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Hilfe im Feindesland

Tania Krämer19. September 2013

Ein Krankenhaus im Norden Israels kümmert sich um syrische Kriegsopfer. Doch die grenzübergreifende Hilfe zwischen Israel und Syrien ist heikel - beide Länder befinden sich offiziell im Kriegszustand.

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Syrer wird im Ziv-Krankenhaus behandelt (Foto: AFP/Getty Images)
Zuflucht beim Nachbarn: ein Bürgerkriegsopfer im Ziv-Krankenhaus in IsraelBild: Menahem Kahana/AFP/Getty Images

Zur Beruhigung legt Doktor Shokri Kassis eine Hand auf die Schulter des jungen Patienten – und spricht dabei arabisch mit dem 15-Jährigen. Der Teenager ist unruhig, sein Blick ist starr, manchmal stöhnt er laut auf. Ob vor Schmerzen oder aus Angst, weiß auch der Chirurg nicht. Seit wenigen Tagen erst liegt der junge Syrer auf der Intensivstation im Ziv-Krankenhaus im Norden Israels. "Er ist noch ziemlich durcheinander und nicht ansprechbar", sagt Kassis. Doch der israelische Arzt ist zuversichtlich, dass der Junge durchkommt – trotz schwerster Bauchverletzungen und einem Schädel-Hirn-Trauma, die von einer Bombenexplosion stammen. "Aber er wird lange bei uns bleiben, das braucht alles viel Zeit", meint der Chirurg.
Der junge Syrer ist einer von 96 Kriegsverwundeten, die seit Februar in die Notaufnahme der Ziv-Klinik in der israelischen Stadt Safed eingeliefert wurden. Woher er genau stammt und wie er über die Grenze kam - darüber können die israelischen Ärzte nur mutmaßen. Die meisten Patienten werden von der Armee oder den UN-Blauhelmsoldaten aufgelesen und dann in die Notaufnahmen verschiedener Kliniken im Norden Israels gebracht. Auch ein Feldlazarett des Militärs irgendwo auf den Golanhöhen versorgt syrische Verletzte - doch darüber herrscht strikte Geheimhaltung. Die humanitäre Hilfe ist für beide Seiten heikel - offiziell befinden sich Israel und Syrien noch immer im Kriegszustand.

Israel hilft syrischen Kriegsopfern

Hilfe für jeden, der kommt

Calin Shapira mit einem Brief aus Syrien (Foto: DW / Tanja Krämer)
"Wir tun unser Bestes": Der Arzt Calin ShapiraBild: DW/T. Krämer

"Wir wissen nicht genau, wie sie zu uns über die Grenze kommen. Wir stellen auch keine Fragen", sagt Calin Shapira, stellvertretender Klinikleiter. "Für uns sind es Patienten, die sofort Hilfe benötigen, sonst würden sie sterben. Und für uns macht es keinen Unterschied, woher sie kommen, oder ob sie Kämpfer oder Zivilisten sind." Die Ziv-Klinik im Norden Israels hat Erfahrungen mit Kriegsopfern. 1973, kurz vor der Eröffnung der Klinik, brach der Yom-Kippur-Krieg aus und es mussten Verletzte medizinisch versorgt werden. Oder zuletzt im Libanon-Krieg 2006, als eine Rakete der libanesischen Hisbollah im Krankenhaus einschlug.

Dennoch ist es auch für das Ärzteteam eine besondere Situation. Ein israelischer Soldat wacht auf der Station darüber, dass die Identität der syrischen Patienten nicht preisgegeben wird. Mit den meisten dürfen Journalisten gar nicht sprechen. Mittlerweile kommen fast jede Woche neue Fälle aus dem Nachbarland - auch mehr Frauen und Kinder. Die Ärzte wissen nur oft nur wenig über die Verwundeten. Einige hatten eine Art "Überweisungsschreiben" in der Tasche. Schnell geschrieben von den syrischen Ärzten auf einem Fetzen Papier - an die Ärzte in Israel, die sie wahrscheinlich nie treffen werden. "Auf manchen sieht man noch Blut", erzählt Calin Shapira nachdenklich. "Die Ärzte dort haben aufgeschrieben, was sie bereits gemacht haben, und dass sie den Patienten zu uns schicken, damit wir unser Bestes für ihn tun. Und das versuchen wir natürlich."

Behandlung im "Feindesland"

Die meisten kommen alleine, nur mit dem, was sie am Leib tragen - und natürlich ohne Krankenversicherung. Die Kosten für die Behandlungen trägt das Krankenhaus. Das Personal kümmert sich um alles - von der Zahnbürste bis zu Kleidung, aber auch um die Zuwendung, die jeder Patient braucht. Die sind meist erstmal schockiert, wenn sie erfahren, wo sie sind, erzählt Doktor Shokri Kassis. "Für sie ist Israel das Feindesland. Sie haben sicher nicht im Traum daran gedacht, dass sie jemals hier behandelt werden." Das Vertrauen stellt sich nach und nach ein - die meisten Patienten bleiben einige Wochen in der Klinik.

Ein Verletzter im Ziv-Krankenhaus (Foto: AFP/Getty Images)
Wichtig: Zuwendung für Kriegsopfer im Ziv-KrankenhausBild: Menahem Kahana/AFP/Getty Images

Auf der Station sind auch ein kleines Mädchen und seine Mutter in Behandlung. Beide haben schwere Verletzungen an ihren Beinen, die Folgen von Bombensplittern. Das rechte Bein der Achtjährigen liegt jetzt in einem Drahtgestell. "Es ist ein sehr komplizierter Bruch. In Syrien wäre das wahrscheinlich unter den Umständen amputiert worden", meint Alexander Lerner, Chef der orthopädischen Chirurgie. Er will das Bein mit einer komplizierten Behandlung retten. In zwei Wochen, so hofft er, kann das Mädchen seine ersten Gehversuche mit Krücken machen.

Der Chefarzt scherzt mit der jungen Patientin, kitzelt den kleinen Fuß - und die Zehen reagieren. Die kleine Patientin lacht - ein gutes Zeichen. Die Tränen kommen nur, wenn Mutter und Tochter an die Heimat denken. Der Vater und die Geschwister sind in Syrien geblieben. Wie es ihnen geht, wissen die beiden nicht. Sie wollen wieder nach Hause - doch in welche Zukunft? Das ist auch für die Ärzte ein schwieriges Thema: "Ich habe Patienten, die ich für ein oder zwei Monate behandelt habe", sagt Doktor Kassis. "Wir reden jeden Tag miteinander, natürlich geht mir ihre Situation nahe. Und dann fragt man sich schon, was wird ihr Schicksal sein? Werden sie auch weiterhin medizinische Hilfe bekommen? Das ist schon schwierig."

Nur soviel ist klar: Irgendwann werden sie in einem Krankenwagen der Armee wieder in Richtung Syrien gebracht - mit Medizin für die nächsten Wochen im Gepäck. Die Ärzte können dann nur hoffen, dass ihre Hilfe nicht umsonst war.