1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Hetze gegen Roma

Martin Nejezchleba 5. September 2013

In tschechischen Städten ziehen immer wieder gewaltbereite Neonazis pöbelnd durch die Straßen, um Angst und Schrecken in Roma-Vierteln zu verbreiten. In Duchcov versuchen Roma, mit friedlichen Mitteln gegenzuhalten.

https://p.dw.com/p/19WVr
Zum vierten Mal in drei Monaten protestieren Neonazis mit Anwohnern gegen die Roma von Duchcov (Foto: Martin Nejezchleba, DW)
Bild: Martin Nejezchleba

Noch haben der kleine Robert und seine Freunde die Straße für sich. Der Siebenjährige legt sich auf den schwarzen Asphalt, seine Schwester umrandet den zierlichen Körper des Jungen mit Kreide. Danach malt sie dem Kreidemännchen noch ein Lächeln. Zwei ältere Jungen kritzeln hastig die Roma-Flagge auf die Straße - blau, grün, das rote Chakra-Rad in die Mitte. "Wir sind auch hier" steht daneben. Auf diese Weise versuchen die Kinder, dem aufziehenden Unheil etwas entgegenzusetzen.

Vier Märsche in drei Monaten

Knapp eineinhalb Stunden später marschieren etwa 50 Neonazis und 250 Bewohner der nordböhmischen Kleinstadt Duchcov über das Kreidemännchen. Ihre Parolen dröhnen durch das ganze Viertel mit seinen bröckelnden Fassaden. Viele Roma-Familien leben hier. "Wir sind hier zu Hause!", gröhlen die Neonazis und "Böhmen den Tschechen!"

Die Roma-Kinder malen auf die Straßen von Duchcov die Parole "Wir sind auch hier" (Foto: Martin Nejezchleba, DW)
Roma-Kinder in Duchcov: "Wir sind auch hier"Bild: Martin Nejezchleba

Angesichts des Aufmarsches ist der zierliche Robert - der in Wirklichkeit einen anderen Namen trägt - voller Wut. Er würde gerne mehr dagegen unternehmen, als nur Kreidemännchen auf die Straße zu malen. "Wenigstens einen Skinhead zu Boden werfen und reintreten", sagt er. Wirklich? "Nein, Handschellen anlegen, damit er sich nicht mehr rührt." Der Siebenjährige muss schon den vierten Anti-Roma-Marsch in drei Monaten mit ansehen, der das Viertel seiner Heimatstadt am Fuße des Erzgebirges überrollt.

Auslöser für die Proteste in Duchcov war ein Überfall in dem Roma-Viertel. Mitte Mai wurden ein Mann und eine Frau von Betrunkenen brutal verprügelt. Mit Aufnahmen der Tat, die von einer Überwachungskamera stammen, hat die rechtsextremistische Plattform Freier Widerstand (Svobodný odpor) im Internet Stimmung gegen die Roma von Duchcov geschürt und zum landesweiten Protest aufgerufen. Die Kleinkriminalität in den Armenvierteln ist vielen Tschechen ein Dorn im Auge. Die Schuld wird kollektiv auf alle Roma abgewälzt. "Werden wir weiter nur zusehen?", wird in dem rechtsextremen Online-Video rhetorisch gefragt.

Wenn der Pogrom Alltag wird

Roma-Kinder beim Schminken (Foto: Martin Nejezchleba, DW)
Straßenfest gegen Pogromstimmung: Auf andere Gedanken bringenBild: Martin Nejezchleba

Rund 2500 Menschen in acht tschechischen Städten folgten dem Aufruf, marschierten gemeinsam mit den Neonazis. Das menschenverachtende Motto der Demonstrationen: "Gemeinsam gegen den Zigeunerterror". Im Osten der Republik, in der Industriemetropole Ostrava, lieferten sich die Demonstranten eine Straßenschlacht mit der Polizei. Nur mit Schlagstöcken und Tränengas konnten die Rechtsradikalen davon abgehalten werden, in Viertel vorzudringen, in dem hauptsächlich Roma leben.

Ivana Čonková ist eigentlich Performance-Künstlerin. Auch sie versucht, sich gegen die Pogrom-Stimmung zu stemmen, indem sie Roma unterstützt. Mit wenigen Freiwilligen der Bürgerinitiative Konexe veranstaltet die 28-Jährige Wochenende um Wochenende Aktionen gegen die Anti-Roma-Proteste. Čonková und ihre Mitstreiter möchten die Menschen auf andere Gedanken bringen. Roma sollen so ihre Haltung bewahren und sich nicht in ihren Häusern verschanzen.

Rund 60 Bewohner und Freiwillige haben sich in der Bratří-Čapků-Straße in Duchcov versammelt. Vor einem Hauseingang entsteht aus vier Paletten ein Podium, daneben hängt ein Transparent mit der Aufschrift: "Schwarze, Weiße, lasst uns die Kräfte vereinen".

Performance-Künstlerin Čonková (Foto: Martin Nejezchleba, DW)
Performance-Künstlerin Čonková (2. v. Rechts): "Roma müssen raus aus der Opferrolle"Bild: Martin Nejezchleba

Während der Mob brüllt "Wir gehen auf sie los", spielen, singen und tanzen sie gemeinsam mit den Bewohnern - oder versuchen das zumindest. Eine "Oase der Freude" nennt Čonková die kleinen Straßenfeste. Ihre braunen Augen wirken müde. Fast jedes Wochenende kämpft sie so gegen Rassismus, ohne finanzielle Unterstützung. Langsam ist sie am Ende ihrer Kräfte.

Vereinte Kräfte

"Wir wollen den Kindern ein anderes, ein positives Erlebnis bieten", sagt Čonková. Die Erwachsenen rutschen bei dem Straßenfest sichtlich angespannt auf weißen Plastikstühlen umher, trinken türkischen Kaffee. Eine junge Frau bemalt die Gesichter der Kinder. Singen und tanzen möchte von ihnen keiner. Geige, Cello und Gitarre werden bald vom Knattern eines Polizeihubschraubers übertönt.

Der Protestzug ist nur noch wenige hundert Meter entfernt. Eine Kette von schwarz behelmten Polizisten hält die gewaltbereiten Demonstranten davon ab, auf die Roma loszugehen. Die Angst und Wut der Roma vermag auch Ivana Čonkovás heiserer Gesang nicht zu verdrängen.

Abwarten, Kartoffelsuppe kochen

Von all dem will Jitka Bártová nichts wissen. Die Bürgermeisterin von Duchcov mit dem schütteren, roten Haaren bleibt am Tag der Anti-Roma-Proteste zu Hause. Sie kocht Kartoffelsuppe. Die aufgebrachten Bürger könne sie verstehen, die gemeinsam mit den Skinheads das Viertel umzingeln, in dem die Roma leben. "Bei vielen Leuten wächst die Frustration", sagt Bártová auf ihrer sonnigen Terrasse, wenige Häuserblocks von den Demonstrationen entfernt. Die schlechte Wirtschaftslage, die hohe Arbeitslosigkeit - das bringe auch immer mehr "Weiße" in prekäre Situationen. "Und dann sehen sie einen lächelnden Roma, der sich von einem Sozialarbeiter die Papiere für die Sozialhilfe ausfüllen lässt. In den Leuten wächst das Gefühl, dass sich für sie überhaupt niemand einsetzt", meint die Bürgermeisterin. Die Straßenfeste der Roma seien eine Provokation.

Jitka Bártova, Bürgermeisterin von Duchcov (Foto: Martin Nejezchleba, DW)
Bürgermeisterin Bártova: Verständnis für aufgebrachte BürgerBild: Martin Nejezchleba

Beim ersten Anti-Roma-Protest im Mai trat die Bürgermeisterin vor die Menge und sprach den Demonstranten ihr Verständnis aus. Dass immer mehr Tschechen den Aufrufen der Neonazis folgen, und mit den Rechtsextremisten gemeinsam auf die Straße gehen, hat der tschechische Inlandsgeheimdienst vor einigen Wochen als ernste Gefahr für Sicherheit und Demokratie im Land eingestuft.

Breakdance statt Blockade

Menschenrechtsorganisationen weisen seit Jahren auf die Diskriminierung der Roma im Schulsystem oder auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt hin. Zum Beispiel haben Städte wie Duchcov die teils heruntergekommenen Gebäude, in denen die Roma wohnen, an windige Wohnungsunternehmen verkauft. Große Teile der Sozialhilfe für Roma fließen durch überteuerte Mieten direkt an Immobilienhaie.

Polizei-Einsatz zum Schutz des Roma-Viertels (Foto: Martin Nejezchleba, DW)
Polizei-Einsatz zum Schutz des Roma-Viertels: Neonazis als Gefahr für Sicherheit und Demokratie im LandBild: Martin Nejezchleba

Beim Straßenfest geschieht kurz vor 16 Uhr das, was laut Ivana Čonková immer geschieht, wenn das Gebrüll der Demonstranten allzu hörbar wird: Die Anwesenden wenden sich vom Podium ab, wollen sehen, wer ihnen an den Kragen will. "Hier steigt der Druck", sagt einer, "wir wollen die Sache selbst in die Hand nehmen." Auch Čonková möchte sich am liebsten dem Mob in den Weg stellen. "Die Roma müssen aus der Opferrolle heraustreten", sagt sie.

Schließlich entscheidet sich die Mehrheit der Roma gegen den offenen Konflikt. Man wolle nicht provozieren, es gehe um das Wohl der Kinder. Man sei hier, um zu feiern. Die Kinder nehmen das beim Wort. Sie rennen zur Bühne zurück. Ohrenbetäubende Popmusik dröhnt aus den Boxen. Auch Robert und seine Freunde finden ein Ventil für ihre Wut: Breakdance.