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Zu Unrecht hingerichtet

21. Februar 2012

In einigen deutschen Städten sollen vermeintliche Hexen früherer Jahrhunderte rehabilitiert werden. Damit rücken die Argumente der damaligen Verfolger wieder in den Fokus, auch das Buch "Hexenhammer" von 1486.

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Hexenverbrennung - Holzschnitt, um 1580
Bild: picture-alliance / akg-images

Katharina Henot war der Auftakt. Nachdem die einflussreiche Geschäftsfrau 1627 wegen so genanntem Schadenszauber verurteilt und hingerichtet worden war, kam es in Köln zu einer Welle von Hexenprozessen. Allein in der Domstadt wurden danach bis 1630 mindestens 24 Frauen angeklagt und hingerichtet.

140 Jahre zuvor hatte ein Dominikanermönch die Grundlagen für diese Hexenerkennung und -verfolgung in einem Buch zusammengefasst, das man heute als Bestseller bezeichnen würde: Der "Hexenhammer" fasste das Wissen und die Ängste einer Zeit zusammen und lieferte denen, die an die Hexenverfolgung glaubten, die notwendigen Argumente.

Eine Figur von Katharina Henot (r.) am Kölner Rathausturm (Foto: dpa)
Die als Hexe verbrannte Katharina Henot (r.) als Figur am Kölner RathausturmBild: picture-alliance/dpa

Derzeit beschäftigt sich der Kölner Stadtrat mit der offiziellen Rehabilitation von Katharina Hunot. Die Deutsche Welle sprach mit der Kölner Historikerin Irene Franken über das Buch "Hexenhammer".

DW.DE: 1486 hat der Dominikanermönch Heinrich Kramer den "Hexenhammer" verfasst. Was stand in diesem Buch?

Irene Franken: Der "Hexenhammer" bestand inhaltlich aus drei Teilen. Einmal wurde erklärt, woran Hexen zu erkennen seien - oder besser: Zauberinnen. Denn das Wort Hexe war noch gar nicht flächendeckend bekannt und verbreitet. Im zweiten Teil des Buches hat Kramer in Beispielgeschichten aufgeführt, was diese angeblichen Zauberinnen alles tun, um Menschen zu schädigen. Und im dritten Teil wurde erklärt, wie die Prozesse gegen diese bösen Frauen geführt werden sollen.

Was für Prozesse waren das?

Die Prozesse der damaligen Zeit haben sich durch dieses Buch verändert. Bis dahin war es möglich, dass Menschen, die jemanden denunziert hatten, selbst Gefahr liefen mit ins Gefängnis zu gehen bis der Prozess erledigt war. Heinrich Kramer hat mit seinem "Hexenhammer" dafür gesorgt, dass Menschen denunzieren konnten ohne selbst beschuldigt oder bestraft zu werden, wenn ihre Anschuldigungen falsch waren.

Die gesamte Klärung des Sachverhaltes wurde dann in der Regel an studierte Richter gegeben, manchmal auch an Laienrichter, die dann nach Indizien schauen sollten. Es war keineswegs ein Rechtsbeistand zugelassen. Das wissen wir von einem Fall aus Köln, in dem eine Geschäftsfrau versucht hat, ihren Rechtsbeistand hinzu zu ziehen. Und die Frauen, es waren ja meistens Frauen, standen dann einer Männerriege gegenüber, die sich auch nicht scheute, sie nackt auszuziehen, um nach vermeintlichen Hexenmalen zu suchen, die dann als Indizien galten für ein zauberisches Wesen.

Was weiß man über Heinrich Kramer, den Verfasser des Buches "Hexenhammer"?

Er war vom Papst als Inquisitor in Süddeutschland eingesetzt worden. Aus einzelnen Quellen wissen wir, dass er aber nicht immer erfolgreich war mit seinen Gängen in verschiedene Städte, wo er dann an Kirchentüren einen Zettel oder eine Nachricht aushing, dass alle "Zauberischen" zu denunzieren seien. In Einzelfällen ist er auch aus der Stadt hinaus geprügelt worden. Es scheint ein bisschen ein Racheakt zu sein, dass er dann einen Feldzug gegen Frauen begonnen hat - mit dem "Hexenhammer".

Hexenverbrennung in Dernburg im Jahre 1555 (zeitgenössischer Stich)
Hexenverbrennung in Dernburg im Jahre 1555 (zeitgenössischer Stich)Bild: picture-alliance/dpa

Dieses Buch ist zwar nicht das erste, das die Hexenthematik so stark auf Frauen fokussiert, aber es macht es am deutlichsten und kraftvollsten. Das Buch ist auch durchsetzt mit sexuellen Sentenzen. Man kann davon ausgehen, dass Heinrich Kramer vor Frauen Angst hatte. Er kannte als Mönch ja auch fast gar keine, weil er als Kind schon ins Kloster gekommen war. Im "Hexenhammer" ist oft die Rede davon, dass die Glieder der Männer weggehext werden, dass sie impotent gezaubert werden und dergleichen. Man kann also schon davon ausgehen, dass Heinrich Kramer eine neurotische Grundstruktur hatte.

An welches Publikum richtete sich der "Hexenhammer"?

Es ist auf Latein erschienen und richtete sich erstmal an Fachleute, vor allem an Theologen. Dann erreichte es aber auch viele Juristen und Ratsherren, die es benutzten, um sich über die Materie zu informieren. Es war nicht so, dass es vorher noch keine Bücher zu dem Thema gegeben hatte - aber Heinrich Kramer hat einfach von zahllosen Autoren, aus über 100 Quellen, die er auch teilweise benennt, seine Thesen zusammengefügt. Von anderen Theologen, aber auch aus der Bibel und Rechtsbüchern der damaligen Zeit.

Wie wurde die Schrift verbreitet?

Der "Hexenhammer" profitierte davon, dass der Buchdruck bereits erfunden worden war, und dass es möglich geworden war, Texte in einer sehr hohen Anzahl zu verbreiten. Ich habe mal ein Original in der Hand gehabt, das ist ein ganz kleines Buch. Es sind insgesamt 29 Auflagen gedruckt worden. Es hat nicht nur Deutschland erreicht, es wurde europaweit benutzt. Viele Länder haben sich davon aber auch distanziert und das Buch abgelehnt, Italien und Spanien zum Beispiel. Gerade die, die wir mit der Inquisition in Verbindung bringen.

Inwiefern hat der "Hexenhammer" denn die Hexenverfolgung angefacht?

Er hat sie nicht so stark angefacht wie sich manche das vorstellen. Der "Hexenhammer" hat nicht sofort eine riesige Verfolgungswelle ausgelöst, sondern man müsste eher sagen, dass er die Reaktion auf eine gewisse Verfolgungswelle im 15. Jahrhundert war. Aber die europaweit größte Welle der Hexenverfolgung gab es erst im 17. Jahrhundert. Da war das Buch bereits mehr als ein Jahrhundert alt. Es war zwar immer noch relevant, aber es gab dann auch Alternativen. Man kann nicht sagen, dass allein durch den "Hexenhammer" der Hexenwahn besonders stark angefacht wurde, aber er gab den Menschen immer eine Argumentationsbasis und vor allem auch eine gewisse Rechtssicherheit. Jeder Stadtverordnete, jeder Ratsherr, konnte sich anhand dieses Buches darüber informieren, wie solche Hexenprozesse zu führen seien, und fühlte sich dadurch auf der sicheren Seite. Es waren in der Regel studierte Männer, die dieses Buch gelesen haben. Geistliche haben daraus gepredigt und es gab Übersetzungen für Laien, durch die die Grundideen des "Hexenhammers" weiter verbreitet wurden.

Warum fielen die Thesen des Buchs damals auf so einen fruchtbaren Boden?

Es war eine unsichere Zeit. Viele Koordinaten, die in Europa zuvor gegolten hatten, galten nicht mehr. Ganze Landstriche sind regelrecht verarmt, es gab eine kleine Eiszeit im 15. Jahrhundert, dann folgte die Reformation Martin Luthers und brachte eine Glaubensunsicherheit mit sich. Da sollte der "Hexenhammer" Orientierung und Sicherheit bieten. Mit ihm sollte man erkennen können, wer es mit dem christlichen Glauben nicht ernst meinte, denn die Zauberei wurde auch als Abkehr vom christlichen Glauben interpretiert.

Kostüm mit alemannischer Hexenmaske während des Karnevals
Kostüm mit alemannischer Hexenmaske während des KarnevalsBild: picture-alliance / Eibner-Pressefoto

Aber gerade durch den "Hexenhammer" war es doch möglich geworden, jederzeit jedermann zu denunzieren. Machte das die allgemeine Situation nicht noch angespannter und unsicherer?

Das Buch hat vor allem mit dazu beigetragen, dass das Denken über Frauen, das schon vorhanden war, vertieft wurde. Es war kein neues Denken. Frauen wurden auch zuvor generell als die Schlechten und Schwachen der Gesellschaft dargestellt. Der "Hexenhammer" hat das aber verstärkt. Und er hat dafür gesorgt, dass generell Menschen, die irgendwie anders waren als die Mehrheit, schneller verfolgt wurden. Die hegemoniale Gesellschaft hat sich ihrer Werte versichert, indem Randständige ausgemerzt wurden, wie wir heute sagen würden.

Gab es tatsächlich keine Möglichkeiten einer Verfolgung zu entgehen?

Das war sehr schwierig. Wenn einmal der Vorwurf der Hexerei im Raum stand, konnten die Betroffenen nur darauf hoffen, vor einen Richter zu kommen, der eine gute Ausbildung hatte. Je studierter und gebildeter die Richter waren, desto weniger hart waren die Urteile, die sie gefällt haben. Das können wir im Vergleich zwischen größeren Städten und Dörfern feststellen, in denen Laienrichter geurteilt haben. Letztere haben in der Regel wesentlich härtere Urteile gefällt. Wenn in einer Stadt eine Frau vor Gericht kam, konnte sie noch damit rechen, dass die Stadtverordneten, die entscheiden mussten, ob es überhaupt zu einem Prozess kommen sollte, das verworfen haben. Sie haben Frauen dann eventuell noch der Stadt verwiesen oder einen Hausarrest ausgesprochen oder sie ganz gehen lassen. Es war nicht zwangsläufig so, dass eine Frau, die damals der Hexerei beschuldigt war, automatisch zum Tode verurteilt wurde. Aber sie selber konnte eigentlich kaum etwas tun.

Das Gespräch führte Laura Döing
Redaktion: Klaudia Prevezanos