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Der wohlwollende Datenjongleur

Hannah Fuchs23. Juli 2014

Bunte Statistiken und hüpfende Bubbles - das sind die Vorträge des schwedischen Medizinprofessors. Scheinbar nebenbei erklärt er die größten Probleme der Welt. Aber die ganze Rosling-Show ist nur Mittel zum Zweck.

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Hans Rosling (Foto: S. Nilsson)
Bild: S. Nilsson

Hans Rosling - DER Hans Rosling, der normalerweise die Welt erklärt - scheint sie gerade im Moment selbst nicht mehr zu verstehen. Der schwedische Professor für Internationale Gesundheit am Karolinska-Institut in Stockholm war zu Gast bei der 64. Nobelpreisträgertagung in Lindau, wo er anlässlich der Eröffnung ein kleines Quiz mit Nachwuchsforschern und Nobelpreisträgern veranstaltete - mit einem überraschenden Ergebnis.

Das Publikum hat schlechter abgeschnitten, als Rosling es erwartet hat. "Sie kennen die Kernthemen offenbar einfach nicht. Wie viele Kinder werden geimpft, wie viele Kinder werden geboren, wie alt werden wir!?" Er redet sich in Rage. "Sie lagen überall falsch! Bei den wichtigsten Fragen zur weltweiten Gesundheit… Wie kann das sein?"

Roslings Mission: Vorurteile ausmerzen

Auch die jungen Wissenschaftler und Nobelpreisträger spiegeln nur das wider, was überall auf der Welt die verbreitete Annahme ist. "Ignorant" nennt der Datenexperte das - und möchte genau diesen Vorurteilen mit seinen Vorträgen entgegenwirken.

Wenn man einmal solch eine One-Man-Show von Rosling im Internet gesehen hat (zum Beispiel seinen #link:http://www.youtube.com/watch?v=hVimVzgtD6w:TED-Talk# und dieses #link:http://www.youtube.com/watch?v=jbkSRLYSojo:Video#) - oder ihm im Anschluss an seinen Vortrag gegenübersitzt, ihm minutenlang zuhört, ohne selbst überhaupt eine einzige Frage gestellt zu haben - ist man danach sprachlos. Wie bitte behält dieser Mann so viele Zahlen, so viele Daten und Vergleiche zu allen Herren Länder im Kopf?

Eröffnung der 64. Lindauer Nobelpreisträgertagung Hans Rosling (Christian Flemming/ Lindau Nobel Laureate Meetings).
Roslings Präsentation bei der Lindauer Nobelpreisträgertagung: Für ihn ernüchternd, fürs Publikum bereicherndBild: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings

Das muss eine ganz besondere Leidenschaft für Statistik sein. Ist es aber gar nicht - stellt Rosling klar. Er sei nicht von Daten und Nummern fasziniert, sondern von den Menschen in der Welt. "Die Daten sind nur ein Weg zu begreifen, wie ihr Leben wirklich ist", sagt er.

Die Menschen haben verpasst, dass die Welt besser wird

Die Welt zu verändern sei vielleicht zu viel verlangt, aber Rosling möchte den Blick, den die Menschen auf sie haben, berichtigen. Er möchte - entgegen der Vorurteile der meisten - zeigen, dass es nicht nur Arm und Reich gibt, Entwicklungsstaaten und reiche Industriestaaten, sondern dass der größte Teil der Weltbevölkerung irgendwo dazwischen liegt. Und das sei ein gravierender Unterschied.

Das erklärt Rosling schnell, indem er - irgendwie naheliegend - etwas skizziert: zwei Kurven. Die eine nennt er Kamel-Welt, mit einem Höcker. Die zweite nennt er die Dromedar-Welt, mit zwei Buckeln. Ein Vergleich des Jahres 1975 zu 2014.

Zeichnung von Hans Rosling beim 64. Lindauer Nobelpreisträgertreffen (Foto: H.Fuchs/DW).
"Vom Kamel zum Dromedar": So beschreibt Rosling die Wohlstandsentwicklung seit 1975.Bild: DW/H. Fuchs

Die meisten Menschen befinden sich heute in der Mitte, erklärt Rosling, und fährt die x-Achse mit dem Finger von links nach rechts ab. "Hier haben sie elektrisches Licht, hier haben sie ein Fahrrad, einen Ventilator, hier vielleicht ein Motorrad, einen Kühlschrank, eine Waschmaschine, ein Auto. Und hier fliegen sie in den Urlaub."

Der größte Teil der Menschen liegt heute genau zwischen seiner imaginären "Armuts"-Linie und der "Airline"-Linie, die Rosling horizontal an die Skala zeichnet.

"Dass die meisten Menschen sich genau in der Mitte befinden, das haben die meisten verpasst. Sie denken zum Beispiel, dass nur 20 Prozent der Kinder geimpft sind. Das stimmt nicht. Es sind die Kinder auf der linken Seite - ein kleiner Bruchteil!"

Ein Talent fürs Geschichtenerzählen, ein Gefühl fürs Wesentliche

Die Art, wie Rosling seine Botschaft inszeniert, hat ihn in der Szene - unter Statistikern und Daten-Geeks - schon längst zu einer richtigen Koryphäe werden lassen. Diverse Auszeichnungen und Medaillen hat er dafür bekommen: 2012 ist er sogar auf der "Time List" der 100 einflussreichsten Menschen der Welt gelandet.

Hans Rosling beim 64. Lindauer Nobelpreisträgertreffen (Foto: H.Fuchs/DW).
Über die Brillengläser schauen: "Macht zwar zehn Jahre älter, aber 100 Mal schlauer", findet Rosling.Bild: DW/H. Fuchs

Wie es zu all dem gekommen ist, kann sich der 65-jährige Rosling selbst nicht recht erklären: "reiner Zufall!" Geschichten erzählt hat er schon in der Grundschule gerne. Das Talent dafür sei wohl eine Art Geschenk, das er mitbekommen hat.

Nach seinem Medizinstudium und einem Semester in Statistik hat Hans Rosling knapp zwei Jahrzehnte in Afrika geforscht und Vorträge zur wirtschaftlichen Entwicklung, zu Landwirtschaft, Gesundheit und Armut gehalten - auch über Afrika hinaus. Er war als Berater für die Weltgesundheitsorganisation und das Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen Unicef tätig.

Eine Familienangelegenheit

1998 hat sein Sohn, Ola Rosling, zusammen mit Hans Roslings Schwiegertochter die erste Version der beweglichen Bubbles programmiert - um den Vorlesungen des Medizinprofessors mehr Pfiff zu verleihen, und "das Thema anschaulicher zu machen". Sie waren es also, die den Ferrari entwickelt haben. "Ich fahre ihn eigentlich nur", sagt Rosling und lacht.

Gapminder heißt die Stiftung, die schließlich daraus entstanden ist - ein einst kleines Projekt zur Förderung von freien Informationen und Wissen. Im Jahr 2007 hat Google davon die Software "Trendalyzer" übernommen, um sie weiter auszubauen und weltweit frei verfügbar zu machen.

Mittlerweile hält Hans Rosling nicht nur hin und wieder Vorträge - er tut eigentlich nichts anderes mehr. Rund 50 Anfragen erreichen ihn am Tag. Würde man seine Frau fragen, was ihn an dem neuen Ruhm stört, würde sie sagen: Dass er so wenig schläft. Letzte Nacht waren es drei Stunden, sagt er - er habe sich vorbereiten müssen.

"Ein guter Vortrag ist gut vorbereitet. Ein schlechter Vortrag folgt genau seiner Vorbereitung", sagt Rosling. "Ich war so gut organisiert, ich musste nicht mal auf die Folien sehen. Kein Text, nichts." Und es stimmt: Während seiner Vorträge schaut er kaum auf Monitore, geschweige denn auf kleine Handzettel. Von der einen Ecke der Bühne zur anderen hechten, mit den Händen fuchtelnd, den springenden Bubbles immer hinterher - das ist seine rasante Bühnenshow.

Nordlicht in Schweden (Foto: Uriel Sinai/Getty Images)
Hans Roslings Heimat: SchwedenBild: Getty Images

Es geht um die nachfolgenden Generationen

"Die Menschen denken leider oft, dass die Vergangenheit wichtiger ist als die Zukunft", meint Rosling. Die meisten wüssten, wann ihre Großeltern geboren sind, dächten aber nicht daran, wie lange ihre Nachfolgen noch auf der Welt sein werden. "Meine Enkelkinder werden bis ins nächste Jahrhundert leben. Ich spreche nicht über irgendetwas Abstraktes - ich spreche von meinen Liebsten. Es geht um ihre Zukunft", sagt Rosling - um einiges ernster als der Entertainer, als der er sich noch vor ein paar Minuten gegeben hat.

Bunte, hüpfende Bubbles und eine amüsante Bühnenshow hin oder her. Hans Rosling ist seine Mission wichtig: Armut bekämpfen, Krieg verhindern, Ressourcen clever nutzen und den finanziellen Kollaps vermeiden. Wenn das schon in der heutigen Zeit nicht möglich ist, dann zumindest für die Generationen, die uns noch folgen.