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Hamas, Folter und Dschihad

Kersten Knipp27. Mai 2015

Amnesty International beschuldigt die den Gazastreifen regierende Hamas schwerer Menschenrechtsverletzungen. Die Rede ist von öffentlichen Hinrichtungen. Durch sie soll die Hamas versucht haben, Gegner einzuschüchtern.

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Militärparade von Hamas in Gaza City, 14.12. 2014 (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/M. Salem

Entführungen, Folter, gesetzeswidrige Tötungen: Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat gegen die den palästinensischen Gazastreifen regierende Hamas schwere Vorwürfe erhoben. Demnach sollen die Islamisten während des 50-tägigen Krieges gegen Israel im Sommer 2014 mindestens 23 Bewohner des Gazastreifens getötet haben. Darunter, so Amnesty, befanden sich Mitglieder der mit der Hamas konkurrierenden Fatah-Partei sowie Personen, die der Kollaboration mit Israel während des laufenden Kriegs beschuldigt wurden.

"In dem Chaos, das durch den Konflikt mit Israel entstanden war, gab die Hamas-Führung ihren Sicherheitskräften grünes Licht, Verbrechen gegen Personen zu begehen, die sich in ihrer Hand befanden", erklärt Philip Luther, Direktor des Nahost- und Nordafrika-Programms bei Amnesty International.

Einige der Kollaboration mit Israel beschuldigten Personen befanden sich Amnesty zufolge schon vor Ausbruch des Krieges in Haft – und konnten demnach gar nicht mit Israel zusammengearbeitet haben.

Öffentliche Hinrichtungen

Palästinenser Gaza Militärparade von Hamas in Gaza City, 14.12.2014 (Foto: Reuters)
Entschlossen zur Gewalt - Kämpfer der HamasBild: Reuters/M. Salem

Sechs der zum Tode Verurteilten wurden - dem Bericht zufolge - öffentlich, in Anwesenheit zahlreicher Zuschauer, hingerichtet. Unter den Zuschauern hätten sich auch Kinder befunden. Die öffentlichen Hinrichtungen, so Amnesty, hätten vor allem ein Ziel gehabt: "Sie wurden geplant, um Rache zu nehmen und im Gaza-Streifen Furcht zu verbreiten."

Hamas-Sprecher Fausi Barhum wies die Vorwürfe zurück. Der Bericht sei "voller absichtlicher Übertreibungen"; außerdem habe er "nicht alle Seiten berücksichtigt und auf eine Verifizierung verzichtet." Amnesty hingegen beruft sich auf Interviews mit ehemaligen Gefangenen und Verwandten der Hingerichteten.

Mehrere Anzeichen deuten allerdings darauf hin, dass die öffentlichen Hinrichtungen durchaus den Zweck hatten, den Machtanspruch der Hamas zu bekräftigen.

"Keine Alternative zur Hamas"

Allerdings ist dieser Anspruch derzeit nicht ernsthaft gefährdet. So erklärte General Sami Turgeman, der kürzlich in den Ruhestand getretene ehemalige Kommandant der im Süden stationierten Truppen des israelischen Militärs(IDF), zur Regierung der Hamas gebe es derzeit keine Alternative. "Innerhalb des Gazastreifens gibt es einen Herrscher namens Hamas. Dieser weiß, wie man Macht über die anderen Kräfte ausübt. Soweit wir wissen, gibt es derzeit keinen Herrscher, der Hamas im Gazastreifen ersetzen könnte."

Dass die Macht der Hamas dennoch keineswegs unangefochten ist, zeigte sich am Dienstagabend dieser Woche. Gegen neun Uhr wurde aus dem Gazastreifen mindestens eine Rakete auf israelisches Staatsgebiet gefeuert. Die israelischen Sicherheitsbehörden gehen laut einem Bericht der Zeitung Haaretz davon aus, dass die Gruppe "Islamischer Dschihad" für den Abschuss verantwortlich ist. Interne Rivalitäten, berichtet Haaretz, hätten dazu geführt, dass eine Fraktion die Rakete eingesetzt hat. Auf diese Weise sollte der Streit zusätzlich eskalieren.

Zwar machte das israelische Militär die Hamas als regierende Instanz für den Abschuss verantwortlich. Da diese den Abschuss allerdings nicht gewollt habe, reagierte das Militär zurückhaltend.

Palästinenser Gaza Militärparade von Hamas in Gaza City, 14.12.2014 (Foto: Reuters)
Machtdemonstration: Militärparade in Gaza CityBild: Reuters/S. Salem

Salafisten und Dschihadisten

Allerdings zeigt der Vorfall, dass die Hamas, die aus der ägyptischen Muslimbruderschaft entstanden ist, den Gazastreifen nicht völlig kontrolliert. Bereits im Jahr 2009 war die Hamas gegen rund hundert Salafisten vorgegangen. Diese hatten die Ibn-Tamiyyah-Moschee in Rafah besetzt und dort die Errichtung eines "Kalifats" verkündet. Beim Sturm auf die Moschee wurden zahlreiche Besetzer getötet. Andere befinden sich seit dem in Gefängnissen.

Die Wahl dieser Moschee dürfte kaum ein Zufall sein: Auf die Lehren von deren Namensgeber, des im 14. Jahrhundert lebenden Theologen Ibn Tamiyyah, beziehen sich heute die Vordenker des "Islamischen Staats".

Mit Salafisten und einigen Dschihadisten hat die Hamas immer noch zu kämpfen. Mitte Mai berichtete das mit der politischen Entwicklung des Nahen Ostens befasste Internet-Magazin "Al Monitor", die Hamas habe im Gazastreifen "hunderte" von Checkpoints errichtet, um Salafisten und deren Sympathisanten zu verhaften. Allerdings erklärte Kamel Madi, der stellvertretende Innenminister des Gazastreifens, weder der IS noch die mit ihm verbundene Gruppe "Ansar al-dawla al-islamiya" sei im Gazastreifen präsent.

Internationale Verbindungen

Dem widerspricht ein dem salafistischen Lager zugehöriger Bewohner des Gazastreifens. Er erklärte gegenüber Al-Monitor, die Polizei hätte Mitte Mai einen Terroristen verhaftet, der eine Bombe mit sich führte. Diese hatte er auf dem Shajaia-Markt in Gaza detonieren lassen wollen. Angaben über die Identität des Mannes konnte der Zeuge allerdings nicht machen. Außerdem widersprach er dem Innenministers in einem weiteren Punkt: In den Gefängnissen des Gazastreifen säßen rund 60 IS-Mitglieder ein.

Gaza-Stadt nach dem Krieg gegen Israel, 12.10.2014 (Foto: Reuters)
Gaza-Stadt nach dem Krieg gegen IsraelBild: REUTERS/M. Salem

Auch der Politologe Khalid Safi geht davon aus, dass im Gazastreifen gewaltbereite Salafisten leben. Diese könnten Bombenanschläge oder Anschläge auf Angehörige der Hamas verüben. Die Zahl dieser Terroristen sei zwar überschaubar. Doch reiche sie aus, die Sicherheitstruppen der Hamas auf Trab zu halten.

Khalid Safi vermutet, dass Kontakte zwischen palästinensischen und ägyptischen Salafisten im Sinai bestehen. Über die Ägypter könnten sich radikale Ideologien auch im Gazastreifen verbreiten. Dort stagniert die politische Entwicklung. Das könnte dem Dschihadismus künftig weiteren Auftrieb verleihen.