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Hagenberg-Miliu: “Missbrauchte schämen sich“

Juli Rutsch24. März 2014

Wie funktionierte der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche? Die Journalistin Ebba Hagenberg-Miliu im DW-Interview über das Bonner Aloisiuskolleg.

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Ebba Hagenberg-Miliu
Bild: DW/J. Rutsch

DW: Was ist am Kindesmissbrauch durch Geistliche eigentlich so perfide?

Hagenberg-Miliu: Ich denke, die Fallhöhe ist viel höher, weil es sich um jemanden handelt, der auf der Kanzel steht und predigt - ein Gottesmann eben. Im Fall des Aloisiuskollegs waren die Geistlichen zudem die Erziehungsberechtigten. Und die Internatskinder und die Schulkinder waren die Schutzbefohlenen.

Haben Sie den Eindruck, dass die Kirche diesen Skandal wirklich aufarbeiten will?

Ich denke, am Anfang war es sehr schwierig, damit umzugehen. Besonders am Aloisiuskolleg ging es Schlag auf Schlag. Da waren zwei Beschuldigtenbereiche - sowohl vom Kolleg als auch von der Bildungseinrichtung AKO-PRO-Seminar - und von daher ist die Thematik an diesem jesuitischen Aloisiuskolleg noch heftiger als an anderen Schulen. Der Prozess hat sich durch eine Reihe von Strafanzeigen auch noch länger hingezogen. Ich denke, dass der Orden und das Kolleg sich bemüht haben. Aber in den Jahren des Aufklärungsprozesses war es so – das sagen die Betroffenen –, dass man die Kirche letztlich zum Handeln tragen musste.

Wie lief der Kindesmissbrauch am Aloisiuskolleg ab?

Es gab auf jeden Fall sexuellen Missbrauch. Außerdem hat der ehemalige Schulleiter, der Chef dieser Schule, über Jahrzehnte tausende von Fotos nackter Schüler auf dem Kollegsterrain gemacht. Es gab auch psychische und physische Gewalt, verschiedene Spielarten. Die Untersuchungsberichte listen 60 direkt Betroffene auf und 23 Beschuldigte – darunter Patres, Erzieher und Lehrer. Über sechs Jahrzehnte, in einer kontinuierlichen Linie.

Warum glauben Sie, fiel es den Opfern schwer, über ihr Leid zu sprechen?

Welcher Mann spricht schon gerne davon, dass er sexuell missbraucht wurde, dass er der Schwächere war? Wer gibt schon darüber Auskunft, dass er als Junge missbraucht worden ist? Das ist eine ganz schwierige Angelegenheit. Andererseits sagt jeder Psychologe, dass gerade sexueller Missbrauch erst nach Jahrzehnten wirklich aufbricht. Die Taten mögen jahrelang geruht haben und man legt nach und nach Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen zusammen und findet dann – nachdem 2010 der Missbrauchsskandal ausgebrochen ist – den Mut, überhaupt darüber zu sprechen. Und sich das auch selber einzugestehen, und auch seiner Familie und seinen Freunden. Dann kommen die Momente, in denen man versteht, warum man eine gewisse Kälte hatte. Die Männer haben angefangen, das zu realisieren und es hat ihnen Angst gemacht, selber Täter zu werden. Sie haben Angst, ihren Kindern und ihren Frauen nicht gerecht zu werden.

Worum geht es den Opfern heute?

Die Betroffenen möchten öffentlich mit ihren Geschichten im Kolleg präsent sein. Sie möchten mit Interessierten darüber diskutieren können. Das wäre ein sehr wichtiger symbolischer Akt. Es gibt auf dem Kollegsgelände zudem einen Friedhof, auf dem mehrere Patres beerdigt sind, die beschuldigt werden, schweren Missbrauch betrieben zu haben. Die Betroffenen wünschen sich deshalb auch ein Mahnmal oder einen Gedenkstein, der daran erinnert, was hier passiert ist.

Sie sind selber Mutter: Wie schützen Sie Ihre Kinder vor Missbrauch?

Es gibt verschiedene Programme, um Kinder stark zu machen, um Nein zu sagen. Ich denke, dass man schon in der Familie die Kinder stark machen kann, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und zu sagen, wenn sie etwas haben. Schwieriger ist das bei Internatskindern, wenn ich als Mutter die Woche über nicht dabei bin. Aber wie das Kind sich schützt, ist die eine Sache. Die andere, viel wichtigere Aufgabe der Erwachsenen ist es, immer wieder Dinge zu hinterfragen. Nicht einfach zu sagen: ‚Das ist aber eine wunderbare Schule, dafür bezahle ich sehr viel Geld, also muss alles super sein.‘ - Egal, was es für eine Schule ist, egal, was für ein Turnverein, ich muss darauf immer ein Auge haben.

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Ebba Hagenberg-Miliu ist Journalistin und recherchiert seit 2010 über die Missbrauchsfälle am Bonner Aloisiuskolleg. Von ihr erschien soeben das Buch „Unheiliger Berg“ im Kohlhammer Verlag, indem sie die Missbrauchsfälle am jesuitischen Aloisiuskolleg aufarbeitet.