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Hassverbrechen oder Rechts-Terrorismus?

18. November 2011

Die Bestürzung in Deutschland über die Taten der rechtsradikalen Zelle "Nationalsozialistischer Untergrund" ist groß – aber eine Einordnung der jahrelangen Mordserie fällt beim jetzigen Faktenstand immer noch schwer.

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Ein Sicherheitsbeamter steht in Köln vor dem Bundesamt für Verfassungsschutz (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Auch 2010 waren in Deutschland keine rechtsterroristischen Strukturen feststellbar" - so steht es im Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz, erschienen im Sommer 2011. Angesichts der bislang bekannt gewordenen Fakten um die Mordserie, mutmaßlich verübt von drei Neonazis aus Jena, erscheint der Satz in einem neuen Licht. Konnten die Geheimdienstler nichts feststellen? Oder wollten sie es womöglich nicht?

"Alles scheint jetzt möglich" - so lautet der erste Satz in einem Artikel der Wochenzeitung "Die Zeit" über die Täter und deren Helfer. Alles - selbst eine "Verflechtung zwischen Sicherheitsbehörden und Rechtsextremisten oder gar Rechtsterroristen". Aber war die Lagebeurteilung des Verfassungsschutzes vielleicht doch zutreffend? Die Frage lautet nämlich, was eigentlich der Unterschied zwischen Rechtsterrorismus und Rechtsextremismus ist und was "rechtsterroristische Strukturen" von "rechtsextremistischen Strukturen" unterscheidet.

Definitionsfragen

Für den Extremismusforscher Professor Uwe Backes von der Technischen Universität Dresden ist im Falle des selbsternannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) die Sache nicht so klar: "Jetzt spricht man neuerdings von Rechts-Terrorismus, aber dieses Etikett scheint mir zweifelhaft zu sein im Hinblick auf diese Gruppe und ihren Modus operandi."

Uwe Backes (Foto: dpa)
Uwe BackesBild: picture-alliance/dpa

Die gängigen Terrorismusdefinitionen, so Backes, sähen den Terrorakt als Kommunikationsform, als eine Botschaft an die Öffentlichkeit also. Das sei auch schon in der Bedeutung des lateinischen Wortes ablesbar: "Terror heißt Schrecken, Terroristen wollen Schrecken erzeugen; auf der anderen Seite wollen sie werben für ihr Anliegen. Aber wenn die Terroristen nicht kommunizieren, wenn sie keine Botschaft aussenden, wenn sie keine Bekennerschreiben veröffentlichen, haben wir es dann überhaupt mit Terrorismus zu tun?" Es fehle also die kommunikative Dimension, so Backes - zumindest nach dem vorläufigen, lückenhaften Kenntnisstand.

Botschaft oder nicht?

Gewisse Kreise scheinen aber durchaus eine Botschaft vernommen zu haben: Seit dem Sommer 2010 kursiert ein Song der rechtsextremistischen Band "Gigi und die braunen Stadtmusikanten" und ein dazugehöriges Video auf der Internetplattform Youtube - es trägt den Titel "Dönerkiller" und es heißt darin: "Bei allen Kebabs herrscht Angst und Schrecken. Der Döner bleibt im Halse stecken, denn er kommt gerne spontan zu Besuch, denn neun sind nicht genug." Dass die Verfasser des Machwerks tatsächlich nähere Informationen über die Urheber der Mordserie hatten, ist nicht bewiesen - aber durchaus denkbar.

Noch nebulöser wird die Angelegenheit dadurch, dass die Jenaer Täter offenbar eben doch ein explizites digitales Bekennerschreiben vorbereitet hatten - eine DVD, auf der sie die Morde dokumentieren und die Opfer verhöhnen; das Ganze als zusammengebastelte Zeichentrick-Animation mit dem "rosaroten Panther" in der Moderatoren-Rolle.

Rollenvorbild SS – Terror als Mord

Standbild aus dem Bekennervideo der Vereinigung 'Nationalsozialistischer Untergrund' (Foto: dapd)
Verhöhnung der Opfer per Zeichentrickfilm: Mindestens zehn Morde sollen auf das Konto der Gruppe "NSU" gehenBild: dapd

Das perfide Motto in dem Film lautet "Taten statt Worte" - und das passe durchaus zum historischen Rollenvorbild vieler Rechtsterroristen, sagt Professor Hajo Funke, emeritierter Politikwissenschaftler von der Freien Universität Berlin und ebenfalls ausgewiesener Experte auf dem Gebiet des Rechtsextremismus: Auch die nationalsozialistische SS habe zunächst häufig im Geheimen gemordet - der puren Effizienz halber.

Hajo Funke sieht in der Begriffsdefinition die Dinge deutlich anders als sein Kollege Backes: Der Begriff des Terrorismus oder des Terrors habe nämlich eine spezifische Verengung erfahren: "In der Tat beobachten wir bei islamistischen Terrorgruppen auch das Element des 'in Angst und Schrecken versetzens', etwa in Madrid oder anderswo. Aber, wenn man den Begriff Terror selbst nimmt, dann ist es auch der Terror, der schlicht eine andere Gruppe auslöschen will; oder Repräsentanten einer als Feinde bezeichneten Gruppe auslöschen will - also Terror als Mord."

Versagen und Verstrickung

Hajo Funke (Foto: dpa)
Hajo FunkeBild: picture alliance / dpa

Auch die Annahme, die Mordserie habe für sich genommen keine erkennbare Botschaft übermittelt, stimme so nicht, betont Funke - zumindest kriminalpsychologische Fachleute hätten sie nämlich eindeutig wahrgenommen: "Es ist von den Profilern in Bayern nur eine Konsequenz angeboten worden, als diese die Morde untersucht haben: Es kommt von rechtsradikaler Seite." Der Profiler dürfe im Moment von Amts wegen nicht mehr Auskunft über die damaligen Abläufe geben: "Mit anderen Worten: Man hat diese Dimension mitkommuniziert, mitdiskutiert, aber unzureichend öffentlich gemacht. Das ist ein schweres Versäumnis der Behörden."

Speziell den Thüringischen Verfassungsschutz sieht Politikwissenschaftler Funke in der zentralen Verantwortung: Der Dienst sei nach dem Abtauchen der Mordgruppe 1998 über einen V-Mann darüber informiert worden und habe nicht angemessen reagiert - Teile des Verfassungsschutzes seien somit in die Strategie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" verstrickt gewesen. "Ich würde in der Tat von einem Versagen staatlicher Behörden ausgehen", so das Fazit des Experten: "Staatliches Versagen und staatliche Verstrickung."

Autor: Michael Gessat
Redaktion: Arnd Riekmann / Christian Walz