft-Sensationen und von der Einzigartigkeit des Produkts. Doch das Rezept ist seit langem in Malaysia bekannt, und es ist frei erhältlich übers Internet (wenn man nur "Mexican Bun" googelt).

Manche vermuten hinter dem Erfolg weniger die Qualität der Berliner als einfaches Rudelverhalten. Ein paar simple Anzeigen und die erste Schlange vor der Bäckerei führten schnell zu Propaganda, die von einem cremegefüllten Mund zum anderen durch Bangkok raste. Die Maxime: Angebot und Nachfrage, Exklusivität gleich Trend, resultierend in explodierenden Verkaufszahlen. So mancher wartende Kunde ist noch nicht einmal ein Krapfen-Fan. Eine Studentin beantwortete die Frage einer TV-Reporterin, warum sie denn seit einer Stunde anstünde, pragmatisch: "Ich mag die Berliner eigentlich gar nicht, aber zumindest kann ich mich nicht blamieren, wenn mich jemand danach fragt. Jeder, der einen Rotiboy isst, ist hip."