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"Der IS agiert rational"

Dennis Stute20. August 2014

Das Video des "Islamischen Staates" von der Enthauptung des US-Journalisten James Foley ist Teil einer sehr professionellen Medienstrategie, meint der Islamwissenschaftler Christoph Günther.

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Christoph Günther, islamwissenschaftler an der Universität Leipzig (Foto: Doering)
Bild: Andreas Doering

DW: Der "Islamische Staat" (IS) hat ein Video veröffentlicht, in dem offenbar ein US-Journalist enthauptet wird. Was ist die Botschaft dieses Videos?

Christoph Günther: Die Hauptbotschaft ist die der Rache. Die ästhetische Aufmachung spricht eine klare Sprache. Dass das Opfer wie die Gefangenen in Guantanamo einen orangefarbenen Anzug trägt, transportiert die Botschaft: "Wir kehren die Verhältnisse um." Die zweite Botschaft ist eine der Abschreckung: "Wenn ihr militärische Gewalt gegen uns anwendet, dann schlagen wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zurück. Zur Not gehen wir gegen all eure Staatsbürger vor, derer wir habhaft werden können: Journalisten, Angestellte westlicher Firmen im Kurdengebiet, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen."

Welche Medienstrategie verfolgt der IS?

Sie ist sehr breit angelegt. Wenn man sich die Vorgängergruppierungen anschaut und bis 2003 zurückgeht, gab es am Anfang vor allem schriftliche Publikationen oder Audiobotschaften, die zum Teil noch über Kassetten verbreitet wurden. In den vergangenen Jahren hat die Verbreitung von audiovisuellen Publikationen sehr stark zugenommen und sich nicht nur qualitativ deutlich verbessert, sondern auch inhaltlich diversifiziert. Man findet immer noch Videos von Anschlägen, aber nicht mehr in schlechter Bildqualität, sondern zum Teil von Filmteams aus vier Kameraperspektiven hochauflösend gefilmt. Neben diesen Filmen gibt es inzwischen auch solche, die Inhalte transportieren sollen: Dort wird die Ideologie reproduziert und begründet, warum ein "islamischer Staat" in der heutigen Zeit notwendig ist. Es werden Menschen vorgestellt, Kämpfer wie Zivilisten, die Teil dieses Projektes sein sollen und eine Rolle bei der Etablierung dieses "islamischen Staates" spielen.

Propaganda-Aufnahme des "Islamischen Staates" (Foto: dpa)
Propaganda-Aufnahme des "Islamischen Staates"Bild: picture alliance/abaca

In früheren Propagandavideos von Al-Kaida spielte die Romantisierung des Gemeinschaftslebens der Kämpfer eine große Rolle.

Das wird auch von dem "Islamischen Staat" so dargestellt: Kämpfer, die sich im gemeinsamen Gebet versammeln oder zusammen Verse rezitieren, die aber auch miteinander Spaß haben, lachen und schwimmen gehen. Auch Zivilisten werden dargestellt; einerseits ihr Leid, andererseits Veranstaltungen wie Kinderfeste oder Badeausflüge, die von den Dschihadisten organisiert werden. Die Botschaft ist: Unter der Schirmherrschaft des "Islamischen Staates" ist wieder ein sichereres Leben möglich.

Wer sind die Hauptzielgruppen der Propaganda?

Wenn man ein paar Jahre zurückschaut, dann bestand die Zielgruppe vor allem aus jungen arabischsprachigen Muslimen, die die Botschaften über das Internet abrufen konnten. Heute versucht man ganz verschiedene Rezipienten zu erreichen. Man zielt nicht mehr nur auf diejenigen ab, die als zukünftige Kämpfer das Projekt unterstützen, sondern auch auf Leute, die die Struktur erweitern können: Akademiker und gut ausgebildete Leute sollen nicht ihre Kampfkraft, sondern ihr Wissen in das Projekt einbringen. Wenn der "Islamische Staat" tatsächlich die Funktionen eines Staates erfüllen soll, braucht er dafür einen Bürokratieapparat, der das auch leisten kann und dazu ist gebildetes Personal nötig.

Wie wichtig ist die Propaganda bei der Rekrutierung in Europa?

Das spielt eine große Rolle, weil man damit versucht, Leute zu rekrutieren, die man als indoktrinierte Anhänger wieder zurückschicken kann, um die Ideologie des "Islamischen Staates" weiter zu verbreiten. Die Strategie ist also, Botschafter zu gewinnen, die in der westlichen Welt aufgewachsen und mit ihrer Kultur vertraut sind.

Welche Rolle spielen soziale Medien?

Über soziale Netzwerke findet ein intensiver Austausch und Dialog statt, der vor allem die Funktion erfüllt, den Zusammenhalt innerhalb der Bewegung zu stärken. Vor ein paar Jahren haben vor allem Internetforen diese Funktion erfüllt, die Nutzung sozialer Netzwerke erweitert nun die Reichweite der Kommunikationsbemühungen.

Wie muss man sich die Arbeit des Al Hayat Media Centers, der Medienorganisation des IS, vorstellen?

Im Prinzip arbeitet diese Medienabteilung wie jede andere Nachrichtenagentur auch. Dort werden Kamerateams zusammengestellt, dort werden Nachrichten aus ganz unterschiedlichen Quellen ausgewertet, in eine bestimmte Form gebracht und weiterkommuniziert. Kamerateams filmen Kämpfer und dokumentieren Festivitäten, Predigten oder die Arbeit islamischer Gerichte. Das heißt, die Medienabteilung begleitet mit hervorragenden technischen Mitteln und in großer Breite die Etablierung des "Islamischen Staates" - und stellt sie natürlich in einem positiven Licht da.

Sie zeichnen das Bild einer hoch professionell und rational agierenden Organisation.

Im Sinne des rationalen Handelns - wenn man mal mit Max Weber argumentiert - geht diese Gruppe rational vor, selbst bei Handlungen, die man als irrational bezeichnen würde: Dieses schreckliche Enthauptungsvideo zum Beispiel verfolgt den ganz rationalen Zweck der Abschreckung nach außen und der Konsolidierung nach innen. Hinter den Aktionen des IS steckt ein hochgradig rationales und strategisches Denken.

Christoph Günther ist Islamwissenschaftler an der Universität Leipzig mit den Forschungsschwerpunkten visuelle Kultur und soziale Bewegungen in der arabisch-islamischen Welt. Seine Dissertation mit dem Titel "Ein zweiter Staat im Zweistromland? Genese und Ideologie des "Islamischen Staates Irak" ist im Ergon-Verlag erschienen.