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Halbzeit in Cannes

Jochen Kürten19. Mai 2015

Ein mit internationalen Stars besetzter Film eines griechischen Regisseurs und eine Patricia-Highsmith-Verfilmung waren bisher die Höhepunkte im Rennen um die Goldene Palme. Zudem beeindruckte ein Debüt aus Ungarn.

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2015 Cannes Film Festival - Roter Teppich The Lobster (Foto: REUTERS/Eric Gaillard)
Bild: Reuters/E. Gaillard

Die Kritiker bei den 68. Internationalen Filmfestspielen in Cannes zeigen sich durchaus zufrieden mit dem bisher Gesehenen. Im Wettbewerb um die Goldene Palme, dem wichtigsten Festival-Preis weltweit, schälen sich erste Favoriten heraus. Die meisten positiven Reaktionen riefen zwei Filme hervor: "The Lobster" von Yorgos Lanthimos (Griechenland) und "Carol" von Todd Haynes (USA).

Griechisches Kino - international

Yorgos Lanthimos (auf unserem Bild oben vor der Premiere mit seinem Team) gilt schon seit einiger Zeit als einer der interessantesten Regisseure seines Landes; er steht für die Renaissance des neuen griechischen Kinos. "The Lobster" hat der in London lebende Regisseur allerdings in Irland gedreht, viele internationale Stars spielen mit. So widerspricht der Film einmal mehr den gängigen Vorstellungen, Regisseure und deren Werke nach Länderkategorien einzuordnen. Das internationale Welt-Kino, vor allem das, wie es sich bei Festivals wie dem in Cannes präsentiert, ist längst global vernetzt.

Filmfestival Cannes 2015 THE LOBSTER von Yorgos LANTHIMOS (Foto: Festival Cannes)
Ein surrealer Blick in die Zukunft: "The Lobster"Bild: Festival de Cannes 2015

In "The Lobster" erzählt Yorgos Lanthimos von einer höchst merkwürdigen Gesellschaft der Zukunft, die versucht die Geschlechterpaarung der Menschen zu steuern: In einem Hotel kommen Frauen und Männer zusammen. Das Ziel: Sie müssen innerhalb von 45 Tagen einen Partner finden - andernfalls verwandeln sie sich in ein Tier. Die "grimmige Dystopie entwickelt nah an ihren surrealistischen Vorbildern im und außerhalb des Kinos eine komische Zärtlichkeit", urteilt die "Frankfurter Allgemeine" (FAZ).

Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt: Der Regisseur verstehe es gut "seinem Gedankenspiel einen klaren Fokus zu geben - am Ende zeigt der Film überzeugender als jede Romantic-Comedy, dass die Liebe wirklich immer ein Spiel mit höchstem Einsatz ist". Mit "The Lobster" sei dem Griechen "der Überraschungserfolg" des Wettbewerbs geglückt, schreibt epd (Evangelischer Pressedienst).

Konkurrenz aus Hollywood

Auf ein ähnlich überwiegend positives Urteil in der deutschen Presselandschaft stößt man bei der Beurteilung des amerikanischen Wettbewerbsbeitrags "Carol" von Todd Haynes. Der US-Regisseur hat hier einen 1952 unter Pseudonym veröffentlichten Roman der Krimi-Autorin Patricia Highsmith verfilmt. Es geht um die Beziehung zweier Frauen, in den USA der 50er Jahre ein Tabu - sogar für eine solch populäre Autorin wie Patricia Highsmith, die hier einen Roman ganz ohne Mord vorlegte.

Filmfestival Cannes 2015 CAROL von Todd HAYNES (Foto: Festival Cannes)
Cate Blanchett in "Carol" wußte die Kritiker und Zuschauer zu überzeugenBild: Festival de Cannes 2015

Ein Film "von überwältigender, ja geradezu lähmender Schönheit: Die so eleganten wie formalen Designs, Settings und Kostüme, aber auch die gemessenen Bewegungen und verhaltene Blicke der Figuren fügen sich perfekt zu einem Sittenbild damaliger Zeiten, als Homosexualität nicht öffentlich gelebt werden konnte", zeigt sich die "Berliner Zeitung" begeistert. Ähnlich urteilt die FAZ: "Es ist Kino der großen Gefühle jenseits von Kitsch und Sentimentalität, das Haynes hier ebenso durch Dekor, Kostüme und Referenzen an Filme der Fünfziger evoziert wie auch noch einmal neu erschafft."

Filmischer Blick ins KZ-Grauen

Im scharfen Kontrast zu den surrealen Phantasien des Griechen und den schwelgerischen Kinobildern des US-Amerikaners stand das einzige Filmdebüt im Wettbewerb von Cannes. Der ungarische Regisseur László Nemes präsentierte an der Croisette seinen Film "Son of Saul", der im Konzentrationslager Auschwitz angesiedelt ist. Nemes konzentriert sich fast ausschließlich auf seine Hauptfigur, den KZ-Insassen Saul, der nach Möglichkeiten sucht, seinen Sohn in Auschwitz beerdigen zu lassen.

Filmfestival Cannes 2015 SON OF SAUL von László NEMES (Foto: Festival Cannes)
Alltag im KZ: geschildert vom Ungarn László Nemes in "Saul Fia" (Son of Soul)Bild: Festival de Cannes 2015

Saul wird von den Nazis gezwungen innerhalb eines Sonderkommandos Aufräumarbeiten in dem Lager zu übernehmen. Dafür lässt man ihn zunächst am Leben. Ein nach Auffassung der meisten Kritiker erschütternder Film über das Grauen im KZ. "Spiegel Online" urteilt: "'Saul Fia' wird zweifellos noch etliche Diskussionen darüber nach sich ziehen, ob Nemes zeigen darf, was er zeigt: die anonymen Leichenberge; die nackten Körper, die Saul und die anderen von den Sonderkommandos hinter sich her schleifen, um sie aus den Gaskammern in die Krematorien zu bringen; die Ascheberge, die die Überlebenden im Anschluss in den Fluss schaufeln sollen."

Ein Flopp und viel Respektables

Ein Amerikaner, ein Grieche, ein Ungar - das waren die am meisten diskutierten Regisseure der ersten Tage in Cannes. Todd Haynes Landsmann Gus van Sant fiel mit seiner filmischen Selbstmordphantasie "Sea of Trees" dagegen durch. Der erste Flopp des Wettbewerbs war der allgemeine Tenor. Besser schnitt der französische Wettbewerbsbeitrag "La Loi du Marché" von Stéphane Brizé ab, der den beruflichen Abstieg eines Mannes in unterqualifizierte Jobs beschreibt. Einhellig gelobt wurde vor allem die Leistung des Hauptdarstellers Vincent Lindon.

Filmfestival Cannes 2015 THE MEASURE OF A MAN von Stéphane BRIZÉ (Foto: Festival Cannes)
Vincent Lindon wird als einer der Favoriten für den Darstellerpreis gehandeltBild: Festival de Cannes 2015

Für große französische Schauspielkunst steht auch Isabelle Huppert. Sie spielt in "Louder than Bombs" des norwegischen Regisseurs Joachim Trier eine Kriegsfotografin, die während der Arbeit stirbt. Was bedeutet das für ihre Angehörigen? Wie gehen sie mit dem Verlust der Ehefrau und Mutter um? Diese Fragen stellt der Film - kein überragendes Werk, aber ein respektabler Schauspielerfilm und ein tiefgründiges Thema. Für eine Goldene Palme wird "Louder than Bombs" nicht gehandelt.

Auf der Liste der Kritiker stehen bisher "Carol", "The Lobster" und "Son of Saul" ganz oben. Doch die Hälfte des Wettbewerbs ist ja noch gar nicht gelaufen. Auf den überragenden Film, auf den sicheren Palmen-Anwärter, wartet man in Cannes noch.